CAD: US-Dominanz gefaehrdet das deutsche Engineering

09.09.1994

Von Professor Olaf Abeln, Leiter des Forschungszentrums Informatik (FZI) in Karlsruhe. Die Rezession hat es gezeigt: Die deutsche Industrie baut im Fertigungsbereich Arbeitsplaetze ab und verlagert ganze Produktionen ins kostenguenstigere Ausland. Eine zweite Entwicklung kommt hinzu: Prognosen besagen, dass sich die Zeit von der Idee bis zum fertigen Produkt in den naechsten fuenf Jahren um 50 Prozent deutlich verkuerzen wird. Unternehmen, die international wettbewerbsfaehig bleiben wollen, muessen also ihr Engineering-Tempo gewaltig steigern.

Von wachsender Bedeutung sind daher die Werkzeuge, mit denen Konstrukteure arbeiten. Die Qualitaet der CAD-Systeme beeinflusst ganz wesentlich die Produktivitaet. Sind sie schwer zu bedienen, bremsen sie die Motivation des Konstrukteurs. Fuegen sie sich nicht in die vorhandene Systemlandschaft, wird die Kommunikation zwischen den Abteilungen schwerfaellig. Alles das bremst den Entwicklungsprozess im Sinne von Simultaneous oder Parallel Engineering.

Wenn ich mir das derzeitige Angebot im CAD-Markt anschaue, habe ich Sorge, ob die Deutschen ihre traditionelle Engineering-Staerke auf Dauer erhalten koennen. Ein Beispiel: Kuerzlich erzaehlte mir der Geschaeftsfuehrer einer kleineren Elektronikfirma in Karlsruhe, dass er fuer ein neues 30 000 Mark teures CAD-System inzwischen 300 000 Mark aufgewendet habe, um es in den Arbeitsprozess zu integrieren. Dies ist sicherlich ein Extremfall. Doch es kommen haeufig voellig entnervte Firmen auf das FZI zu, das anwendungsbezogene Informatikprojekte durchfuehrt, und bitten um Unterstuetzung bei der Inbetriebnahme neuer CAD-Systeme. Untersuchungen gehen davon aus, dass die Einfuehrungskosten von CAD-Systemen um den Faktor 4 bis 5 ueber dem Anschaffungspreis liegen.

Woran liegt das? Ich meine, dass vor allem die erdrueckende Dominanz der US-Anbieter in diesem Marktsegment dafuer verantwortlich ist. Es gibt nur noch zwei deutsche Anbieter, SNI und Straessle, die das komplette Spektrum an CAD-Systemen entwickeln und vermarkten. Die meisten CAD-Systeme entstehen heute in US-Labors. Ihre Leistungsfaehigkeit orientiert sich an den Beduerfnissen der Hauptabnehmer, den grossen Automobil- und Flugzeugherstellern.

Sie bestimmen die Inhalte der Software, die Sprache, die rechnerinternen Modelle, die Praesentations- und Dokumentationstechniken. Deutsche Anwender, meist mittlere und kleine Unternehmen im Maschinenbau, haben haeufig nur die Wahl, ihre Arbeitsweise den US-Systemen anzupassen oder aber umgekehrt die Systeme zu modifizieren. Beides ist aufwendig, beides ist unbefriedigend. Ein zusaetzlicher Nachteil ergibt sich daraus, dass neue Systeme erst mit Zeitverzug auf den europaeischen und deutschen Markt kommen. Alles Gruende, die zu spuerbaren Wettbewerbsnachteilen fuehren koennen.

Jahrelang haben wir diese Entwicklung hingenommen und uns auf das "Germanisieren" von CAD-Systemen beschraenkt. Ist der CAD-Zug ohne uns abgefahren? Als sich in den 60er und 70er Jahren CAD als neues Technologiethema etablierte, waren deutsche Wissenschaftler ganze vorne in der Entwicklung. Bei den Modellierverfahren hatten wir weltweit sogar einen Vorsprung. Aber an der Umsetzung der Forschungsergebnisse mangelte es - wie so haeufig. Doch bis heute gibt es eine ganze Reihe von Instituten, die auf dem CAD-Sektor forschen und anerkannt gute Arbeit leisten.

Es gibt also keinen Anlass, die Haende frustriert in den Schoss zu legen. Wir muessen konkrete und fundierte eigene Vorstellungen und Vorschlaege definieren, was CAD-Systeme in Zukunft leisten sollen. Der Wandel in der DV- Technik hin zu flexibleren Client-Server- Konzepten und die Reorganisation der Arbeitsprozesse werden zwangslaeufig eine neue Generation von CAD-Systemen hervorbringen. Dieser Umbruch bietet die Chance, wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung kuenftiger CAD-Systeme zu nehmen. Wenn wir schon keine bedeutende CAD-Industrie entwickeln koennen, sollten die wenigen heimischen Hersteller im Einklang mit den Anwendern zumindest ihre Stimme in den Standardisierungsgremien erheben und den US- Konzepten eigene Vorschlaege entgegenstellen.

Dass ich hier Chancen sehe, liegt vor allem an einem, sehr hoffnungsvollen Verbundprojekt fuer ein neues "CAD-Referenzmodell". Acht Institute haben sich zusammengeschlossen, um die Anforderungen der deutschen CAD-Anwender zu analysieren und daraus eine allgemeingueltige Architektur zu entwickeln. Die erste Projektphase ist abgeschlossen, der Architekturvorschlag liegt auf dem Tisch, und die beiden deutschen CAD-Hersteller haben ihre Bereitschaft zur Umsetzung erklaert. Nun liegt es an den Anwendern, ob aus dieser Initiative so etwas wie eine nationale CAD-Bewegung entsteht. Noch ist es nicht zu spaet.