Bilanz auf der Systec

CAD und CIM: Der Markt floriert am Anwender vorbei

02.11.1990

MÜNCHEN (hv/jm) - Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ziehen die Organisatoren der Systec 90 Bilanz: Zwar hat man mit 732 Ausstellern ein Plus gegenüber 1988 von 43 Prozent verzeichnen können, doch trotz eines zusätzlichen, fünften Ausstellungstages erhöhte sich die Besucherzahl lediglich um 18 Prozent auf 38 000. Zudem ging das Interesse an den parallel durchgeführten Kongressen deutlich zurück.

"Den Ausdruck CIM mag ich nicht, wir verschrecken damit den Mittelstand", bekennt Manfred Siebert, der Vorsitzende des Ausstellerbeirates der Systec. Wie sehr das Thema die Anwender verschreckt, beweisen die rückläufigen Teilnehmerzahlen sowohl der CIM- als auch der CAD-Veranstaltung (350 beziehungsweise 500 Teilnehmer). Vor sechs Jahren hatten allein an der CAD-Tagung etwa 1000 Interessierte teilgenommen.

Hans Grabowski, VDI-Mitglied und Professor an der Universität Karlsruhe, sieht einen Grund für diesen Trend in den wenig spektakulären Neu-Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit: 3D-Modellierungsmaschinen seien inzwischen ebenso bekannt wie Techniken der Künstlichen Intelligenz oder Workstations.

Auch die CIM-Veranstaltungen waren in der Vergangenheit wesentlich besser frequentiert. Gerd vom Hövel, Geschäftsführer der Münchner Messegesellschaft, lieferte auf der Abschluß-Pressekonferenz eine Erklärung: Die Information an den einzelnen Messeständen sei inzwischen so optimal, daß die Kongresse für viele Anwesenden weniger interessant würden. An fast jedem Stand finde auf der Messe ein kleiner interner Kongreß statt.

So hätten sich die Aussteller sehr zufrieden über das Fachverständnis der meisten Besucher geäußert. Außerdem habe man feststellen können, daß die Messe in hohem Maße ihre Zielgruppe innerhalb der Unternehmen erreicht: Nicht die Manager, sondern die fachlichen Leiter der Firmen hätten die Systec frequentiert.

Entsprechend des wachsenden Weltmarktvolumens von CAD- und CAM-Systemen entwickelt sich nach Einschätzung des Messeorganisators auch die Fachmesse Systec. Vom Hövel zitiert eine Dataquest-Studie, nach der das CAD/CAM-Marktvolumen 1988 weltweit 10,9 und 1989 bereits 12,4 Milliarden Dollar betragen habe. Die Marktforscher hätten für 1994 ein Volumen von 22,8 Milliarden Dollar prognostiziert.

Auf der Systec hat sich die Ausstellerzahl von 1986 bis 1990 mit 732 Ausstellern mehr als verdoppelt, von 1988 bis zur diesjährigen Messe verzeichneten die Veranstalter einen 43prozentigen Zuwachs. Allerdings erfüllten sich die Erwartungen in puncto Besucherzahlen nicht: Auf 40000 Besucher hatte man gehofft, 2000 weniger sind gekommen. Für diese - im Vergleich zur vorherigen Systec - 18prozentige Steigerung standen allerdings in diesem Jahr nicht vier sondern erstmals fünf Tage zur Verfügung, womit sich de facto die tägliche Besucherzahl sogar verringert hat. Vom Hövels Argument, die Systec habe sich nun zur weltweit größten Ingenieursmesse noch vor der amerikanischen Messe Autofact etabliert, muß deshalb auch mit Vorsicht genossen werden.

Nur 3800 Besucher am ersten Messetag

Angesprochen auf den ersten, "sehr langsamen" Tag - lediglich 3800 Besucher fanden den Weg zum Messegelände meinte der Geschäftsführer der Münchner Messe- und Ausstellungsgesellschaft bei der Abschlußpressekonferenz, die Besucher seien sich auch aufgrund eines Informationsfehlers nicht genügend darüber im klaren gewesen, daß die Systec diesmal bereits am Montag, also einen Tag früher als in den letzten Jahren, begonnen habe.

Hier scheint es zudem unausgesprochene Differenzen zwischen Messeleitung und Ausstellerbeirat zu geben, wie eine Antwort des Ausstellerbeiratsvorsitzenden Siebert nahelegt: "Ich weiß auch nicht mehr, warum wir den Montag mitgenommen haben."

Angesichts der Entwicklungen am CAD/CAM-Markt zeigt sich die Messeleitung zuversichtlich: 1984 wurden in der Bundesrepublik nach Angaben des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) CAD/CAM-Systeme im Wert von 1,22 Milliarden Mark installiert; 1989 betrug der Gesamtwert bereits 2,42 Milliarden Mark. 1990 dürfte sogar die Drei-Milliarden-Grenze überschritten werden. Hauptabnehmer dieser Produkte sind mit 60 Prozent der gekauften CAD/CAM-Anlagen die Automobil- und die Maschinenbau-Industrie. 20 Prozent, so die VDI-Studie, gingen an die Elektronikbranche.

Diese Zahlen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die CAD-Welt in einer Krise steckt. Insgesamt sind die Absatzerfolge am CAD-Markt im Laufe der letzten 20 Jahre weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch, daß nur fünf Prozent aller Fachbesucher aus der Automobilbranche stammten, also einem technischen Bereich, in dem der Computer besonders intensiv als Hilfsmittel zur Entwicklung, Konstruktion und Fertigung Einsatz findet.

In einer Bestandsaufnahme bemängelte der VDI an der CAD-Marktentwicklung die Überbetonung der Grafik gegenüber einer durchgängigen Konstruktionsunterstützung, das Fehlen eines durchgängigen rechnerinternen Produktmodells und die mangelnde Integrierbarkeit der CAD/CAM-Systeme. Außerdem seien die angebotenen Benutzerschnittstellen nicht standardisiert und allzu oft nur sehr schwer verständlich - ein "Riesenproblem", wie Siebert, der Vorsitzende des Ausstellerbeirats, einräumt.

Computer Aided Design hat, so resumiert der VDI, gerade als Konstruktions-Hilfsmittel enttäuscht. Aspekte wie das Gestalten und Entwerfen oder die Informationsbeschaffung und -verarbeitung seien bislang noch ausgeklammert worden. Neuralgische Punkte stellten nach wie vor die Schnittstellen und die mangelnde Offenheit der Systeme dar. Offene Systeme aber seien eine Voraussetzung für anwendungsspezifische Weiterentwicklungen und Ergänzungen von Standard-CAD-Systemen.

CIM: Ernüchterung statt Begeisterung

Das Betriebssystem der Zukunft ist im CAD-Bereich Unix - daran besteht für die Experten kein Zweifel. Als Programmiersprachen sind C und zum Teil auch C + + im Kommen. Auf dem Gebiet der wissensbasierten CAD-Systeme sind nach Einschätzung Grabowskis in den nächsten zehn Jahren Fortschritte zu erwarten. Weitaus früher aber, so vermutet Austellerbeirats-Mitglied Siebert, werden objektorientierte CAD-Systeme, die in Smalltalk oder C + + programmiert sind, Furore machen.

Ähnlich wie im CAD-Bereich ist auch bei den Anhängern des Computer Integrated Manufacturing (CIM) Ernüchterung an die Stelle der ehemaligen Begeisterung getreten. "1986 gab es eine große Aufbruchstimmung", erläutert Professor Joachim Milberg von der Technischen Universität München. 1988 habe man erkannt, das

CIM als Ganzes nicht realisierbar sei. Allerdings gebe es eine Fülle qualitativ hochwertiger Bausteine, die sich verwenden ließen.

Organisatorische und personelle Faktoren

Die Realisierung von CIM-Konzepten geht nach Einschätzung von VDI-Mitglied Milberg nur über die Verbindung vorhandener Insellösungen - ein Begriff, der hier im Gegensatz zur Datenverarbeitung positiv besetzt sei. 1990 sei das Jahr, in dem die Vernetzung dieser Inseln oder Bausteine im Mittelpunkt stehe. In der Produktionstechnik müßten die verschiedenen Produktionsstufen zunehmend integriert werden. Die Optimierung der Einzelfunktionen sei erreicht, jetzt gehe es um eine gesamtheitliche Betrachtung der Produktionsabläufe.

Neben den technischen Aspekten erhalten laut Milberg

organisatorische und personelle Faktoren immer mehr Gewicht. Demnach werden Ausbildungsstand und Qualifikation der Mitarbeiter zunehmend wichtig, weil die Ideen zu einer Verbesserung der Integration in Produktionsunternehmen von Menschen kommen müssen. *