Neue CIM-Perspektiven der computerisierten Fabrik:

CAD muß hohen Anforderungen genügen

24.04.1987

Die herkömmlichen Automatisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen allein stellen untaugliche Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dar, meint Bhawani Shanker*. Das Produktionsmanagement muß das organisatorische Vorfeld der Fertigung beherrschen.

Der technische Fortschritt in vielen Bereichen der Computeranwendungen hat unvermutete Aussichten für die wirtschaftliche Nutzung und kommunikative Vernetzung der menschlichen Kreativität mit dem maschinellen Potential eröffnet. Flexible Fertigungssysteme sowie neue Produktionsstrukturen erfordern vor allem das Denken in Systemen. Wenn auch die computerisierte Fabrik einen viel zu kleinen Aspekt in der Diskussion um die Informationsgesellschaft darstellt, so ist es dennoch unbestritten, daß die fortschreitende Verwissenschaftlichung dieser Technik und die damit einhergehende Tendenz der Verselbständigung der technisch-wissenschaftlichen CIM-Entwicklung einer umfassenden und kritischen Auseinandersetzung bedarf.

NC-Maschinen sollen Flexibilität gewährleisten

In der industriellen Fertigung konnte die Produktivität seit der Jahrhundertwende um 1 000 Prozent gesteigert werden. Das Konzept der Digitalisierung von Werkzeugbewegungen (Cutter Location Control) bezweckt jedoch von Anfang an die Entwicklung von kostensparenden NC-Werkzeugmaschinen, die unsere Zahlensprache (Maßzahlen, digitalisierte Maschinenbefehle) unmittelbar, ohne Zwischenschaltung eines Menschen, "verstehen" und "verarbeiten". Die maßzahlenverstehenden NC-Maschinen sollen im Gegensatz zu den produktivitätserhöhenden Fertigungsautomaten eine Flexibilität gewährleisten, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch die Anpassung an spezielle Kundenwünsche sichern soll.

In Anbetracht der durch die NC/CNC-angebotenen Möglichkeiten wurden daher schon seit etwa 1955 in allen Industrieländern geeignete fertigungstechnische Programmiersprachen (APT, Exapt, Compact, GTL etc.) entwickelt, damit unter Anwendung eines Computers die in symbolischer Form aufgegebenen Maschinenbefehle in ihre endgültige, meist numerische NC-Codierung generiert werden. Die Effizienz der Teilefertigung hat dadurch bei der Billigproduktion von Qualitätsprodukten ihren dem heutigen Stand der Technik entsprechenden optimalen Wirkungsgrad erreicht. Die Senkung der Neben- und Rüstzeiten an der Maschine hat es ermöglicht, daß nur fünf Prozent der Fertigungszeiten Maschinenzeiten sind.

Während die Flexibilität der CNC-Fertigung ihren nunmehr optimalen Stand erreicht hat, bekommen die Fertigungstechniker die eigentlichen Probleme, die struktureller Natur sind, nicht in den Griff. Erfahrungsgemäß verbringen die Produkte nämlich 90 Prozent der Fertigungszeiten auf den Transportwegen und in den Zwischenlagern. Das Ziel, durch Computersteuerung ganzer Produktionsprozesse eine flexible Fertigung verschiedener Varianten eines Produktes in allen Losgrößen, angefangen von der Einzelfertigung, mit der herkömmlichen Serienproduktion zu erreichen, scheitert bisher an der Organisation, die den Markt, das Produkt und die Fertigungstechnik mit dem Ziel in Übereinstimmung bringen soll, die strategische Planung und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern.

Das organisatorische Vorfeld der CAD/CAM/PPS-Fertigung

Die Fertigungsindustrie benötigt dringend einfache, marktorientierte Organisationsstrukturen. Denn wenn auch die Durchdringung der CNC-Maschinen in den Fertigungswerkstätten den Anteil von sechs Prozent noch nicht überschritten hat, ermöglichen die CNC-Werkzeugmaschinen bereits heute das Fertigen von einem Fünftel (20 Prozent) der insgesamt hergestellten Geräteteile und Komponenten. Es wird außerdem geschätzt, daß 75 Prozent der im Zuge der Ersatzinvestitionen und Neuanschaffungen eingekauften Fertigungseinrichtungen CNC-Werkzeugmaschinen sind.

Neue Computergenerationen erlauben es, sehr große Grafik-Datenmengen im schnellen Zugriff schnell zu verarbeiten. Damit können bereits während des Konstruierens am Bildschirm mittels CAD die Vorbereitungen für die CNC-Fertigung getroffen werden. Durch die Vernetzung grafischer, technologischer und fertigungsorganisatorischer Strukturen werden auch scharfe internationale Wettbewerbssituationen, wie die Verkürzung der Innovationszyklen, die Vergrößerung der Produktvielfalt und die Anpassung an spezielle Kundenwünsche, beherrscht.

Spezielle Kundenwünsche werden beherrscht

Produktionswirtschaftler kommen heute allerdings zu der Erkenntnis, daß die herkömmlichen Automatisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen alleine untaugliche Mittel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen darstellen. So untersucht Professor Wickham Skinner vom Harvard College in seinem Artikel "The productivity paradox" verschiedene Unternehmen und konstatiert: "Je härter diese Betriebe daran arbeiten, ihre Produktivität zu steigern, desto weniger gelingt es ihnen, jene Wettbewerbsvorteile aufzubauen, die doch das Ergebnis von Produktionsverbesserungen sein sollten."

Erfahrungsgemäß gilt in der Fertigung eine " 40/40/20-Regel": Die Wettbewerbsvorteile der gesamten Produktionsprozesse lassen sich in ein dreidimensionales Fertigungssystem überführen, das zu 40 Prozent aus Fertigungsplanung, weiteren 40 Prozent aus Produktionslogistik und nur zu 20 Prozent aus der herkömmlichen Produktivitätssteigerung besteht.

Das Produktionsmanagement hat daher das Ziel, mit geeigneten Mitteln das organisatorische Vorfeld der Fertigung zu beherrschen, um eine montageorientierte Fertigstellung und Beschaffung der Teile und Komponenten zu ermöglichen. Vorangetrieben werden hier vor allem die Entwicklung und der Einsatz von CAD-Hilfsmitteln, die bei der hohen Komplexität des Produktes hohen Anforderungen genügen müssen, vor allem, wenn es darum geht, fertigungsgerechte Konstruktion und Produktinnovation zu kombinieren. Mit umfangreicher Expertenunterstützung begleitet der Computer den Entwicklungsablauf über die Produktionsplanung und -steuerung bis hin zum Fertigungssystem mit der Ausarbeitung und Abwicklung der Herstellung der Teile.

Die computerintegrierte Fertigung verlangt das konsequente Denken in Systemketten. In der Fertigungsorganisation breiten sich verteilte Systeme aus, die keinem algorithmischen Kreislauf mit abgegrenzten Prozessen gleichen müssen, so daß man für die 90er Jahre davon ausgehen muß, daß die notwendigen Verarbeitungsprozeduren nahe an den Terminals und Werkzeugmaschinen abgewickelt werden.

Dies führt technisch zu Netzen, in denen der Transport von Prozeßinformationen und Betriebsdaten kommunikativ zwischen Mensch und Maschine, aber ebensogut zwischen Maschinen stattfinden muß. Verteilte Systeme erlauben zum Beispiel zum einen, kundenspezifische Auftragsdaten während der Produktionsplanung zu verarbeiten und die Produktionssteuerung von komplexen Prozessen wesentlich zu verbessern, zum anderen eine komplizierte Materialwirtschaft, etwa bei "Just-in-Time-Production", mit einem Minimum an festen Lagern zu bewältigen, um damit die Kosten bei der Lagerverwaltung bis zu 30 Prozent zu reduzieren.

Wer die Integration der Fertigungssysteme plant, muß allerdings die verteilten Strukturen der Produktionsbetriebe berücksichtigen. Fertigprodukte enthalten nämlich heute 60 Prozent Einbau- und Ersatzteile, die die Klein- und Mittelbetriebe "erfinden", herstellen und liefern. Die Industrie in Europa besteht vor allem aus 80 Prozent kleinen und mittleren Firmen. Durch betriebsinterne Standardisierungsbemühungen der Großunternehmen, beispielsweise durch MAP oder OSI, wird es möglich, den Zugriff auf Rechner und Maschinensteuerung im sehr unterschiedlichen Umfeld wesentlich zu erleichtern.

Ziel der konsequenten Weiterentwicklung der integrierten Fabrik ist es, durch die sprichwörtliche Flexibilität der Klein- und Mittelbetriebe die erforderliche Produktivität zu sichern. Die Fabrik der Zukunft durch MAP/TOP, OSI, IGES, SET oder STEP kann nur dann eine technische Realität werden, wenn die Integrationselemente allen Anforderungen der verteilten Klein- und Mittelbetriebe Europas gerecht werden.

*Professor Dipl.-Ing. Bhawani Shanker, B.Sc., ist Leiter des CIM-Workshops in Linz, Institute of Industrial Innovation.