Ein elektronisches Hilfsmittel zum Entwerfen und Verwerfen

CAD im Bauwesen fuer Kreativitaet und Formgebung

14.05.1993

CW: Was waren in der Geschichte des DV-gestuetzten Bauwesens die technologischen Durchbrueche?

Buertsch: Es gab drei Phasen in der Geschichte der DV-Entwicklung im Bauwesen. Am Anfang stand die Entwicklung von Programmen fuer Grosscomputer und damit verbunden der Einsatz im Dienstleistungsbereich. Mit den preislich erschwinglichen Minicomputern und Tischrechnern begann eine zweite Phase, in der beispielsweise Statikprogramme direkt vom Ingenieur genutzt wurden. Unser Unternehmen startete 1977 mit der Entwicklung und Vermarktung solcher Programme. Die dritte entscheidende Phase kam dann mit den PC-aehnlichen Computern und dem IBM-PC.

Damals haben wir den Markt nach CAD-Programmen durchsucht, auf die man vielleicht haette aufsetzen koennten. Aber diese stammten in der Regel von Grossrechnern und waren nicht geeignet fuer das Bauwesen, weil sie zu speziell auf Maschinenbau oder Fertigung ausgerichtet waren. Wir haben also beschlossen, ein eigenes Programm zu entwickeln, das sozusagen der Urvater unseres heutigen CAD-Systems ist. Der naechste grosse Schritt war die Umsetzung dieser Produkte auf die Unix-Plattform. Die erste Workstation auf die wir 1986 portierten, kam von Apollo Domain. Ob man noch weitere Plattformen unterstuetzt, ist eigentlich nur eine Frage des Sekundaeraufwands, zum Beispiel bei der Schulung des Vertriebs.

CW: Ist der Markt fuer CAD im Bauwesen im wesentlichen durch die Hardware-Entwicklung bestimmt?

Buertsch: Da beeinflussen sich verschiedene Faktoren gegenseitig. Die Software von heute ist kaum noch auf Rechnern von vor zwei oder drei Jahren denkbar. Das Limit wird definiert durch die Kosten der Hardware.

Steinmann: Gluecklicherweise sind die Maschinen mit den Anforderungen gewachsen, die wir an die Software stellen. Immer wenn wir eine neue Generation Maschinen brauchten, war diese auch verfuegbar. Und je billiger die Rechner wurden, desto anspruchsvollere Software konnten wir entwickeln.

CW: Wie sieht der Markt fuer CAD im Bauwesen aus?

Buertsch: Ein Teil der Anwender verwendet bauspezifische Applikationen auf allgemeiner CAD-Basis. Es gibt zur Zeit zirka 100 CAD-Programme, die sich den Anspruch geben, CAD im Bauwesen zu beherrschen. Allerdings ist ein Grossteil von ihnen nicht bauspezifisch, sondern kommt eher aus dem Maschinenbau. Man kann zeichnen und konstruieren. Ferner existieren aber auch gezielt bauspezifische Programme fuer Architekten und Ingenieure.

CW: Was ist der Wachstumsmarkt?

Buertsch: Der bauspezifische Bereich wird sich durchsetzen. Architekten wollen die speziellen Funktionen, die man im Bauwesen braucht, im Programm haben. Ueblicherweise akzeptiert es ein Architekt heute nicht mehr, den Grundriss mit einem Programm erstellen zu muessen und eine Visualisierung mit einem anderen.

CW: Trotzdem kann man nicht auf Schnittstellen zu anderen Programmen verzichten.

Steinmann: Bei einem Bauwerk arbeiten viele Fachplaner zusammen. Es gibt keine Software, die alle Aufgaben gleichermassen gut loest. Schnittstellen sind also unabdingbar. Dabei hat sich DXF als De- facto-Standard herauskristallisiert.

CW: Wie waere es mit einer herstellerneutralen Schnittstelle?

Steinmann: Speziell fuer das Bauwesen gibt es Step 2D-BS. Diese Schnittstelle basiert auf Step, wobei BS fuer Bau-Subset steht. Sie hat den Vorzug, dass sie herstellerneutral und intelligenter als zum Beispiel DXF ist. Vorteilhaft ist auch, dass alle deutschen Verbaende wie die Architektenkammer, der Verband beratender Ingenieure, Behoerden, die Industrie etc. fuer dieses Interface eintreten. Mittlerweile interessiert sich auch die Automobilindustrie, die ja in grossem Massstab Gebaeudeplanung betreibt, dafuer. Hier liegt die Zukunft, nicht nur hierzulande, sondern auch international.

CW: Worin bestehen die mess- und sichtbaren Vorteile der Verwendung von CAD-Systemen in der Architektur?

Steinmann: Ich zitiere aus einer Nemetschek-Kundenumfrage: "Aenderungen lassen sich schneller und besser bewerkstelligen." "Im Entwurfsprozess lassen sich Alternativen besser ausarbeiten und beurteilen."

CW: Ist das Spazierengehen durch virtuelle Bauten notwendig oder teurer Schnickschnack?

Buertsch: Bei uns sind Visualisierung und Animation seit etwa zwei Jahren Alltagsgeschaeft, eben weil auch hier die Hardwarekosten nicht mehr so hoch sind. Ein entsprechender Computer liegt heute in der Groessenordnung von 25 000 bis 30 000 Mark, vor zwei Jahren hat ein vergleichbares Geraet noch rund 200 000 Mark gekostet. Die Visualisierung ist bei vielen unserer Kunden schon lange ueblich.

CW: Nuetzt Visualisierung auch dem Architekten beim Zeichnen?

Buertsch: Heute nimmt man CAD sozusagen zum Entwerfen und Verwerfen. Besonders die Modelliermoeglichkeiten sind es, die Modelle leicht bearbeitbar und veraenderbar machen und zu optimalen Entwuerfen fuehren.

CW: Und was hat der Bauherr davon?

Steinmann: Nicht alle Bauherren koennen Plaene lesen und sich vorstellen, wie das Gebaeude spaeter einmal aussehen wird. Hier hilft das CAD-Modell. Auch fuer die oeffentliche Hand, wo Baumassnahmen in zunehmendem Masse in der Oeffentlichkeit diskutiert werden muessen, ist CAD mehr als hilfreich. Darueber hinaus ist gute Planung die wesentliche Voraussetzung, dass die Baukosten nicht explodieren. CAD ist unbestritten ein Handwerkszeug, das zum Beispiel Planerstellungen und Mengenberechnungen verbessert.

CW: Zusaetzliche Funktionalitaeten machen die Anwendung nicht eben einfacher. Und schon steckt man im Dilemma, nach welchen Kriterien Benutzeroberflaechen zu gestalten sind.

Buertsch: Die Loesung besteht darin, den Arbeitsplatz des jeweiligen Spezialisten in allen Bauphasen genau nachzubilden. Ein Architekt kennt traditionell die Werkzeuge Zeichenhilfe, Zirkel, Lineale etc. Dies sind relativ einfache Werkzeuge. Deshalb muss entsprechende Software genauso einfach zu bedienen und zu erlernen sein. Nach einem Tag Einarbeitung muss ein Architekt solche Instrumente ebenso handhaben koennen wie seine klassischen Hilfsmittel - jedenfalls fuer die einfachen Aufgaben.

Unsere Kundenbefragung gibt auch hier Auskunft. Die Einarbeitungszeit, bis die Software effizient genutzt werden konnte, dauerte bei etwa einem Drittel der Kunden einen Monat. Ein weiteres Drittel gab zwei Monate an, und der Rest war nach einem Vierteljahr soweit.

CW: Durch Visualisierung kommen auch Aspekte wie die Innenarchitektur ins Spiel. Hat der Einsatz von CAD-Systemen zur Folge, dass es zum Verschmelzen verschiedener Berufsgruppen kommt?

Buertsch: Inwieweit sich der Anwender zutraut, auf fremden Fachgebieten zu arbeiten, wollen wir nicht beurteilen. Es wird aber keinen CAD-Spezialisten im eigentlichen Sinne geben. Die Ausbildung eines Architekten dauert mehrere Jahre, hier lernt er, Gebaeude zu planen. Um eine Idee umzusetzen in ein fertiges Bauwerk, sind abertausende Entscheidungen zu treffen, die zueinander in komplexem Zusammenhang stehen. Es ist aussichtslos, hier Nicht-fachleute am CAD-System sitzen zu haben.

In der Regel wird ein Tragwerksplaner, der ein Werkzeug von uns kauft, kaum als Innenarchitekt auftreten wollen. Jedoch ist es vorstellbar, dass verwandte Berufe beziehungsweise Anwendungen verschmelzen.

CW: Die grosse Freiheit bricht also nicht ploetzlich aus.

Buertsch: Ein CAD-System traegt nicht nur dazu bei, dass die Arbeit leichter vonstatten geht, sondern auch dazu, dass die Denkleistung und die Kreativitaet angeregt wird. Es ist doch offensichtlich, dass CAD laestige Routinetaetigkeiten, aufwendige Rechenarbeit und vieles mehr erleichtert und Raum frei macht fuer die Denkleistung, das Finden der guten Form, der optimalen Tragkonstruktion etc.

CW: Inwieweit ist die Architektenausbildung an Unis und Fachhochschulen auf CAD-Anwendungen in der Berufspraxis ausgerichtet?

Buertsch: In zunehmendem Masse koennen unsere Kunden Fachkraefte einstellen, die den Umgang mit CAD an Hochschulen gelernt haben. Das ist aber noch ein ziemlich geringer Prozentsatz, da CAD an den Universitaeten aus mir unbekannten Gruenden nicht den Stellenwert einnimmt, den es im Berufsleben hat. Da leistet die klassische Ausbildung noch zu wenig. Die CAD-Ausbildung der Ingenieure und Architekten erfolgt in hohem Masse durch unsere eigene Schulungsabteilung.

CW: Was sind die Perspektiven von CAD im Bauwesen? Und was folgt daraus an notwendigen Entwicklungen auf der Anbieterseite?

Steinmann: Bei Nemetschek sieht man die Zukunft darin, die CAD- Systeme mit mehr Intelligenz auszustatten. Das heisst mehr Information hinter den Linien einer Zeichnung, eine bessere Auswertung und Information ueber Dinge, die man im CAD-System hinterlegt. Konkret: Allen Objekten, aus denen ein Gebaeude besteht, wollen wir Informationen und Attribute beigeben, so dass man sie so lange nutzen kann, wie das Gebaeude besteht.

Zum Beispiel traegt ein Tisch Informationen ueber Bauart, Kaufpreis, Kaufdatum etc., so dass Inventarlisten leicht erstellbar und abrufbar sind. Das Gebaeude samt Inhalten wird also nicht nur geplant, sondern darueber hinaus auch verwaltet. Das ist Facility Management, eine neue Aufgabe fuer Planer und Bauherren. Es eroeffnet eine neue Dimension in der Instandhaltung und Verwaltung von Immobilien.