Digitalisierstift übermittelt Netzführungsbefehle:

CAD als Steuertechnik für Energieversorgung

28.10.1983

DÜSSELDORF (hh) - Ein neues Netzbetriebsführungskonzept wird jetzt in einem Projekt der Schleswag AG in die Realität umgesetzt. Basis dieses Führungsprogrammes für das Energieversorgungsunternehmen ist eine Studie, die auf den Erfahrungen mit rechnergestätzten Netzleitstellen seit 1978 gemacht wurden.

Die Schleswag sammelte in einer der 1978 eingerichteten sieben Betriebsverwaltungen und einer zentralen, rechnergeführten Netzleitstelle Erfahrungen, die mit in eine Planungsstudie einflossen. Diese Untersuchung wurde gemeinsam mit der PSI Gesellschaft für Prozeßsteuerungs- und Informationssysteme mbH aus Augsburg

durchgeführt.

Das Versorgungsgebiet des Unternehmens umfaßt knapp 15 000 Quadratkilometer. Die nutzbare Abgabe elektrischer Energie erreichte nach Angaben der Schleswag im vergangenen Jahr 6,7 Milliarden Kilowattstunden. Das Verteilungsnetz für die Elektrizität ist über 43 000 Kilometer lang.

Hierzu kommt noch eine regionale Gasversorgung mit einem Netz von knapp 1700 Kilometern. Alles in allem beliefert die Schleswag über 560 000 Kunden. 2400 Mitarbeiter erwirtschafteten dabei im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,5 Milliarden Mark.

SW-Entwicklung in Gemeinschaftsarbeit

Das neue, jetzt als Projekt in Angriff genommene Netzbetriebsführungskonzept für die sieben Betriebsverwaltungen mit je zwei Betriebsstellen sieht den Aufbau eines hierarchischen Rechnernetzes mit sieben Netzleitstellen, 14 Bildschirmabfrageplätzen und eventuell einer Zentralwarte vor.

Als Pilotprojekt für das neue Konzept fungiert die Netzleitstelle Segeberg. Sie wird zur Zeit mit Hardware der Krupp-Atlas Elektronik ausgerüstet. Vorgesehen ist der Einsatz von EPR 1400-Rechnern mit einem Hauptspeicher von 1024 KW. Die Software wird zu 75 Prozent von PSI und 25 Prozent von der Schleswag erstellt.

Vorgesehen ist, daß die Netzleitstellen das Mittelspannungsnetz der jeweiligen Betriebsverwaltung führen. Mit Hilfe der Bildschirmabfrageplätze soll der Betriebsstelle die Möglichkeit gegeben werden, sich einen Überblick über Vorgänge im Teilnetz zu verschaffen. Die Zentralwarte wird gegebenenfalls für übergeordnete Netzbetriebsführungsaufgaben zuständig sein.

Ausfallsicherung vorrangig

Historisch bedingt ist bei der Schleswag ein Fernwirknetz im Einsatz, daß teilweise betriebsstellenorientiert, teilweise netzleitstellenorientiert und auch in Mischformen arbeitet. Somit waren Systemmoduln zu schaffen, die allen fernwirktechnischen Gegebenheiten gerecht werden und mit denen nach dem Baukastenprinzip ohne großen Aufwand unterschiedliche Systeme konfiguriert werden können.

Das Doppelrechnerprinzip spielt hierbei zur Erhöhung der Ausfallsicherheit eine große Rolle. Der Pearl-Verein aus Düsseldorf teilt zu diesem Projekt mit, daß die Anwendungssoftware komplett in der "Process and Experiment Automation Realtime Language" ("Pearl") geschrieben wird. Nur so sei die Portabilität der Programme auf künftig umzustellende Netzleitstellen gewährleistet.

Zudem hatte man an der untersuchten Netzleitstelle in Heide die Erfahrung gemacht, daß nicht nur eine intensive konzeptionelle Vorarbeit im eigenen Haus dringend notwendig ist, sondern daß durch die Mitarbeit am Projekt auch das Engagement in starkem Maße gefördert wird.

Bei der Realisierung dieses Projektes nun will der Anwender genügend Know-how erwerben, um nach Inbetriebnahme notwendige Änderungen und Ergänzungen selbst vornehmen zu können.

Die Software, die zu erstellen ist, umfaßt die beiden Komplexe "Prozeßführungsfunktionen" und "prozeßbegleitende Funktionen". Die Prozeßführungsfunktionen beinhalten die eigentliche Prozeßüberwachung mit der schaltungs- und lastmäßigen Darstellung des Netzes auf semigrafischen Farbbildschirmen.

Dazu kommen noch die Prozeßsteuerung der Betriebsmittel im Netz, das Berichtswesen auf der Basis verschiedener Meßwert- und Berichtsprotokolle und Funktionen, die angeben, welches Personal an welcher Stelle im Einsatz ist.

Die prozeßbegleitenden Funktionen, die realisiert werden, sind nach Aussage des Pearl-Vereins weniger bekannt. Sie ermöglichen die Anpassung des Datenmodells an Veränderungen im Netz während des laufenden Betriebes. Ein Diagnosesystem erhöht über die reine Protokollierung hinaus die Verfügbarkeit des Systems.

Training unter Hochspannung

Während des Betriebes besteht darüber hinaus die Chance, neue Bediener in das System einzuführen. Sollte es einmal zu Netzzusammenbrüchen kommen, so dient das "Postmortem-System" einer genauen nachträglichen Störungsanalyse.

Die Schleswag AG als Anwender des neuen Konzeptes bezeichnet das "Elektronische Direktanwahlsystem" als eigentlichen Knüller des Vorhabens. Ein entsprechender Arbeitsplatz besteht aus einer Digitalisierungseinrichtung mit aufgespannter Anlagengrafik und einer Steuergrafik sowie den integrierten Farbbildschirmen. Bedienungsoperationen wie Schaltgerätesteuerung werden dem Rechner durch Antippen der entsprechenden Stelle mit einem Digitalisierstift in der Anlagen- oder Steuergrafik mitgeteilt. Die Befehle werden dann automatisch übermittelt.

Wie aus Düsseldorf mitgeteilt wird, hat sich diese Technik in der grafischen Datenverarbeitung bewährt, wird aber jetzt erstmals zur Führung von Versorgungsnetzen eingesetzt.