Verschmelzung von Unicenter TNG mit Spectrum zur Mega-Plattform?

Cabletron schlägt für Kunden die Brücke zu IP-Netzwerken

11.06.1999
Um den Networking-Spezialisten Cabletron gibt es in jüngster Zeit immer wieder Übernahmegerüchte. Angeheizt werden diese Spekulationen durch die Akquisition vergleichbarer Unternehmen wie Bay Networks durch Nortel oder Ascend Communications durch Lucent Technologies. Der neue President und CEO von Cabletron, Piyush Patel, sowie Joe Solari, President Europe, Middle East und Africa, und Firmengründer Craig Benson standen CW-Redakteur Peter Gruber zu den Zukunftsplänen des Unternehmen Rede und Antwort.

CW: Cabletron hat in letzter Zeit Verluste geschrieben und gilt als Übernahmekandidat. Herr Benson, haben Sie deshalb den Stuhl als President und CEO für Herrn Patel geräumt?

Benson: Nein, ich denke es war an der Zeit, für jemanden Platz zu machen, der das Unternehmen ins nächste Jahrtausend führt. Die Weichen dafür haben wir vorher schon gemeinsam gestellt.

CW: In Ihrer Amtszeit schrieb Cabletron aber rote Zahlen. Worauf führen Sie die Verluste zurück?

Benson: Der wesentliche Grund, daß Cabletron erstmals seit dem Gang an die Börse rote Zahlen schrieb, waren stagnierende Verkaufswerte. Wir haben in diesem Geschäftsjahr etwas über 1,4 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaftet, das Jahr zuvor waren es 1,388 Milliarden Dollar.

Solari: Unsere Verluste sind auch auf Akquisitionen zurückzuführen. Cabletron hat in den vergangenen zwei Jahren über 15 Firmen gekauft. Das war ein großes Investment in viele neue Technologien wie Switched Routing, ADSL etc.

CW: Stagnieren die Umsätze, weil Sie den Trend zum Switching verschliefen?

Benson: Zweifellos hat in den vergangenen zwei Jahren ein Technologiesprung vom Shared-Networking hin zum Switching stattgefunden. Für Cabletron gestaltete sich dieser Paradigmenwechsel problematisch, weil wir weltweit größter Anbieter von Shared-Media-Geräten waren. Das war unser Geschäft, das wir vielleicht auch zu lange forciert haben. Vor zweieinhalb Jahren hat Cabletron noch rund 70 Prozent seines Umsatzes - also 900 Millionen Dollar - in diesem Marktsegment erwirtschaftet. Unterdessen macht diese Technologie nur noch acht Prozent der Cabletron-Einnahmen aus.

Wir mußten also Einnahmen aus unserem Stammgeschäft in Höhe von rund 800 Millionen Dollar kompensieren. Diese Lücke haben wir mit unseren Switching-Produkten geschlossen, dazu zählen auch Lösungen für Layer-3- und Layer-4-Switching. Also, trotz dieses Technologiewechsels ist es uns gelungen, unseren Umsatz zu halten...

CW: .... aber nicht zu steigern!

Benson: Cabletron hat den Paradigmenwechsel im Networking in den vergangenen zwei Jahren aber vollzogen, ohne seine wirtschaftlich gesunde Basis aufs Spiel zu setzen. Unsere Vermögenswerte haben sich sogar von einer Milliarde Dollar vor zwei Jahren auf heute 1,5 Milliarden Dollar erhöht.

CW: Am Markt kursieren aber trotzdem Gerüchte, die von der Abspaltung des Produktbereichs Spectrum bis hin zum Ausverkauf reichen. Herr Patel, was haben Sie als neuer CEO mit Cabletron wirklich vor?

Patel: Die Gerüchte, die Sie ansprechen, sind unter anderem durch Aussagen entstanden, die Craig Benson kürzlich auf einer Konferenz machte, die aber leider falsch interpretiert wurden.

Er wollte lediglich zum Ausdruck bringen, daß Cabletron ein Unternehmen ist, das sich aus mehreren interessanten Geschäftsbereichen zusammensetzt. Einen verkörpert unsere Management-Plattform Spectrum.

CW: Was geschieht nun mit Spectrum?

Patel: Cabletron beabsichtigt, Spectrum in eine eigene Firma auszulagern, an der ein oder mehrere Partner beteiligt sind. Die Mehrheit an diesem Unternehmen bleibt aber bei Cabletron.

CW: Welche Pläne haben Sie mit den übrigen Geschäftsbereichen?

Patel: An deren Verkauf ist nicht gedacht. Wenn überhaupt, dann tragen wir uns höchstens mit dem Gedanken, Investoren zu finden, die an Minderheitsbeteiligungen interessiert sind.

CW: Warum soll aus Spectrum eine eigenständige Firma werden?

Patel: Wir wollen damit stärker unterstreichen, daß Spectrum eine unabhängige Plattform ist. Immerhin gehen 50 Prozent unserer Verkäufe an Kunden, die keine Cabletron-Hardware einsetzen.

CW: Spectrum hat aber den Ruf, eine proprietäre Management-Plattform zu sein beziehungsweise von anderen Herstellern kaum unterstützt zu werden.

Benson: Das stimmt nicht. Mit Spectrum sind eine Menge Third-Party-Produkte zu verwalten. Heute managen mehr Anwender große Cisco-Netze mit Spectrum als mit Cisco-Tools selbst. Darüber hinaus sind mit der Plattform auch Telefonanlagen von Lucent, Nortel und Siemens zu koordinieren.

CW: Cabletron generiert mit Spectrum nur vier Prozent des Umsatzes. Würde ein eigenständiges Unternehmen "Spectrum" überhaupt tragen?

Patel: Der Umsatzanteil ist mit vier Prozent tatsächlich klein. Betrachtet man die Plattform jedoch als eigenständiges Software-Unternehmen, würde es, gemessen am Umsatzvolumen, weltweit unter den Top 25 der Softwarebranche rangieren. Außerdem sind die Zuwachsraten vielversprechend.

CW: Würde Spectrum nicht gut zu TNG von Computer Associates (CA) passen? CA hat Stärken im System-Management, ihr Produkt im Netz-Management.

Benson: Sie haben recht. Das sind zwei Welten, die unbedingt verbunden werden müssen. Das gilt aber für CA genauso wie für Tivoli. Es ist gut möglich, daß wir einen dieser Anbieter als Partner gewinnen. Dann könnten wir beide Produkte verschmelzen und als die Management-Plattform schlechthin vermarkten.

CW: Verhandeln Sie mit CA?

Benson: Ja, wir führen Gespräche.

CW: Auch mit Tivoli?

Benson: Ja, auch mit Tivoli und anderen Kandidaten.

CW: Welchen Stellenwert hat Spectrum am Markt?

Benson: Wir gehen davon aus, daß Spectrum gemessen an Marktanteilen in Kürze weltweit die Nummer eins sein wird. Wir haben uns laut IDC in den letzten Jahren von fünf Prozent Marktanteil auf knapp 30 Prozent gesteigert. Hewlett-Packard (HP) ist hingegen von 35 Prozent auf 26 Prozent gefallen. Wir führen diesen Erfolg auf die bessere Funktionalität von Spectrum im Vergleich zu den Konkurrenzprodukten zurück.

CW: Spectrum ist eine Sache, aber haben die Anwender auch den Wandel Cabletrons zum Switching-Spezialisten nachvollzogen?

Patel: Ich hoffe schon, denn wir haben uns in einigen Bereichen neu aufgestellt, zum Beispiel im Routing. Jeder zweite welt- weit ausgelieferte Switch-Router stammt heute von Cabletron, und das, obwohl wir in der Vergangenheit im Router-Geschäft nicht aktiv war.

CW: Das Marktgeflecht hat sich für Networking-Companies dramatisch verändert. Mit Nortel, Lucent und Cisco treten Sie gegen übermächtige Konkurrenten an. Kann sich Cabletron allein behaupten?

Benson: Der Kommunikationsmarkt weltweit birgt ein Volumen von insgesamt rund 600 Milliarden Dollar. Davon verbucht Cisco 8,5 Milliarden Dollar auf sich, das sind gerademal 1,5 Prozent. Lucent und Alcatel haben mit jeweils 30 Milliarden Dollar einen Anteil von je fünf Prozent. Es gibt keinen dominierenden Player am Markt.

Patel: Genauso verhält es sich in der Automobilindustrie. Dort können sich eigenständige Hersteller wie Porsche mit guter Technik behaupten, trotz des Konsolidierungsprozesses im Markt, mit Daimler-Chrysler an der Spitze.

CW: Dann ist Cabletron der Porsche im Networking?

Patel: Wenn Sie so wollen, ja. Zumindest birgt die Konsolidierung am Markt für uns eine große Chance. Unternehmen wie Lucent, Nortel, ja sogar Cisco, werden zu groß und infolgedessen bürokratisch und langsam. Wir sind groß genug, um in unterschiedliche Technologien zu investieren, aber nicht so groß, daß wir zu einem bürokratischen Laden verkommen.

CW: Cisco, Lucent und Nortel wollen ihren Kunden vom Ethernet-Telefon bis hin zum Switch für Service-Provider durchgängig Sprach- und Datenlösungen auf IP-Basis liefern. Ist Cabletron dazu in der Lage?

Patel: Ja, das sind wir. Meiner Meinung nach ist es aber nicht entscheidend, ob ein Hersteller aus einer Hand durchgängig integrierte Sprach-Daten-Produkte liefern kann. Viel wichtiger ist, daß er Lösungen entwickelt, die kompatibel zu bestehenden Systemen sind, um dem Kunden dadurch die schrittweise Migration zu IP-Netzen zu ermöglichen.

Für mich hat es keinen Sinn, daß Cisco derzeit zum Beispiel in die Entwicklung einer eigenen TK-Anlage investiert. Dafür gibt es schon mehr als genug Hersteller. Warum also das Rad neu erfinden? Cisco möchte aber am liebsten, daß seine Kunden von A bis Z Cisco-Lösungen kaufen. Sie fordern ihre Kunden auf, einen Lucent- oder Siemens-Switch gegen einen aus eigener Produktion auszutauschen. Cabletron zwingt keinen, sein Telefon oder die TK-Anlage ausmustern.

CW: Unternehmen werden heute aber weniger nach ihren technologischen Fähigkeiten als vielmehr nach Größe und vor allem Aktienkurs bewertet. Da schneidet Cabletron derzeit schlecht ab.

Benson: Analysten sind schnell bei der Hand, wenn es darum geht, ein Unternehmen abzuschreiben.

CW: Dann sind die Analysten die Buhmänner?

Benson: Nein, aber es gibt zumindest genügend Beispiele, die belegen, daß sie mit ihren Prognosen nicht unfehlbar sind. Dell, AOL, Novell und Apple sind solche Paradefälle.

Im Fall von Cabletron haben die Analysten auch prophezeit, wir hätten mit Spectrum keine Chance gegen Wettbewerber wie Hewlett-Packard oder IBM. Der Markt hat diese Auguren Lügen gestraft.

CW: Herr Patel, Sie sind also fest entschlossen, den Weg mit Cabletron allein zu gehen?

Patel: Ja, wir sind davon überzeugt, mit unseren Produkten am Markt bestehen zu können. Cabletron ist eine Technologieschmiede. Wir besitzen über 400 Patente, Cisco nur 50.

CW: Aber mit einer Patentstatistik überzeugt man keinen Kunden.

Solari: Nein, aber wenn ein Kundenprojekt bei Null anfängt, garantiere ich Ihnen, daß Cabletron - vorausgesetzt, die technische Lösung und nicht der Börsenkurs oder die Unternehmensgröße geben den Ausschlag - in neun von zehn Fällen den Zuschlag erhält.

CW: Warum schnappen Ihnen dann Konkurrenten Projekte weg?

Solari: Weil viele Aufträge heute nicht aufgrund technischer Kriterien, sondern rein aus politischen Gründen vergeben werden. Diesen Umstand nutzen unsere Wettbewerber geschickt aus. Cisco hat bisher kein Layer-4-Switching gezeigt, schlägt sich beim Layer-3-Switching noch immer mit Problemen herum und hat weder eine herstellerneutrale Management-Plattform noch einen Switched Router. Wir haben diese Technologie, Cisco nicht.

CW: Cabletron hat vor zwei Jahren Digitals Network Product Business Group (DNPG) gekauft und mit Digital ein Vertriebsabkommen geschlossen. Hat sich dieser Deal ausgezahlt, trotz überlappender Produkte?

Benson: Nachdem es um Digital schlecht bestellt war, wurde der Bereich Networking stiefmütterlich behandelt. Das hatte zur Folge, daß die Produkte kaum mehr weiterentwickelt wurden. Wir haben sie jedoch nach dem Kauf technologisch aufgerüstet. Von Vorteil für Cabletron waren aber die guten Vertriebskanäle sowie der Bekanntheitsgrad von Digital.

In Teilen haben sich die Produkte wirklich überlappt, aber wir hatten zum Beispiel kein Know-how im Bereich drahtloser Netze. Ein anderes Beispiel ist die WAN-Technologie. Dort hatten wir nicht die Erfahrung von Digital.

CW: Aber warum stagnieren dann die Zahlen, wenn Sie neue Kanäle dazugewonnen haben?

Benson: Wir hatten mit der Akquisition auch etwas Pech. Kurz nach unserer Übernahme der DNPG gab Compaq bekannt, Digital zu kaufen und 17 000 Angestellte zu entlassen. Das sorgt für viel Unruhe, insbesondere bei der Vertriebsorganisation von Digital, mit der wir ja einen Reseller-Vertrag geschlossen hatten.

CW: Der dann an Compaq überging, aber wohl nicht den gewünschten Erfolg brachte?

Benson: Ja, die Vertriebsschiene Compaq hat bisher nicht gehalten, was wir uns davon versprochen haben. Wir sind gerade daran, das Problem zu lösen.

CW: Im deutschen Markt tätige Berater schätzen, daß rund ein Drittel der Cabletron-Kunden den Absprung plant.

Patel: Es ist normal, daß Kunden ihre IT-Landschaft immer wieder auf Ergänzungen oder Erneuerungen prüfen und dabei auch Lösungen anderer Hersteller in Betracht ziehen. Das Feedback durch unsere Kunden ist in der Regel aber gut. Sie sind mit den Produkten zufrieden.