Cabletron praesentiert neue Netzverwaltung Die Networks Expo weist den Weg ins kommerzielle Internet

24.02.1995

CW-Bericht, Joachim Hackmann

BOSTON - Als Flop hat sich die diesjaehrige "Networks Expo" von Messeveranstalter Blenheim in Boston erwiesen. Mit Internet deckte der Organisator lediglich ein zentrales Thema der Gegenwart ab. Fehlanzeige hiess es hingegen bei ATM und 100-Mbit/s-Ethernet. Zuwenig insgesamt, um sich zwischen den Konkurrenzmessen Comnet und Interop zu profilieren.

Nicht so recht erwaermen konnten sich die Besucher an der Networks Expo im kalten Boston, weil an neuen, richtungsweisenden Techniken wenig zu sehen war. Eine der Ausnahmen stellte Cabletron dar, dessen Chairman und Chief Operating Officer Craig Benson dem Publikum eine neue Netzstrategie demonstrierte. Unter dem Begriff "Switched Virtual Networking" versteht das Unternehmen den Ansatz, die Unternehmensinfrastruktur unabhaengig von Plattform und Protokoll als Abbild des Geschaeftsprozesses einzurichten. Cabletron verlaesst damit den Weg der traditionellen Router- basierten Netzwerke und versucht, verschiedene Verfahren wie den Asynchronous Transfer Mode (ATM) sowie LAN- und Switching- Techniken zu verknuepfen. Das Problem sieht Benson in der Verwaltung dieser Netze. "Switching-Verfahren generieren zunaechst zwar mehr Bandbreite", raeumt der CEO ein, " doch es fehlt das entsprechende Management."

Als Element oder Basis des Geschaeftsprozesses sollten Netzwerkarchitekturen aehnliche Kontrollmechanismen aufweisen koennen wie die TK-Infrastruktur. Dort lassen sich beispielsweise anhand der Einheiten und Gespraechszeiten Aktivitaeten bemessen und liefern dem Unternehmen Informationen ueber die Produktivitaet - aehnliche Funktionen fehlen jedoch in den Netzwerkabteilungen. Um diesem Problem zu begegnen, ist eine neue Form des Managements erforderlich, die alle Arten des unternehmensweiten Networkings verwaltet.

Dazu gehoeren neben der Integration von Sprach-, Video- und Datenuebertragung auch Anwendungen wie remotes Arbeiten. Die Netzwerke sollten flexibel ausgelegt sein, um Reorganisationen, Aenderungen und Erweiterungen einfach durchfuehren zu koennen. Die Optimierung des Netzes und die Minimierung des Personalbudgets ist ein weiteres Schluesselelement kuenftiger Kommunikationstechniken, denn 80 Prozent des finanziellen Aufwands fuer Netzwerke sind Lohnkosten, so Benson.

Der Cabletron-Manager lieferte den Besuchern der Networks Expo auch die Loesung fuer die beschriebenen Probleme. Sein Unternehmen nahm die Messe zum Anlass, eine neue Netz-Management-Architektur vorzustellen. "Synthesis" automatisiert die Netzverwaltung von ATM-Netzen, virtuellen LANs, Switching-Technologien und SNA- Verkehr. Zudem unterstuetzt das Produkt laut Cabletron Virtual Network Services (VNS), eine offene Applikation, die Kombinationen verschiedener Netze erlaubt. Das automatische Management soll die Komplexitaet der Netzadministration verringern helfen. Die Vereinfachung erstreckt sich auch auf Sicherheitsfunktionen, Directory-Services und das Routing. Waehrend Cabletron die Zusammenfuehrung verschiedenener Netzwerkwelten angeht, versucht sich die Attachmate Corp. daran, unterschiedliche IT-Plattformen softwareseitig anzupassen.

Das Unternehmen hat mit "Business Informations Object" (BIO) eine Schnittstelle entwickelt, die zwischen Applikationen und Hardwareplattform Daten konvertiert. Unabhaengig vom Host- oder Server-System liefert BIO dem Anwendungprogramm Informationen immer im gleichen Format. Wird die Hardware ausgetauscht, muss lediglich das BIO angepasst werden, die Applikation bleibt unberuehrt. Als weitere Neuheit wartete Attachmate mit "Extra for OS/2" auf, einem Produkt fuer die Host-PC-Anbindung auf 32-Bit- Basis.

Nicht ganz so neu wie das Attachmate-Produkt, aber dennoch brandaktuell ist das Thema Internet. "Das Internet waechst schneller als Microsoft", fasste John Krick, Senior Analyst bei der Datapro Informations Systems Group, das rasant gestiegene Interesse an der kommerziellen Nutzung der Infrastruktur zusammen. Mittlerweile gibt es in dem Netz Produktstudien und - beschreibungen, Firmen pflegen den Kundenkontakt und, so konnte Rose Ann Giordano, Vice-President der Internet Business Group bei DEC berichten, es finden Verkaeufe statt.

Drei unterschiedliche Zahlungsarten im Internet

Giordanos Unternehmen nutzt das Netz zum Beispiel, um neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen. "Das Internet hat sich geaendert", weiss die Managerin zu berichten, "doch es gibt immer noch das Selbstverstaendnis einer grossen Gemeinde." DEC hat neben seinen kommerziellen Bestrebungen in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung Foren errichtet, wo sich Internet- Teilnehmer ueber Aktivitaeten und die Historie einzelner Bundesstaaten informieren koennen.

Fuer die Bezahlung im Internet existieren mittlerweile drei verschiedene Verfahren von Diensteanbietern. "Cybercash" rechnet mit Kreditkarte ab und sichert das Verfahren ueber Authentisierungs- und Verschluesselungsmechanismen. Bei Debit- Transaktionen innerhalb des Systems wird von elektronischen Geldboersen abgebucht. Eine weitere Moeglichkeit ist "First Virtual", wobei der Provider als Mittelsmann zwischen Kaeufer und Verkaeufer auftritt.

Die interessanteste Alternative duerfte sich jedoch Digicash erdacht haben. Der Diensteanbieter handelt mit einer neuen Waehrung, bei der die Anonymitaet wie beim Bargeldtausch gewahrt bleibt. Digicash unterhaelt Kooperationen mit verschiedenen Banken, wo Internet-Kunden sogenannte "Tokens" erwerben koennen. Diese haben im Internet den Stellenwert von Bargeld, sie werden beim Warenkauf zwischen den Handelspartnern ausgetauscht und sind an keinen Benutzernamen gebunden.

Die Praesenz und der Handel im Internet sind jedoch nicht immer unbedenklich. Selbst wenn es nur fuer E-Mails verwendet wird, treten Schwachstellen auf, ueber die Hacker ins unternehmenseigene Netz gelangen koennen. "Ist die Internet-Adresse bekannt, gibt es auch einen Zugang", warnt Datapro-Mann Kirk. Erforderlich sind softwareseitige Schutzmechanismen und Firewalls, um den unerlaubten Zugang zum Firmennetz zu verhindern. Eine weitere Moeglichkeit ist, ueber Service-Provider Dienste anzubieten und das Internet vom eigenen Netz zu entkoppeln. Auch das Einrichten von Homepages sollte von einem Service-Provider vorgenommen werden, handfeste Tips, mit denen Anwender selbsttaetig diese Praesentationsforen installieren koennten, mochten die Internet- Fachleute auf der Networks Expo dem Publikum nicht geben.

Fuer das Gros des Messepublikums hatte Veranstalter Blenheim einen Internet-Pavillon eingerichtet. Gesponsert von IBM, wurden Networks-Besucher in das Netz eingefuehrt. Die Praesentation war freilich am Kenntnisstand von Anfaengern orientiert. So gab es kurze Beschreibungen zu Telnet, Gofer und dem File Transfer Protocol (FTP).

Neben dem Internet spendierte Blenheim auch Novell und Microsoft eigene Demonstrationsforen: Beide Unternehmen hatten Pavillons fuer Solutions- Provider. Der Stand der Novell-Partner erregte jedoch teilweise so wenig Aufmerksamkeit bei den Besuchern, dass die Animateure bei ihren Shows einsam und verlassen auf leere Zuschauerreihen einredeten. Lebendiger ging es zwar am Microsoft- Solutions-Pavillon her, Schluesselprodukte gab es jedoch auch dort nicht zu sehen, lediglich Distributoren und Consultants zeigten ihr Portfolio.

Enttaeuschend auch der Auftritt von Hewlett-Packard (HP). Am Stand war nichts von der Aufbruchstimmung zu spueren, die das Unternehmen noch vor zwei Wochen bei der Vorstellung neuer VG-Anylan-Produkte versprueht hatte. In Boston war lediglich die HP-Abteilung Messgeraete vertreten. Aber auch die Gegenspieler aus dem Fast- Ethernet-Lager glaenzten durch Abwesenheit. So hatten beispielsweise 3Com und Chipcom die Messepraesenz ihren Distributoren ueberlassen.