Burnout: Wenn der Motor stottert

13.04.2005
Überarbeitet und perspektivlos - so fühlen sich viele Berufstätige im Arbeitsalltag. IT-Projektmitarbeiter sind besonders gefährdet. Fast 30 Prozent von ihnen durchleiden eine Burnout-Phase, Tendenz steigend.

Andreas Emke* war stolz auf seinen Job in einem renommierten IT-Dienstleistungsunternehmen. Die strategische Stabsstelle in einer international tätigen Firma forderte den 35-Jährigen. Doch häufige Reibereien und unterschwellig glimmende Konflikte mit dem Vorgesetzten zermürbten Emke; er fühlte sich müde und erschöpft. Schließlich häuften sich Erkältungskrankheiten; ein Hörsturz folgte, und weitere Symptome zwangen den ehemals Hochmotivierten, einen Arzt aufzusuchen.

Den Weg in eine ärztliche Praxis gehen viele Betroffene allerdings erst, wenn sich die Symptome häufen und Wegschauen nicht mehr möglich ist. Die Folgen von falsch verstandenem Ehrgeiz treffen auch immer mehr leistungswillige High Potentials zwischen 30 und 40 Jahren. "Burnout ist ein großes Problem; viele Leute haben Angst vor Arbeitslosigkeit und gehen auch krank zur Arbeit", berichtet Rüdiger Trimpop, Professor für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der

Friedrich-Schiller-Universität in Jena. "Katastrophal für die Unternehmen ist vor allem, dass Leistungsträger ausfallen." Trimpop sieht besonders Mitarbeiter in der mittleren Ebene eines Unternehmens gefährdet, denn sie können in der Regel am wenigsten Einfluss auf Entscheidungen nehmen; gleichzeitig sind sie den Forderungen der Geschäftsleitung ausgesetzt, konkurrieren mit den Kollegen und fungieren als Ansprechpartner für die Kunden. "Firmenlenker verstehen oft nicht das Grundprinzip, dass Stress eine Belastung sein kann." Viele sehen Druck als Motivation für ihre tägliche Arbeit an und misstrauen Konzepten, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit fordern. Unter Stressreduktion verstehen sie, sich "auf die faule Haut zu legen".

Das Krankheitsbild "Burnout" wurde erstmals in den 70er Jahren beschrieben. Zeitdruck, permanente Überforderung und Informationsflut tragen dazu bei, dass heute mehr Menschen betroffen sind. Verlässliche Statistiken gibt es zwar nicht, aber Experten gehen davon aus, dass rund 20 Prozent der Beschäftigten während ihres Berufslebens am Burnout erkranken können. Neue Arbeitsformen schaffen auch neue Risiken. Anja Gerlmaier, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, ging der Frage nach, welchen Belastungen IT-Projektmitarbeiter ausgesetzt sind und wie sie mit widersprüchlichen Arbeitsanforderungen - zum Beispiel sowohl schnell als auch gründlich zu sein - umgehen. An der Studie nahmen sieben Projektgruppen aus unterschiedlichen IT-Firmen teil. Neben Gruppendiskussionen wurden die befragten IT-Mitarbeiter ein Jahr lang monatlich nach ihrer Beanspruchung gefragt; zusätzlich führten sie ein Befindenstagebuch und unterzogen sich einer Abschlussbefragung.

Arbeitsverdichtung statt kreative Freiräume

Projektarbeit galt lange Zeit als ideale Organisationsform für Wissensarbeiter, die ihnen viel Raum für Kreativität und selbstbestimmtes Arbeit ließ. Doch diese Privilegien sind passé: Zeitdruck, Arbeitsverdichtung, nörgelnde Kunden, verschwindende Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre oder eine vermehrte Tendenz zur Selbstausbeutung treten mittlerweile an die Stelle von kreativen Freiräumen. Obwohl das im Prinzip bekannt ist, überraschten Gerlmaier die Studienergebnisse in ihrer Krassheit; die Befragten zeigen ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko und massive Anzeichen von Erschöpfung. 26 Prozent der Projektmitarbeiter können nach der Arbeit nicht mehr abschalten oder haben das Gefühl, nicht mehr alles zu schaffen. Besonders alarmierend sei, dass sich 42 Prozent von ihrer Arbeit erschöpft fühlen, jeder Vierte glaubt, dass er die derzeitigen Leistungsanforderungen auf Dauer nicht erfüllen könne. "Fremdbestimmte Selbstausbeutung" treibe viele in diese Angstspirale.

Restriktive Maßnahmen fördern Burnout-Symptome

Auch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Projektmitarbeiter sind gravierender als bei den repräsentativ gemischten Beschäftigten verschiedenen Typs, die in einer anderer Studie nach ihrer Arbeitsbelastung befragt wurden. Von den Projektmitarbeitern klagten 63 Prozent über Müdigkeit (in der Vergleichsgruppe waren es nur 17 Prozent), 48 Prozent über Nervosität und 29 Prozent über Schlafstörungen. Darüber hinaus beeinträchtigen die Symptome vor allem die Motivation. "Jeder Vierte findet es unbefriedigend, dass so wenig von seinen Vorschlägen umgesetzt wird, fast 60 Prozent haben den Eindruck, dass es sich nicht lohnt, sich mehr anzustrengen als unbedingt notwendig", ergänzt die Wissenschaftlerin. Gerlmaier geht anhand ihrer Studienergebnisse davon aus, dass IT-Mitarbeiter rund 30 Prozent stärker als andere Berufsgruppen gefährdet sind, an Burnout zu erkranken.

Wie reagierten die Geschäftsleitungen der sieben Studien-Unternehmen auf die Ergebnisse? "Es gab Gespräche mit den Führungskräften, doch viele Firmen wollen gerade keinen Zusammenhang zwischen ihrer Politik und den Problemen der Beschäftigten sehen und schielen nur nach Zahlen", fasst Gerlmaier die Diskussionen zusammen. "Die Rahmenbedingungen des Marktes diktieren oft ein Preisdumping, das zu Lasten der Projektmitarbeiter geht." Kurse zum besseren Selbst- und Zeit-Management für die betroffenen Mitarbeiter hält Gerlmaier für einen falschen Ansatz; erfolgreichere Projektteams zeichneten sich dadurch aus, dass sie beispielsweise mehr Handlungsautonomie besitzen, selbst mit den Kunden verhandeln können und Projektleiter ihre Führungsaufgaben verantwortungsvoll wahrnehmen. Dagegen fördern restriktive Maßnahmen Burnout-Symptome: "Wir haben in den Interviews gemerkt, dass in vielen Unternehmen die Leinen angezogen sind; einfachste Erkenntnisse der Personalführung werden missachtet, Mitarbeiter beispielsweise beliebig innerhalb der Projekte ausgetauscht oder wichtige Erholungsphasen gestrichen."

Geld für Gesundheits-Management gebe laut Gerlmaier hierzulande kein IT-Unternehmen aus. Zwar hofft die Wissenschaftlerin auf ein Umdenken, doch sie weiß auch, dass sie Firmen nur mit Zahlen, die den Nutzen von Vorsorge belegen, überzeugen kann. Der Psychologe Trimpop kann sich noch ein weiteres Szenario vorstellen, das Unternehmen zum Umdenken bewegt: "Viele Qualitätsprobleme, die große Firmen gerade haben, sind hausgemacht, denn eine Kostenreduzierung erhöht den Druck und dadurch sinkt die Qualität." "Nur ein Pflaster drauf kleben hilft nicht", denn oft lägen der Überlastung strukturelle Probleme zugrunde, und es müsse ein Bewusstsein für schädigenden Stress geschaffen werden. "Das ist häufig ein schwieriger Prozess, für den sich Firmen Hilfe von außen holen sollten."

Doch neben Überlastung und engen Zeitplänen stecken viele Mitarbeiter noch aus anderen Gründen in einer Sinn- und Vertrauenskrise, die den Weg zu einer Burnout-Erkrankung ebnet. Der massive Personalabbau in den vergangenen Jahren hinterließ die verbleibenden Mitarbeiter oft ratlos. "Wir sprechen hier mittlerweile vom Survivor-Syndrom; in Unternehmen, in denen es viele Entlassungen gab, nimmt die Bindung ab und ist das Vertrauensverhältnis geschädigt", so Trimpop. Einsatzbereitschaft werden von den Mitarbeitern nur noch aus Angst vor Arbeitslosigkeit gezeigt, und wer eine interessante Jobperspektive finde, verlasse den ungeliebten Arbeitgeber so schnell wie möglich.

Andreas Emke entschied sich nach neun Monaten Krankheit für einen Neuanfang. Die Probleme mit seinem Chef ließen sich nicht lösen. Nach einem Gespräch stand die Entscheidung fest: "Als er zu mir sagte: ?Inhaltlich kann ich nichts an Ihnen aussetzen, aber...? war das Signal für mich klar." Emke wählte vor zwei Jahren den Weg in die Selbständigkeit. Außer einem gelegentlichen Schnupfen ist er wieder völlig gesund.