Geringeres Interesse an Microsoft-Produkten

Bundesverwaltung macht sich für Open Source stark

07.04.2000
MÜNCHEN (CW) - In der Bundesverwaltung wächst das Interesse an Open-Source-Software (OSS). Verantwortliche Stellen prüfen derzeit, ob eine Ablösung der bisher dominierenden Microsoft-Produkte oder eine Koexistenz mit ihnen möglich ist.

Die Zeiten, in denen MS-Windows und MS-Office die Clients und Server der Bundesverwaltung allein beherrschten, könnten schon bald vorüber sein. Selbst auf höchster politischer Ebene wächst das Interesse an Open Source.

Ein kürzlich veröffentlichter Brief der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik im Bundesinnenministerium (KBSt) über Open Source in der öffentlichen Verwaltung resümiert: "Mit Linux oder Free BSD als Betriebssystem und ergänzender Open- Source-Software und kommerzieller Software auf OSS-Betriebssystemen steht ein stabiles, preiswertes, ressourcenschonendes, sicheres und von ausreichend vielen Beratungsfirmen unterstütztes Rechnersystem auch für die professionelle Büroumgebung zur Verfügung." Bei der Produktauswahl sollte geprüft werden, ob sich Anforderungen durch OSS besser und vor allem kostengünstiger abdecken lassen.

Hierzu zeigen die Autoren für die einzelnen Konfigurationen Alternativen zu Microsoft-Produkten auf. So etwa der Linux-Samba-Server, der als File- und Print-Server Windows NT "vollständig ersetzen" kann. Insbesondere werden die Autoren nicht müde zu betonen, dass entgegen der immer noch weit verbreiteten Meinung das Angebot und der Support für Open-Source-Produkte ausreichend sind, um zumindest eine Koexistenz mit der Microsoft-Welt zu erlauben.

Open Source ist besser als sein RufAls weitere Vorzüge von OSS hebt der KBSt-Brief die flexible Installation von Linux-Distributionen, den gesunkenen Schulungsaufwand und vor allem Sicherheitsaspekte hervor. Zwar bedeute die Offenlegung von Software an sich noch keinen Zugewinn an Sicherheit, sie ist aber "auf jeden Fall die grundlegende Voraussetzung". So habe etwa das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in einem Projekt zur Absicherung, Kontrolle und Management von Netzen festgestellt, dass neuere Ansätze bei verteilten Anwendungen wie etwa Agentensysteme den Zugang zum Quelltext des Betriebssystems zwingend erforderlich machen.

Von besonderer Brisanz ist zudem ein Vergleich zwischen den Anschaffungskosten in der Bundesverwaltung für eine NT-Workstation und verschiedene NT-Server laut MS-Selectvertrag und Linux. Danach fallen pro Arbeitsplatz für eine NT-Workstation inklusive Office-Paket, Exchange-Lizenz und SNA-Client Kosten von 845 Mark an. Für einen NT-Server, der nur zum File- und Print-Sharing dient, sind es 681 Mark, für einen NT-Server mit Multiprozessor-Unterstützung und zusätzlichen SMTP-Mail-Server schlagen 3257 Mark zu Buche. Linux ist in den genannten Konfigurationen laut Übersicht kostenlos.

Der KBSt-Brief stieß bei seiner Veröffentlichung unter www.kbst-bund.de insbesondere unter Linux-Fans auf großes Interesse. Offensichtlich auf zu viel: Auf Weisung der Staatssekretärin Brigitte Zypries wurde das Schreiben umgehend vom Server entfernt. Als offiziellen Grund gab sie an, dass das Papier nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt gewesen sei. Die Antwort der Open-Source-Gemeinde, die hinter dem Rückzieher vor allem eine wohlwollende Geste gegenüber Microsoft sehen will, folgte auf dem Fuß. In kurzer Zeit beteiligten sich rund 2700 Surfer an der vom Forum www.linuxtag.de organisierten Protestaktion. Mit Erfolg: Am Dienstag wurde der Text wieder freigegeben, um laut Zypries "dem Eindruck entgegenzutreten, die Herausnahme habe etwas mit Zensur zu tun". Der Kostenvergleich sei jedoch "zur Vermeidung möglicher Verletzungen von Lizenzverträgen durch die versehentliche Veröffentlichung von vertraulichen Preisen" entfernt worden. Dass die Staatssekretärin mit ihrem Sinneswandel nicht allein dasteht, zeigt auch die Haltung anderer Regierungsstellen. So hatte unlängst Wirtschaftsminister Werner Müller angeordnet, zu prüfen, wie sich künftig quelloffene Produkte bei der Vergabe von Softwareaufträgen in der öffentlichen Verwaltung besser berücksichtigen lassen. Der Bundesrechnungshof will bis zur Jahresmitte prüfen, welches Einsparungspotenzial OSS hat (siehe auch Seite 57).