Bundesdeutsche SW-Entwickler ohne Marktstrategie

17.02.1989

Harald Kremser Geschäftsführender Gesellschafter der Software Partner GmbH, Darmstadt

Im Kopf läßt sich bekanntlich alles bewegen. Nur: In der handfesten praktischen Umsetzung muß jede Konzeption ihre Qualität, Realitätsnähe und Standfestigkeit erweisen. Bei der Entwicklung materieller Güter mag dies für den Kunden noch mehr oder weniger nachvollziehbar sein. Doch wie ist es beim immateriellen Gut Software? Hier ist nicht nur die Konzeption, sondern auch die Realisierung der Software von Gedanken und deren logische Verknüpfung geprägt. Was dann der Kunde als Produkt erhält, ist eine genormte Diskette mit anonymen Gedankenfolgen, die für den Anwender alles andere als nachvollziehbar sind.

Allein auf das Ergebnis kommt es an, hört man den Softwareentwickler sagen. In der Softwarebranche leider nur die halbe Wahrheit. Spätestens dann, wenn sich die Aufgabenstellung oder das Betriebsumfeld ändern, erweist sich die Individualsoftware - denn um die dreht es sich in der Regel in den meisten bundesdeutschen Softwarehäusern-als Sackgasse. Veränderungen an der Individualsoftware sind teuer und können zudem nur vom gleichen Softwareentwickler vorgenommen werden- eine Herstellerbindung, die der Anwender immer weniger bereit ist, einzugehen. Soll das Produkt mit weiteren Systemen verknüpft werden, ist meist Schuß. Was bleibt dem Anwender anderes übrig, als seine Insellösung zu akzeptieren und auf eine unternehmensweite Integration zu verzichten. Oder aber noch einmal von vorne zu beginnen und seine Individualsoftware abzuhaken. Für wahr eine teure Alternative.

Und eigentlich ginge alles auch ganz anders. Mit der Entwicklung von Standardsoftware zum Beispiel. Denn das Argument, Standardsoftware könne die spezifischen Aufgabenstellungen in den Unternehmen nicht erfüllen, ist längst kein Argument mehr. Applikationstools können individuelle Anpassungen schaffen, und für eine vollständige Anwendungsumgebung leisten Softwaregeneratoren wertvolle Dienste. Bei einem Markt, der allein im Bereich der PC-Software bis 1990 bundesweit ein Marktvolumen von 2,5 Milliarden Mark aufweisen wird, gäbe es genügend Gründe, über neue Produktionsweisen bei der Softwareentwicklung nachzudenken. Europa- und weltweit wird sich das Marktvolumen noch in ganz anderen Dimensionen bewegen. Und die Konkurrenz schläft nicht.

Doch vorerst steht die Unternehmensstrategie in den meisten bundesdeutschen Softwarehäusern Kopf. Denn hier bestimmt der mehr oder weniger zufällige Kundenauftrag sowohl den Entwicklungsschwerpunkt als auch das Entwicklungsziel des Unternehmens. Was dabei herauskommt, ist allenfalls eine Zufallsvermarktung, und mit dem Zufall läßt sich bekanntlich schlecht planen. Zudem ist bundesdeutsche Software teuer, denn ihre Entwicklung wird :mit der sprichwörtlich deutschen Gründlichkeit durchgeführt. Wittert man einen eventuellen Markt für die spezifische Kundenentwicklung, wird eine zweite teure Programmversion aufgelegt, um noch die letzten Fehler auszumerzen. Ein teures Unterfangen, bewegen sich doch die Entwicklungskosten für ein einfaches Softwareprojekt durchschnittlich zwischen 500 000 und 1 Million Mark. Eine teure Investition, wenn sich die Entwicklung als Flop erweist oder die getätigten Investitionen nicht einbringt. Von einer gezielten Marktstrategie also keine Spur. Und nicht von ungeführ haben bundesdeutsche Softwarehäuser erhebliche Wachstussprobleme.

Doch: Wieso sollten marktstrategische Denkweisen, die für alle Wirtschaftsbereiche selbstverständlich sind, nicht auch für die Softwarebranche Geltung haben? Denn welcher Unternehmer würde nicht vor der Entwicklung seiner Produkte potentielle Märkte ausfindig machen, die Produktgestaltung an der spezifischen Marktgruppe ausrichten sowie sich über die Vermarktung und den Vertrieb seiner Ware vorab Gedanken machen? Und insbesondere die Entwicklung von Standardsoftware könnte bundesdeutsche Softwarehäuser aus dem Stubendasein herausführen und einen weiten Markt öffnen.

Bis 1990, so eine Studie des Marktforschungsinstituts IDC, werden in der Bundesrepublik 45,6 Prozent auf die Entwicklung von Standardsoftware entfallen. In Frankreich und England, erst recht in den USA, ist der Anteil an Standardsoftware schon heute weit größer als bei uns. Doch nicht nur dieser verheißungsvolle Markt sollte bundesdeutsche Entwickler endlich aus ihren Softwarestuben locken. Mit der Standardsoftware gäbe es endlich die Chance, das Produkt strategisch zu planen und zu entwickeln und sich auf spezielle Marktbereiche zu konzentrieren.

Gute Chancen gäbe es dann auch für eine spezifische Marktausprägung für die einzelnen Softwareprodukte, braucht doch die Software, wie alle anderen Produkte auch, einen eingeführten Namen, um im Markt publik zu werden. Ein weiterer Vorteil ganz nebenbei: Durch eine spezifische Einordnung des eigenen Softwareproduktes entstünden Berührungslinien zu Produkten anderer Hersteller. Eine optimale Voraussetzung für gemeinsame Vorgehensweisen im Markt.

Und bundesdeutsche Softwarehäuser müssen wachsen, wollen sie im zukünftigen Markt bestehen. Denn der Anwender ist kritisch geworden und will die komplette Lösung. Ein Leistungsumfang, der die Kapazität der meisten Softwareunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bei weitem übersteigt. Circa 3700 Softwarehäuser bundesweit, die meisten unter ihnen haben weniger als 20 Mitarbeiter, sprechen eine deutliche Sprache.

Und bundesdeutsche Softwarehäuser beginnen sich zu formieren und Interessenverbände zu gründen. Ziel ist es, eine gemeinsame Vorgehensweise im Markt zu entwickeln und die Produkte der unterschiedlichen Hersteller aufeinander abzustimmen. Synergieeffekte, die den Trend zur Standardisierung forcieren und Innovationen fördern. Doch die Initiativen der Interessenverbände reichen weiter: von der gemeinsamen Teilnahme an Ausschreibungen bis zur Präsenz auf Kongressen und Messen. Freilich, die Entwicklung steht erst an ihrem Anfang. Doch könnten aus diesen Initiativen Kooperationen entstehen, die bundesdeutschen Softwarehäusern europa- und weltweit Geltung verschaffen. Die Öffnung des europäischen Marktes 1992 ist nicht mehr weit. Nun wäre es endlich Zeit, zu handeln.