Regierung und Wirtschaftsverbände liegen im Clinch

Bund Online 2005 in der Kritik

28.02.2003
BERLIN (ba) - Die E-Government-Initiative "Bund Online 2005" steht in der Kritik. Industrieverbände wie Bitkom und BDI bemängeln organisatorische Lücken, Abstimmungsprobleme zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie das Fehlen eines Masterplans. Das Innenministerium sieht sich hingegen weitgehend im Plan.

Nach Einschätzung des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) steht das E-Government-Projekt der Bundesregierung vor einer entscheidenden Stufe. Um hier nicht zu stolpern, müssten die Betreiber einiges ändern, fordern die Industrievertreter. So sei in den vergangenen Jahren ein Wildwuchs an verschiedenen Architekturen und Applikationen entstanden. Behörden hätten Anwendungen ausschließlich für eigene Zwecke entwickelt, ohne darauf zu achten, ob in einem anderen Teil des Verwaltungsapparates ähnliche Projekte betrieben würden. Um E-Government künftig effizienter zu gestalten, müssten sich alle Beteiligten an einen verbindlichen Masterplan halten.

Wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts soll ein Sieben-Punkte-Programm sein, erläutert Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. Dazu gehöre beispielsweise, Sonderbeauftragte für E-Government zu ernennen. Diese sollten alle notwendigen Ressourcen und ressortübergreifenden Kompetenzen erhalten.

Reformen angemahnt

Ferner müssten bestehende Verwaltungsprozesse vor ihrer Automatisierung erst einmal daraufhin geprüft werden, ob sie überhaupt zweckmäßig und notwendig sind. Die Prozesse seien "ohne Rücksicht auf Behördengrenzen aus Anwendersicht zu optimieren", heißt es in dem Bitkom-Plan. "E-Government bedeutet nicht einfach, Behörden mit Hard- und Software auszustatten und auf E-Mail-Verkehr umzustellen." Vielmehr müssten damit auch reformierte Strukturen und Abläufe einhergehen.

Der Erfolg von E-Government zeigt sich nach Ansicht des Bitkom in erster Linie auf der Ebene von Ländern und Kommunen - dort, wo Bürger und Unternehmen in Kontakt zu Behörden treten. Da jedoch deren Haushaltssituation derzeit äußerst angespannt ist, seien grundlegende Neuerungen notwendig. Dazu gehöre auch, Behörden im Rahmen von Public Private Partnerships (PPP) alternative Geschäftsmodelle für ihre Dienstleistungen zu gestatten. Auch über Outsourcing standardisierter Verwaltungsprozesse müsse nachgedacht werden.

Nicht zuletzt fordern die Bitkom-Verantwortlichen, eine E-Government-Agentur für Bund, Länder und Kommunen einzurichten. Das Projekt brauche einen organisatorischen Rahmen, damit sich die Kooperation und Koordination zwischen diesen Beteiligten verbessert. Beispielsweise seien die Aktivitäten der oben erwähnten Sonderbeauftragten zu verzahnen sowie Rahmenkonzepte für die Standardisierung von Prozessen und Datenmodellen zu entwerfen. Für diese Aufgabe müsse die Position eines Chief Information Officer (CIO) geschaffen werden. Neben Vertretern der Bundesbehörden sowie der Länder und Kommunen müssten Experten aus der Wirtschaft eine bestimmende Rolle in der E-Government-Agentur übernehmen.

Die Vorschläge des Bitkom, der die Informations- und Kommunikationsindustrie vertritt, sind durchaus interessengeleitet. Während in den Hochzeiten des IT-Booms das Behördensegment oft als unattraktiv links liegen gelassen wurde, reißen sich die Unternehmen heute angesichts schrumpfender IT-Budgets der Unternehmen um Aufträge der öffentlichen Hand. Allerdings ist die Arbeit oft mühselig, berichten Insider. Zu viele Ansprechpartner bei Bund, Ländern und Kommunen, unklare Kompetenzverteilungen, langwierige und verschlungene Entscheidungswege sowie der berüchtigte Amtsschimmel machten IT-Projekte häufig zu einem schwierigen Hindernislauf durch die Bürokratie. Eine Zentrale, in der zudem Vertreter der Wirtschaft vertreten wären, könnte die Sache aus Anbietersicht vereinfachen. Zu der Frage, wie eine solche Zentralbehörde verwaltungsrechtlich und organisatorisch in einem föderal strukturierten Staatsgebilde verankert werden könnte, schweigen die Industrievertreter jedoch.

Bund will keinen CIO

Angesichts dieser Schwierigkeiten erteilt auch Göttrik Wewer, Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, den Plänen der Industrie eine Absage. Anlässlich der Veranstaltung "E-Government - Chance für Wirtschaft und Verwaltung" des Bitkom und des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) in Berlin argumentierte der Nachfolger der heutigen Justizministerin Brigitte Zypries, dass eine zentrale Stabsstelle, wie sie im Masterplan gefordert wäre, das Projekt durch zusätzliche Bürokratie und Diskussionen eher behindern würde. Er sehe momentan keine Defizite der Projektorganisation und glaube deshalb nicht an die Notwendigkeit eines zentralen CIO.

Derzeit muss laut Wewer vor allem ein Problem gelöst werden: die Finanzierung von E-Government-Projekten besonders in den Ländern und Kommunen. Dazu kündigte Wewer eine intensivere Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen an. So sollten die Prozesse zwischen Bund, Ländern und Kommunen effizienter organisiert werden. Andererseits, so schränkt der Staatssekretär ein, sei an der föderalen Grundstruktur nicht zu rütteln. Die Eigenständigkeit der verschiedenen Ebenen und Behörden werde nicht angetastet. "Ich will nicht das Füllhorn des Bundes über den Kommunen ausschütten", so Wewer.

Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer des BDI, sieht die Finanzmisere als eine Hauptursache für den schleppenden Verlauf der E-Government-Initiative. So betrügen die IT-Ausgaben der öffentlichen Hand in Deutschland gerade einmal 0,27 Prozent des Bruttosozialprodukts, kritisiert der Industrievertreter. Damit liege Deutschland unter dem EU-Durchschnitt (0,34 Prozent) und weit hinter den Vorreitern Schweden (0,46 Prozent) und Dänemark (0,52 Prozent).

Schwarzer Peter bei Kommunen

Wewer will das niedrige Ranking so nicht gelten lassen. Schließlich hätten die anderen europäischen Länder auch keine deutsche Einheit finanzieren müssen. Auch das schlechte Abschneiden Deutschlands im Rahmen von E-Government-Untersuchungen verschiedener IT-Dienstleister wie zum Beispiel von Cap Gemini Ernst & Young (siehe CW 7/03, Seite 6) habe nicht der Bund zu verantworten. Länder und Kommunen seien schuld daran, dass das Land in Sachen digitale Verwaltung zurückgefallen sei. Zudem dürfe man die vorliegenden Studien nicht überbewerten, da diese allein die Online-Präsenz, nicht aber deren Qualität beurteilten.

Auch Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamtes, kritisiert die Arbeitsweise der Analysten und spielt den Ball an die Wirtschaft zurück. So werde beispielsweise nicht untersucht, wie intensiv Unternehmen E-Government-Angebote nutzten.

Schläft der Mittelstand?

Laut den Ergebnissen einer eigenen Umfrage unter den Kunden des Statistikamtes hätten erst zwölf Prozent mindestens einmal ein Online-Formular aus dem Netz heruntergeladen und nur sechs Prozent der Befragten dieses Formular auch auf digitalem Weg zurückgeschickt. Außerdem hinkten gerade kleine Firmen oft hinterher. Erst 60 Prozent der Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern besitzen laut Hahlen einen Internet-Zugang.

Ralf Armbruster, IT-Verantwortlicher für das Portal der Stadt Stuttgart, prangert ebenfalls die mangelnde Kooperationsbereitschaft auf Seiten der Wirtschaft an. Oft fehlten Ansprechpartner in den Unternehmen, mit denen man sich über das Angebot und mögliche Verbesserungen austauschen könnte. Er fordert außerdem konkretere Informationen darüber, was sich die Wirtschaft vom E-Government-Angebot des Bundes, der Länder und Kommunen erwarte. Hier gebe es noch deutliche Defizite.