"Bull wird weltweit ernst genommen, wenn Gewinne erzielt werden"

05.05.1995

CW: Wie bewerten Sie es, dass Motorola und NEC als Bull-Investoren gewonnen werden konnten?

White: Es ist ein Signal: Bulls Lebensfaehigkeit ist gross genug, um hochqualifizierte Investoren anzuziehen. Motorola ist ein finanziell starkes Unternehmen, und die Hoehe der Investition (zehn bis 17 Prozent) macht deutlich, dass Motorola es ernst meint. NEC (das Unternehmen hat seine Beteiligung auf 17 Prozent erhoeht, Anm.d.Red.) haette meiner Meinung nach seinen Anteil schon viel frueher auf 15 bis 20 Prozent anheben sollen. In dieser Privatisierungsrunde waere es besser gewesen, sie haetten auf 30 Prozent gesteigert. Das haette den Bull-Kunden und den Konkurrenten, in diesem Fall besonders Fujitsu, klargemacht, dass NEC sich ernsthaft in Europa engagiert.

CW: Wie steht es mit den anderen beiden Anlegern, IPC Corp. und Dai Nippon Printing, die jeder drei bis vier Prozent der Anteile erwerben wollen?

White: Mit Hilfe dieser Investoren hoffen die Franzosen, ihre bisher sehr schwache Praesenz in Asien auszubauen. IPC gehoert zur Zeit zu den groessten PC-Produzenten und -Distributoren im Fernen Osten. Gemeinsam haben sie den Aufbau einer gemeinsamen Fertigungsstaette in China angekuendigt; die Partner werden dort also auch produzieren.

CW: Werden sich durch diese erste Privatisierungsrunde die Produktlinien von Bull veraendern - insbesondere in bezug auf den Power-PC-Prozessor, der gemeinsam von IBM, Motorola und Apple entwickelt wurde?

White: In diesem Bereich haben IBM und Bull vor drei Jahren ein gemeinsames Projekt durchgezogen, um die interne Architektur des Power-PC-Chips so zu restrukturieren, dass er sich fuer symmetrisches Multiprocessing eignet. IBM unterstuetzte das Vorhaben mit einer Investition in Bull. Das Projekt ist beendet; Bull hat Maschinen angekuendigt, die den Chip nutzen. IBM wird diese Chipversion eventuell ebenfalls einsetzen.

CW: Erwarten Sie von Bull mehr Produkte auf Basis des Power-PC- Prozessors, und wird die Unternehmenstochter Zenith Data Systems den Baustein ebenfalls in ihren Desktop-Produkten nutzen?

White: Ja. Ich bin zwar kein PC-Analyst, aber offen gestanden glaube ich nicht, dass im Power-PC-Markt in der IBM-Welt, in der Microsoft-Welt, viel passiert, wenn sich die IBM dort nicht staerker engagiert. Sie muss diesem Markt ihren Segen geben.

CW: Wird die Privatisierung Bulls Profil als europaeischer Computerhersteller staerken?

White: Eine Geschaeftsstruktur aufzubauen, in der Gewinne erwirtschaftet werden, duerfte fuer das Profil am besten sein. Es ist schoen zu wissen, dass Bull ernstzunehmende Investoren gewonnen hat, aber die fuehren das Unternehmen nicht. Das ist Aufgabe des Managements. Der Turnaround, den das Unternehmen derzeit erlebt, ist zu grossen Teilen das Verdienst von Jean-Marie Descarpentries. Ich wuerde mein eigenes Geld in Bull investieren, wenn er ein Papier unterzeichnen wuerde, in dem steht: "Ich bleibe weitere fuenf Jahre." Alle europaeischen IT-Anbieter muessen sich einem Restrukturierungsprozess unterziehen. Das trifft auch auf ICL zu, die in diesem Prozess aber schon weiter fortgeschritten sind. Die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG liegt dagegen mit ihren Reorganisationsbemuehungen etwa ein Jahr hinter Bull zurueck. Bei Olivetti verhalten sich die Dinge etwas anders, weil die Italiener keine so breite Produktpalette anbieten wie ICL, Bull oder SNI.

CW: Wie ist es um Bulls Rolle als weltweiter Player bestellt?

White: Das Profil im Weltmarkt hat gelitten, weil Bull jahrelang den Eindruck erweckte, schlecht gemanagt zu werden, glanzlose Produkte zu vertreiben; kurz, ein interessantes, absolut franzoesisches Unternehmen zu sein, das die Faehigkeit besass, kontinuierlich Verluste zu machen. Bull wird dann weltweit ernst genommen, wenn Gewinne erzielt werden.

CW: Was erwarten Sie von der naechsten Privatisierungsrunde?

White: Ich bin enttaeuscht, dass sich das Management nicht am ersten Durchgang beteiligt hat. Descarpentries hat gesagt, ihm sei die Mitarbeiterbeteiligung sehr wichtig, sie veraendert die Motivation. Aber wir werden sicher bald erfahren, ob die Herzen der Mitarbeiter gewonnen wurden.

Das Gespraech mit Chuck White, Vice-President der Gartner Group, fuehrte IDG-Korrespondentin Cara Cunningham in Paris.