Unix bietet die richtigen Voraussetzungen

Bürosysteme: Elektronischer Schreibtisch statt DV-Technik

16.08.1991

Die Büroarbeit am Computer findet vor allem auf dem Rücken von Sachbearbeitern und Sekretärinnen statt. Sie von lästiger DV-Technik zu entlasten und ihnen einen aufgabengerechten Arbeitsplatz zu verschaffen, dies ist der Auftrag an die Anbieter von Office-Systemen. Wegen ihrer Offenheit, so Ute G. Rosin*, gehört hier Unix-basierten Systemen die Zukunft.

In den letzten Jahren hat sich im Arbeitsalltag ein Trend zur Strukturierung herauskristallisiert. Aktivitäten, die früher einzelnen Personen zugeordnet waren, werden abgelöst durch Arbeitszusammenhänge, die mehr als die bisherigen Einzelschritte umfassen, aber immer noch von einer Person ausgeführt werden.

Ein Sekretariat erledigt heute nicht mehr ausschließlich die Texterfassung und -bearbeitung, sondern übernimmt auch Aufgaben der Koordination, Organisation und Arbeitsvorbereitung. Mehrplatz-Systeme sorgen dafür, daß sich Daten ablegen, weiterleiten und austauschen lassen.

Doch bisher werden nur die einzelnen Aufgaben rationalisiert. Der Gesamtzusammenhang der Büroarbeit, der Arbeitsvorgang, bleibt in der heutigen Bürokommunikation so gut wie unbeachtet. Dabei ist gerade die Unterstützung der Vorgangsbearbeitung von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, den Büroalltag in seiner Gesamtheit zu rationalisieren.

Trotz der mit der Rationalisierung von Einzeltätigkeiten einhergehenden Produktivitätssteigerung kommt auf die Mitarbeiter immer mehr Verwaltungsaufwand zu. Heute nehmen die Basisfunktionen wie Dokumente abzulegen, wiederzufinden oder einen Terminkalender zu führen durchschnittlich 70 Prozent der täglichen Arbeitszeit ein. Die eigentliche Dokumenterstellung erfordert inzwischen den geringsten Zeitaufwand.

Dem Anwenderwunsch nach mehr Funktionalität entsprach die Industrie in den 70er Jahren durch die Entwicklung von Anwendungen, die mehrere Funktionen wie Textverarbeitung und Grafikerstellung gleichzeitig erfüllen konnten Damit hat der Kunde zwar alle nötigen Funktionen zur Hand, doch ein realitätsgerechtes Arbeiten war dennoch nicht möglich. Noch immer war der Gang zum richtigen Ordner im Aktenschrank oder zum Faxgerät unerläßlich. Die Suche nach einem Dokument, das von einem anderen Mitarbeiter erstellt und abgelegt wurde, kann sich durchaus zu einer Odyssee auswachsen.

Ziel der Bürokommunikation muß es jedoch sein, die Organisation von Dokumenten zu unterstützen. Was heißt das? Dokumente sind das kleinste Element aller im Büro anfallenden Arbeitsabläufe. Im Arbeitsprozeß werden viele verschiedene Dokumente erzeugt. Regelmäßig gibt es Einzeldokumente und Sammlungen von solchen, die durch ein bestimmtes Merkmal an Gemeinsamkeit gekennzeichnet sind.

Alle Vorgänge sind in der Akte gebündelt

Wenden wir uns einmal zur Veranschaulichung dem konkreten Beispiel der Personalakte Meier der Firma XYZ zu. In dieser Personalakte befinden sich alle Dokumente, die in irgendeiner Art und Weise mit dem Mitarbeiter Meier in Verbindung stehen. Dazu gehören zum Beispiel die Bewerbungsunterlagen, der Arbeitsvertrag, Zeugnisse, Gehaltsabrechnungen und vieles mehr. All diese Dokumente sind in einer Akte oder Mappe zu einem Vorgang zusammengefaßt. Als Gemeinsamkeit weisen sie das Attribut Meier auf.

Wenn nun der Vorgang Meier bearbeitet werden soll, geschieht dies in folgenden Arbeitsschritten: Der Bearbeiter geht zum Aktenschrank, wählt die Akte Meier aus, schlägt sie auf und sucht das von ihm gewünschte Dokument. Dann beginnt er mit der Bearbeitung, leitet es an einen Kollegen weiter oder versendet es extern. Zudem fertigt er eventuell noch Kopien an oder erweitert das Dossier um weitere Dokumente.

Die Organisation wird nicht unterstützt

Alles in allem findet ein komplexer Vorgang mit vielen verschiedenen Arbeitsschritten statt, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Dabei werden lediglich die Einzeltätigkeiten des Bearbeiters, wie zum Beispiel Texterfassung und -bearbeitung, Erstellen von Tabellen, elektronisch unterstützt. Die Aufgaben der Verwaltung, Organisation und Koordination erfahren keine Unterstützung.

Doch gerade die Arbeitsorganisation macht heute, wie schon angedeutet, den Hauptteil der täglichen Arbeit aus. Hier ist der Ansatzpunkt, um die Gesamtheit des Arbeitsalltages im Büro effektiver gestalten zu können.

Besonders für die öffentlichen Verwaltungen, wo formalisierte Vorgangsbearbeitung die Norm ist, gilt die Forderung nach Unterstützung dieser verwaltenden und organisierenden Tätigkeiten. Hier nimmt zusätzlich zur täglichen Büroarbeit die Beratung von Bürgern einen hohen Stellenwert ein, die viel Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Der zeitliche Aufwand, den die Dokumentorganisation verursacht, steht der Verwirklichung des Ziels einer bürgernahen Verwaltung jedoch entgegen.

Zukünftige Bürokommunikationssysteme müssen Vorgänge von der ersten Erstellung bis zu letzten Bearbeitung unter Wahrung der notwendigen Sicherheitsanforderungen umfassen. Dabei darf es sich nicht nur um einen Austausch von Informationen handeln, wie dies heute der Fall ist, sondern es muß Teamarbeit gewährleistet sein.

Häufig kommt es vor, daß ein Vorgang von verschiedenen Mitarbeitern bearbeitet werden muß, etwa wenn ein Dokument aus Urlaubsgründen nicht fertiggestellt werden kann. Normalerweise übergibt der Bearbeiter den gesamten Vorgang seinem Stellvertreter, der dann den Vorgang fortführt.

In einem solchen Fall muß gewährleistet sein, daß analog zum üblichen Arbeitsfluß alle zu bearbeitenden Dokumente oder die in einem Vorgang organisierten Dokumente auf den elektronischen Schreibtisch des Stellvertreters geholt werden können. Die erforderlichen Suchvorgänge zum Auffinden der gewünschten Dokumente und Vorgänge und die Dokumentorganisation erfolgen jetzt per Rechner und damit schneller.

Wie beschrieben, sind Dokumente das kleinste Element eines Arbeitsablaufes. Sie werden in Mappen oder Akten zu einem Vorgang zusammengefaßt. Ein Dokument kann dabei Bestandteil mehrerer Vorgänge sein. Genauso kann es vorkommen, daß ein einzelnes Dokument eines Vorganges bearbeitet werden soll Ausgangspunkt der Bearbeitung ist aber immer die Akte, aus der das gewünschte Dokument ausgewählt wird.

Übertragen auf die Arbeit mit einem Bürokommunikationssystem, ergibt sich das Problem, daß zur Bearbeitung von unterschiedlichen Dokumenten wie Text, Grafik oder Tabelle auch unterschiedliche Programme benötigt werden. Bislang ist hierzu zuerst ein Programm aufzurufen, im Dateipfad die gewünschte Datei zu suchen und auszuwählen, bevor mit der Bearbeitung begonnen werden kann.

Durch Dokumentorientierung wird dagegen erreicht, daß der reale Arbeitsablauf analog auf den elektronischen Schreibtisch übertragen wird. Der Bearbeiter ruft ein Dokument seiner Wahl auf, ohne sich darum zu kümmern, welches Programm dazu gestartet werden muß. Dies geschieht automatisch.

Allein die Zusammenstellung eines Vorganges entscheidet bei der Auswahl, nicht wie bisher die Notwendigkeit, ein Dokument in einem Verzeichnis des Jeweiligen Bearbeitungsprogramms abzulegen. Auf diese Weise bleiben Dokumente, die zusammengehören, für den Anwender auch erkennbar beisammen.

Damit wird die reale Arbeitssituation so auf dem elektronischen Schreibtisch abgebildet daß der Bearbeiter sie intuitiv bewältigen kann.

Zuständigkeiten und Befugnisse der Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Organisation variieren in den meisten Fallen erheblich. Ein Abteilungsleiter hat andere Befugnisse als seine Mitarbeiter.

Die im Betriebssystem Unix vorgesehenen Zugriffsklassen sind für eine realitätsnahe Abbildung von komplexen Strukturen in heutigen Unternehmen und Organisationen nicht geeignet. In einem effizienten Sicherheits-Management muß eine Zugriffsberechtigung modulierbar sein, die über die klassische Dreiteilung, wie Unix sie vornimmt, in Lese-, Schreib- sowie Schreib- und Leserechte weit hinausgeht.

Kompetenzen charakterisieren Zuständigkeiten und Befugnisse eines bestimmten Arbeitsplatzes eines Unternehmens. Sie sind also zunächst weder an Personen noch an Dokumente gebunden. Allerdings bildet die Kompetenzvergabe Hierarchien und Organisationsstrukturen des Unternehmens ab. Änderungen und Erweiterungen innerhalb des Kompetenzmodells sind durch die Möglichkeit, Kompetenzen nach Bedarf zuzuteilen oder auch zu entziehen, problemlos durchführbar. Auf diese Weise wird auch die Stellvertreter- und Stellenwechselproblematik einer sachgerechten Lösung zugeführt.

Ein weiterer Anspruch an effizientem Zugriffsschutz ist die Sicherstellung der Identität des Benutzers im gesamten System. Paßworte, die vor jeder sicherheitskritischen Aktivität eingegeben werden müssen, machen effektives Arbeiten unmöglich.

Eine Anmeldung der Benutzer bei einer zentralen Kontrollinstanz bietet sich an. Diese Instanz weist dem Benutzer ein zufällig generiertes Token zu, das bei jeder Aktion wie ein Staffelstab als Identifikator weitergegeben wird. Nur der Kontrollinstanz ist bekannt, welchen Benutzer welches Token repräsentiert. Vor jedem Zugriff auf Rechnerressourcen wird anhand der Kompetenzzuweisung die Berechtigung des die Aktion auslösenden Benutzers geprüft. Fällt diese Prüfung positiv aus, wird der Zugriff zuverlässig gewährt.

Für Office-Systeme gelten aber nicht nur die oben aufgestellten Forderungen nach Unterstützung der Dokumentorganisation, Vorgangsbearbeitung und individuell modellierbaren Zugriffsberechtigungen. Damit sie sich auf längere Dauer bewähren, ist es erforderlich, diese Systeme so zu konzipieren, daß sie für Veränderungen und Anforderungen der Zukunft offen sind. Das ist keineswegs eine weltfremde Forderung, denn was geschieht beispielsweise, wenn sich ein Unternehmen entschließt, systemfremde Applikationen einzubinden.

In den meisten Fällen ist eine derartige Einbindung kaum oder gar nicht möglich. Die Folge: Das Unternehmen bleibt entweder auf das bestehende System angewiesen oder muß sich auf hohe Neuinvestitionen einlassen, die dann viele oder sogar alle bisherigen Anschaffungen hinfällig werden lassen.

Office-Systeme sollten daher die Möglichkeit bieten, individuelle Erweiterungswünsche des Kunden und die Integrierbarkeit von Fremdprodukten vorzunehmen. Es gilt, in einem Bürosystem die unterschiedlichsten Editoren zur Verfügung zu stellen, um ein paralleles Arbeiten mit verschiedenen Dokumenttypen zu garantieren. Aus Anwendersicht verschmilzt die vorhandene Software und das zu integrierende Fremdprodukt zu einem einheitlichen Konzept.

Die positive Konsequenz von derart offenen Systemen wäre einerseits die erhöhte Motivation der Mitarbeiter, auf deren Bedürfnisse und Anforderungen direkt eingegangen werden kann, und andererseits die Reduktion von Kosten. Weiterhin besteht damit auch die Möglichkeit, Innovationen der Zukunft zu berücksichtigen. Die Einbindung von Sprache in ein Office-System zum Beispiel wäre problemlos realisierbar. Als ideales Betriebssystem für Office-Lösungen tritt Unix auf. Offenheit, Multiuser- und Multitasking-Fähigkeiten, Herstellerunabhängigkeit und die Möglichkeit von Asynchronität bei Arbeitsabläufen sind seine Charakteristika.

Darüber hinaus steht es auf unterschiedlichen Hardwareplattformen zur Verfügung: vom PC über die Workstation zum Abteilungs- und Großrechner. Damit erreicht der Anwender ein hohes Maß an Flexibilität bei der Hardware-Auswahl. Weiterhin entwickelt sich Unix in erstaunlicher Geschwindigkeit zum Standard-Betriebssystem für praktisch alle Rechnerklassen.

Damit wird sichergestellt, daß auch bei künftigen Hardwarebeschaffungen Produkte gefunden werden können, die den Einsatz der bisherigen Software auch weiterhin ermöglichen.