IT in der Verwaltung/Internet sorgt in Verwaltungen für kreative Unruhe

Bürger und Wirtschaft setzen große Hoffnungen in E-Government

06.10.2000
Von Interaktivität, von tatsächlichem Service gegenüber den Bürgern sind die virtuellen Rathäuser weit entfernt - noch dominieren die Homepages der ersten Generation. Und den Verwaltungschefs dämmert es langsam, dass sie ohne erhebliche Korrekturen ihrer verkrusteten Strukturen und ineffizienten Abläufe nicht sehr weit kommen werden. E-Government in Deutschland - eine Momentaufnahme von Winfried Gertz*.

Hans Mustermann ist neu in der Stadt. Im kommunalen Zentrum teilt ihm ein freundlicher Zeitgenosse mit, er könne alle erforderlichen Verwaltungsgänge gleich bei ihm erledigen. Eine halbe Stunde später ist Mustermann ordentlich angemeldet, hat eine Telefonnummer, verfügt über ein Abonnement der Lokalzeitung sowie über ein Konto bei der Sparkasse. Doch damit nicht genug: Auch das Auto ist bereits umgemeldet, die frisch gedruckten Kennzeichen und Papiere liegen zum Abholen bereit. Mit der Citizen Card, einem maschinenlesbaren Zahlungs- und Legitimationsmedium, das alle relevanten Angaben zur Person enthält, kann sich Mustermann das Ausfüllen von Formularen künftig ersparen. Dass die Post für den alten Wohnort ganz nebenbei noch einen Nachsendeauftrag erhält, hätte der von so viel Bürgerservice überwältigte Zeitgenosse fast vergessen zu erwähnen.

Unterzeichnungsorgien wird es nicht mehr geben - das versprechen sich Stadtväter von neuen interaktiven Verwaltungssystemen. Im Netz will man sich endlich vom Image der verstaubten Aktendeckel und schwerfälligen Bürokratie befreien. Bürger und Wirtschaft wird es freuen. Auch den Unternehmen soll einiges von ihrer Last genommen werden. Beispiel: Gewerbeanträge. Rund 781000 wurden 1999 laut Statistischem Bundesamt gestellt. Rechnen alle Antragsteller die jeweilige Anfahrt und die Wartezeiten einmal zusammen, landen sie bei rund 100000 Arbeitstagen sowie 250000 Stunden nur für die interne Bearbeitung, kalkuliert Johannes Nagel, Chef der FJD Information Technologies GmbH in Kirchheim. Etwa 300000 Formulare seien im vergangenen Jahr falsch ausgefüllt oder einfach weggeworfen worden. 40 Millionen Mark könne die öffentliche Hand bei der Online-Bearbeitung einsparen, so Nagel. Doch unter den deutschen Stadtoberhäuptern scheint die frohe Kunde von Kosteneinsparung und freundlichem Bürgerservice - vor allem per Internet - nur in Einzelfällen angekommen zu sein. Nach Angaben von Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sind von rund 14500 Rathäusern lediglich 2500 im Netz. Allenfalls 500 davon könnten überhaupt interaktive Services anbieten.

Habbel, gefragt nach dem Potenzial von E-Government in Deutschland: "Das Internet ist ein Fast-Food-Restaurant und weit davon entfernt, dem Besucher sowohl Gaumenkitzel als auch erstklassigen Service anbieten zu können."

Doch gibt es hoffnungsvolle Ansätze. In Hamburg sind 40 Formulare und Anträge im Internet abrufbar. Nach Angaben von Senatssprecher Rainer Scheppelmann lassen sich auf diese Weise Material- und langfristig auch Personalkosten verringern. Arbeitserleichterungen durchs Internet verspricht sich ebenfalls der Berliner Senat. Die Verwaltung an der Spree stellt eine Gewerbedatenbank, Ausschreibungen und Exposés von Immobilien ins Netz. Die Resonanz kann sich sehen lassen: Pro Monat würden rund viereinhalb Millionen Zugriffe aufs Internet-Angebot registriert, heißt es.

Dass immer mehr Bürger und Unternehmen auf Behördenleistungen im Netz zugreifen, stellt auch der Bremer Senat fest. Binnen Jahresfrist habe sich die Zahl verdoppelt, so Sprecher Klaus Schleusser. Formulare elektronisch abrufen kann man nun auch in Leipzig und Frankfurt. Doch was als virtuelles Rathaus angepriesen wird, ist teilweise nicht mehr als ein Infokasten in Form einer Internet-Seite. Während sich vorn Stadtverwaltungen als bürgerfreundliche Tausendsassas in die Brust werfen, platzen solche Marketing-Blasen beim Blick hinter die Kulissen sehr schnell.

Vor allem die Bürgermeister geben eine schlechte Figur ab, Interaktion scheint ein Fremdwort zu sein. Wie die Hamburger Unternehmensberatung Mummert & Partner in einer Untersuchung der 54 größten deutschen Städte ermittelte, beantwortet nur die Hälfte der Verwaltungschefs Bürgeranfragen per E-Mail innerhalb einer Woche. 17 Prozent reagierten überhaupt nicht. Bei jedem zehnten Stadtoberhaupt kam die E-Mail mit einer Fehlermeldung zurück.

"Besonders stiefmütterlich", so heißt es, behandelten die Bürgermeister der Metropolen München, Hamburg und Köln konkrete E-Mail-Anfragen zum kommunalen Service im Netz. Erst im zweiten Anlauf kam die Antwort und - wie auch in Berlin und Frankfurt - lediglich mit einem knappen Verweis auf die Homepage der Stadt. Mit einer vergleichbar hohen Serviceorientierung im Netz profilierten sich dagegen die Bürgermeister kleinerer Städte wie Hagen, Braunschweig oder Neuss.

Für wichtige Formalitäten müsse man sich im Übrigen nach wie vor auf Ämtertour begeben, so die Marktforscher von Mummert & Partner. Auf den aufwändig gestalteten Sites finden sich lediglich etwa die Öffnungszeiten und Adressen der wichtigsten Ämter.

Wie Pricewaterhouse-Coopers ermittelte, verfügt allerdings nur jede zehnte Stadtverwaltung diesbezüglich über eine klare Strategie. Zusätzlich behinderten unklare rechtliche Rahmenbedingungen, ein Mangel an qualifiziertem Personal sowie finanzielle Engpässe die Einführung virtueller Verwaltungen.

Wie Thomas Paulsen, Public-Sector-Experte bei Pricewaterhouse-Coopers, erläutert, räumen die Städte tatsächlich vor allem der inhaltlichen Optimierung ihrer Websites und dem Download von Formularen hohe Priorität ein. "Politiker und Verwaltungsbeamte laufen Gefahr", so Paulsen, "sich von der gegenwärtigen Internet-Euphorie anstecken zu lassen und lediglich auf kurzfristige Erfolge zu setzen."

Doch sei die Situation nicht aussichtslos. Chronische Mittelknappheit ließe sich etwa durch neue Finanzierungsmodelle in Kooperation mit Privatinvestoren überwinden. Leider sei der Gedanke den meisten deutschen Städten fremd, über E-Government-Dienstleistungen neue Einnahmen zu generieren. Beispiel Werbebanner: "Nur jede dritte Kommune hat ein Konzept zur Integration von E-Government-Lösungen in elektronische Marktplätze entwickelt", kritisiert Paulsen.

"E-Government ist Chefsache", betonte deshalb auch Professor Arnold Picot von der Universität München anlässlich des Kongresses "Verwaltung ans Netz" vor wenigen Wochen in der bayerischen Landeshauptstadt. Es genüge nicht, Behörden ans Netz anzudocken und elektronische Formulare zum Download anzubieten. Bevor die Verwaltung überhaupt kunden-, also bürgerfreundliche Arbeit verrichten könne, müssten Abläufe und Strukturen an die veränderten Bedingungen angepasst und es müsste erheblich in die Weiterbildung von Mitarbeitern investiert werden.

Erste Priorität hat die Informationstechnologie, sie ist der wesentliche Antrieb für Veränderungen. "Aus internationalen Studien wissen wir", erläuterte in München Marga Pröhl von der Bertelsmann-Stiftung, "dass die Städte am weitesten bei der Umsetzung von E-Government-Strategien sind, deren Chefs sich persönlich um die IT kümmern." In der Regel stünde ihnen ein Chief Information Officer (CIO) zur Seite, der die Projekte dezernatsübergreifend vorantreibe.

Dies hat auch das Land Rheinland-Pfalz in seinem Projekt "Verwaltung 24" beherzigt. Ein zentraler Lenkungsausschuss aus vier Ministerien agiert wie ein CIO. Ernst Theilen, Staatssekretär des Innenministeriums: "Unser Ziel ist die Integration aller Beteiligten in Kommunikationssysteme rund um die Uhr." Die bereitgestellten Haushaltsmittel sollen von aktuell 105 Millionen auf 200 Millionen Mark im nächsten Jahr steigen. Damit alle Verwaltungsstellen miteinander kommunizieren können, stehe bald ein 300-Mbit-Backbone zur Verfügung. 2003 ist sogar die Einführung von Voice-over-IP vorgesehen. "Verwaltung aus einem Guss" sei Resultat der Standardisierung auf Windows NT, Outlook und X.500 und dem durchgängigen Einsatz von Workflow- und Dokumenten-Management-Systemen zu verdanken.

Doch so optimistisch solche Versuche auch stimmen mögen, an einem Grundproblem beißen sich alle Verantwortlichen die Zähne aus. Professor Herbert Kubicek von der Universität Bremen: "Weil kaum Transaktionen über das Netz stattfinden, lohnen sich die Investitionen nicht." Andererseits sei der Aufwand im Vergleich zu Brief und Fax um ein Vielfaches höher zu veranschlagen.

Kubicek, seit Jahren involviert in die Begleitforschung von E-Government-Projekten, die rund um den Globus stattfinden, nennt zwei Knackpunkte. Erstens sei die Schnittstellenproblematik, die sich aus einem unüberschaubaren Systemsalat ergebe, vorläufig nicht zufrieden stellend zu lösen. Zum anderen sei der Entwicklungsstand von Kartenlösungen, die mit dem bald möglichen Verfahren der digitalen Signatur verknüpft sind, noch nicht an die Realität in Verwaltungen angepasst. Die Hoffnungen, die zum Beispiel mit der elektronischen Steuererklärung, auch unter dem Projektnamen "Elster" bekannt, verknüpft sind, relativierten sich sehr schnell, wenn man eine andere Größe in die Kalkulation mit einbezieht. Kubicek: "Zwei Drittel der Bürger würden aus Angst vor Datenverlust oder mangelnder Sicherheit ihre Steueranträge nicht online einreichen."

*Winfried Gertz ist freier Fachjournalist in München.