Literatur über das Internet verkaufen

Buchläden und Verlage wollen im Web auftrumpfen

07.08.1998

Stolze 17,5 Milliarden Mark setzt der deutsche Buchhandel nach Informationen des Börsenvereins jährlich um. Neben Büchern vertreiben die Anbieter auch CDs und Software. Laut einer Untersuchung des US-Marktforschungsunternehmens Jupiter Communications verkaufen deutsche Buchshops im Internet dieses Jahr Waren für rund 45 Millionen Mark. Das sind zwar derzeit nur etwa 0,25 Prozent des Gesamtumsatzes. Doch mit Einnahmen von zirka 111 Millionen Mark soll sich dieser Wert schon 1999 mehr als verdoppelt haben. Für das Jahr 2002 erwarten die Analysten gar etwa 1,18 Milliarden Mark. Kein Wunder, daß Verlage und Buchhändler den neuen Vertriebskanal ernst nehmen.

Erstaunlicherweise erkannten zunächst Branchenfremdlinge wie Amazon.com in den USA den Absatzkanal Internet. Im Mai übernahm der Branchenprimus aus Amerika den deutschen Debütanten ABC Bücherdienst http://www.telebuch.de und verstärkte damit seine Präsenz in Europa. Doch zumindest einige Verleger und Buchhändler sind inzwischen aufgewacht und haben die Notwendigkeit erkannt, im Web präsent zu sein.

Die Anfang 1998 gegründete Buch.de AG aus München, eine Allianz von 30 Verlagen und 20 Buchhändlern, bietet über ihre Homepage rund 800 000 lieferbare Titel an. Das Unternehmen möchte Ende des zweiten Halbjahres 1999 an den Neuen Markt gehen. Im Vorfeld des Börsengangs können Anleger bis zum 30. August dieses Jahres 100000 Stammaktien zeichnen.

Auch der Medienkonzern Bertelsmann betreibt seit Februar 1998 mit "Boulevard.de" einen Büchershop im Web - es handelt sich dabei um die Wiedergeburt des "Bertelsmann Clubs". Im Herbst wollen die Gütersloher mit "Books Online" einen internationalen Megastore eröffnen.

Einen indirekten Vertriebsweg gehen Großhändler wie Libri http://www.libri.de , Koch, Neff & Oettinger (KNO) http://www.buchkatalog.de sowie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels http://www.buchhandel.de, www.vlb.de, Verzeichnis lieferbarer Bücher . Anders als bei Amazon.com betätigen sie sich als Dienstleister für Buchhändler. Wer einen Schmöker bei Libri.de bestellt, erhält eine Auswahl von Händlern aus dem Postleitzahlgebiet des Kunden, bei denen online Bücher geordert werden können.

Angesichts der enormen Investitionen für einen Web-Auftritt sind die oft kleinen oder mittelständischen Buchhändler auf Zusammenschlüsse angewiesen. Über den Zuspruch seitens ihrer Kunden können Großhändler wie Libri und KNO nicht klagen. Andere Erfahrungen machte da Michael Urban, Marketing-Experte bei Buch.de: "Einige Händler vertreten die Ansicht, der Internet-Boom sei eine Modeerscheinung, die nach drei Jahren wieder verflogen sein wird."

So verheißungsvoll der Vertriebskanal Internet auch sein mag, er wird kaum zu mehr Absatz von Büchern führen. Vielmehr erwarten Kenner der Branche eine Verlagerung des Umsatzes von der Buchhandlung zum Internet.

Wer hiervon profitieren will, muß potentielle Kunden erst einmal auf seine Homepage lotsen. Internet-Surfer können etwa über Suchdienste und Bannerwerbung zu den elektronischen Händlern geleitet werden. Geschickt wählen die Anbieter daher die Namen ihrer Unternehmen aus, um bei der alphabetischen Sortierreihenfolge der Suchmaschinen möglichst weit oben auf der Trefferliste zu landen.

Beispielsweise betitelt die Buch.de AG ihren Web-Shop mit "Aachener Buchversand". Mit Suchdiensten weiß auch Libri umzugehen. Wer auf der Search Engine "Fireball" nach einem Begriff wie etwa "Italien" sucht, erhält den dezenten Hinweis, daß Libri Bücher zu diesem Thema im Sortiment hat. Ein Klick bringt den User zur Homepage der Firma, die auch gleich eine Literaturliste präsentiert.

Dem Kunden werden nicht mehr nur eine schlichte Suchfunktion für Bücher und ein Warenkorb inklusive Bestellfunktion präsentiert. Boulevard.de beispielsweise setzt vor allem auf "Erlebniseinkäufer". Der Besucher kann sich, indem er auf Symbole klickt, ein "Traumbuch" heraussuchen lassen, welches zu seiner Gemütslage paßt. Er bekommt hierzu Bilder gezeigt und Musik vorgespielt. Nach dem Vorbild von Branchenprimus Amazon.com ermuntert auch Bertelsmann die Leseratten aus dem Internet, an einem Kollektivroman mitzuschreiben. Etwas bieder gestaltet sich dagegen die Homepage von Buch.de. Doch das soll nicht so bleiben. So wollen die Münchner Rezensenten gewinnen, die Neuerscheinungen besprechen. Auf allzu bunte Internet-Seiten möchte das Unternehmen aber auch in Zukunft verzichten, schon wegen der Ladezeiten.

Aushängeschild Kundenberatung

Eher nüchtern geht es auch bei der Amazon-Tochter Telebuch.de zu. Daran ändert auch der literarische Kalender nichts. Auf dieser Web-Seite stellt der Anbieter Bücher mit Tagesbezug vor, etwa Werke von Dichtern an deren Geburts- oder Todestag.

Gern betonen die Anbieter ihre gute Kundenberatung. Bei kniffligen Fragen sollen Buchexperten per E-Mail, Fax oder Telefon weiterhelfen. Außerdem erlauben die Web-Sites dem surfenden Bücherwurm, seine Interessen in einem Online-Profil offenzulegen. Auf diese Weise erhält er dann Informationen über Neuerscheinungen, die ihm gefallen könnten. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dürfte die Datenbank sein, in der die verfügbaren Buchtitel verwaltet werden. Deren Umfang, Performance und die Vielfalt der Suchfunktionen spielen eine wichtige Rolle.

Die Idee, Bücher inklusive einer Grußkarte als Geschenk im Internet zu ordern und von dort aus zu versenden, haben sich bisher Buch.de, Telebuch.de und libri.de zu Nutze gemacht. Bei der Bertelsmann-Tochter Boulevard sucht der Käufer vergeblich nach solchen Angeboten.

Spannend bleibt, wie sich die hiesigen Online-Händler gegen die Schwergewichte aus Übersee behaupten werden. Zwar besitzen deutsche Anbieter einen Erfahrungsvorsprung für den europäischen Markt, doch Übernahmen durch und Kooperationen mit US-Firmen werden nicht die Ausnahme bleiben. Das Hauen und Stechen wird richtig losgehen, wenn - und das ist schon absehbar - die deutsche Buchpreisbindung der Regulierungswut der EU zum Opfer fällt. Amazon.com in den USA beispielsweise verdient nach Angaben eines Branchenkenners in erster Linie an dem Versand von Büchern, da die Druckware selbst angesichts des Preiskampfs auf dem amerikanischen Literaturmarkt kaum noch etwas abwirft.

Je mehr sich die deutsche Buchbranche mit dem Verkauf über das Internet anfreundet, desto mehr werden sich gewohnte Vertriebsstrukturen verändern. Wer weiß denn schon, ob die Großhändler in Zukunft nicht dazu übergehen, direkt Bücher über das Web zu verkaufen und den Buchhandel außen vor zu lassen.

Warum Bücher im Internet verkaufen?

Im Grunde erfanden die Buch-Shops im Web kein neues Geschäftsmodell, sondern übertrugen das Prinzip des Buchversands auf das weltweite Datennetz. Was bringt nun die Kunden dazu, Literatur im Internet zu ordern? Michael Urban, Marketing-Leiter bei Buch.de in München, identifiziert fünf Kundengruppen.

- Firmen, die wenig Zeit haben, um zur Beschaffung von Fachliteratur eine Buchhandlung aufzusuchen.

- Einzelpersonen, denen die Ladenschlußzeiten ein Greuel sind.

- Neugierige, die einfach mal den Einkauf im Web ausprobieren möchten.

- Internet-Fans, die so ziemlich alles online erwerben wollen.

- Käufer, die anonym bleiben möchten, da sie etwa Sachbücher für die Behandlung von Krankheiten oder andere Lebenshilfe-Literatur benötigen.

Zudem bietet der Buch-Shop im Internet ausgefeilte Suchfunktionen an, die dicke Kataloge im Laden nicht bieten können. Bestimmte Bücher sind teilweise anderswo nicht erhältlich, besonders ausländische Literatur.

Kostenvorteile gibt es indes kaum. Noch verhindert die Preisbindung einen scharfen Wettbewerb wie in den USA. Generell berechnen aber viele Büchershops im Web mittlerweile keine Versandgebühren für Bestellungen innerhalb von Deutschland mehr. Dagegen muß der Kunde für ausländische Titel zusätzlich zahlen, soweit diese nicht auf Lager liegen.

Zwar experimentieren bereits einige Buch-Shops mit elektronischen Zahlungssystemen, online bezahlen können die Kunden allerdings noch nicht. Statt dessen ermuntern die Anbieter die Käufer dazu, ihre Kreditkartennummer oder Bankverbindung einzugeben, um dann später den Betrag abbuchen zu können. Wem das zu unsicher ist, der darf seine Daten auch faxen oder telefonisch sagen.