Kiez-Bühnen lassen ihre Software beim ASP spielen

Buchhaltung hinter den Theaterkulissen

16.06.2000
Seit Anfang des Jahres setzen die Hamburger Privattheater Schmidt und Schmidts Tivoli auf Application-Service-Providing (ASP) für das Rechnungswesen. Seither arbeiten die Bühnen mit einem anderen Buchhaltungssystem, das erstmals Wirtschaftlichkeitsberechnungen von einzelnen Produktionen und Unternehmensteilen erlaubt. Ludwig Mertens* stellt die Lösung vor.

Wenn es auf den Bühnen des Schmidt Theater und des Schmidts Tivoli hoch hergeht, jubelt auch Betriebswirt Winfrid Tiede, zuständig für Marketing und DV der Schmidts Tivoli Kultur und Gaststättenbetriebs GmbH: "Wir haben jetzt tägliche Reports zur Kostensituation, können effizienter planen und wirtschaftlicher arbeiten." Denn für die Schmidt-Theater sind Fragen existentiell, die sich subventionierte Bühnen nicht stellen müssen: Wie erfolgreich ist eine Show? Muss sie abgesetzt oder verlängert werden?

Mit einer durchschnittlichen Auslastung von weit über 80 Prozent geht das Konzept vom Theater auf dem Kiez auf. Auch die Kasse stimmt - schließlich lebt die Kunst nicht vom Applaus allein. "Wir schreiben schwarze Zahlen, und das ohne einen Pfennig Zuschuss aus der öffentlichen Hand", sagt Hausherr Corny Littmann stolz. Er sieht die Unabhängigkeit von Subventionen als Vorteil. Denn was an staatlichen Theatern oft tabu ist oder erst erprobt wird, gehört bei den Machern vom Kiez längst zur Routine: Marketing-Partnerschaften mit Bier- und Zigarettenfirmen, Auftritte auf Firmenveranstaltungen, Werbeproduktionen und die Organisation von Promotionveranstaltungen lassen die Kasse klingeln und machen die Theater bekannter.

Mit der Liveübertragung von Aufführungen im Internet haben die Theatermacher schon vor zwei Jahren Neuland betreten. Auch vor ungewöhnlichen Spielorten scheuen sie nicht zurück. So zeichnen die Protagonisten von der Reeperbahn für das Showprogramm des Clubschiffes "Aida" und des Skiclubs "Zürs" in Österreich verantwortlich. Untrennbar mit dem Konzept verbunden ist zudem die Theatergastronomie, die sich mit einem Bistro, einem Restaurant und einem Nachtclub zum Szenetreff entwickelt hat.

Doch die Schwachstelle der Theater war bisher die Kostenrechnung. Ein Controlling von Produktionen und der unterschiedlichen Einnahmequellen gab es wie in vielen anderen deutschen Theatern nicht.

Für die Buchhaltung in allen Unternehmensbereichen setzten die Bühnenbetriebe im Hause das Programm "Conto" von der Topix Informationssysteme GmbH, Ottobrunn, ein, das mit der Datenbank "4th Dimension" von ACI Software Vertriebs GmbH, Neufahrn, auf einem Windows-NT-Server lief. Doch häufige Server-Ausfälle führten zu Datenverlusten und damit zu Inkonsistenzen in der Datenbank. Die Updates mussten umständlich selbst installiert werden. "Da kamen schnell mehrere Stunden pro Woche nur für die Systempflege zusammen", erinnert sich Tiede. Bei drei Arbeitsplätzen in der Buchhaltung eines turbulenten Theaterbetriebs war das ein erheblicher Nachteil der nun abgelösten Applikation.

Das größte Manko war jedoch, dass keine Kostenträger gebucht werden konnten, so dass "eine vernünftige Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der einzelnen Produktionen nicht möglich war", so Tiede. Außerdem mussten die Zahlen aus dem Buchhaltungssystem beim Steuerberater noch einmal erfasst werden, damit sie in dessen Datev-Software weiterverarbeitet werden konnten. Dadurch wuchsen die Kosten übermäßig.

Auf der Suche nach einem neuen System stand neben der zu verbessernden betriebswirtschaftlichen Transparenz die Einsparung solcher Kosten im Vordergrund. Zwar schaute sich Tiede verschiedene Softwarepakete an, doch waren sie dem Manager zu teuer: "Die Lizenz für eine interne kaufmännische Komplettlösung auf Client-Server-Basis können wir uns nicht leisten." So freundete er sich mit dem Angebot des Dienstleisters Simplyst Rechnungswesen Management GmbH & Co. KG, Hamburg, an, der die Hard- und Software für die Buchhaltung gegen eine Monatspauschale extern vorhält. "Die Lizenz für drei Arbeitsplätze kostet uns nun einschließlich Rechenzentrumsleistungen, Backups, Updates, Wartung und Hotline-Support rund 1500 Mark monatlich", so Schmidt-Manager Tiede. Die mit 2 Mbit/s Standleitung zum Internet-Service-Provider sei bereits vorhanden gewesen, so dass zusätzlich lediglich geringfügig höhere Traffic-Gebühren anfielen.

Das neue Buchhaltungssystem, das seit Anfang des Jahres für die exakte produktionsbezogene Erfassung von Ausgaben und Einnahmen in den beiden Szenetheatern sorgt, basiert auf R/3 von der SAP AG. Für das Hosten und Warten bietet der Dienstleister das ASP-Paket "E-Count" an, das sich an mittelständische Unternehmen wendet. Das R/3-System ist vorkonfiguriert und läuft zusammen mit dem "SQL Server" von Microsoft auf einem Windows-NT-Server.

Auf der Anwenderseite sorgen Windows-98-Clients für den Zugriff. Über die Internet-Verbindung können die Schmidt-Buchhalter jederzeit Buchhaltungsdaten online eingeben und die gewünschten betriebswirtschaftlichen Auswertungen auf den Bildschirm holen. Die Daten werden verschlüsselt und über einen hauseigenen Router, den es schon vorher im Schmidts gab, über das Internet an den Router des Dienstleistungsrechenzentrums gesendet und umgekehrt.

Die Einführung und die Mitarbeiterschulung erfolgten innerhalb von 14 Tagen im Dezember 1999. Pünktlich zum Beginn des Geschäftsjahres am 1. Januar 2000 wurde das System in Betrieb genommen.

*Ludwig Mertens ist Texter und Fachautor in Hamburg.

Kult und Kommerz in Schmidts TheaternDie Privattheater Schmidt und Schmidts Tivoli, 1988 beziehungsweise 1991 gegründet, liegen Tür an Tür auf der Hamburger Reeperbahn. Sie zählen mit ihrem kultigen Image zu den populären Treffpunkten der Hansestadt. Während im Schmidt Theater der Schwerpunkt auf Varieté, Kabarett und Kleinkunst liegt, stehen im Schmidts Tivoli eigenproduzierte Musicals und Revuen sowie Gastspiele auf dem Programm. Bundesweit bekannt wurden die Kiezbühnen durch die Fernsehübertragungen der "Schmidt-Show". Szenestars wie Komödiant Michael Mittermeier, Ulknudel Marlene Jaschke oder "Wahre Liebe"-Moderator Lilo Wanders begannen hier ihre Karriere.

Einer der beiden Gründer und geschäftsführenden Gesellschafter ist der Jurist Norbert Aust, Professor an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik. Sein Counterpart Corny Littmann hält auf der Bühne den Kopf hin. Er gilt als kreativer Experte für die wohlabgestimmte Melange aus Kiez und Kultur, die beim Publikum so richtig ankommt und für gefüllte Zuschauerränge sorgt. "Wir müssen schneller, unkonventioneller und immer einen Schritt weiter vorne als die anderen Theater sein", umschreibt der Hamburger Unternehmer des Jahres 1999 das Erfolgsrezept seiner Häuser.

Die Schmidts Tivoli Kultur und Gaststättenbetriebe GmbH setzt mit den beiden Theatern, drei Gastronomiebetrieben und zahlreichen externen Projekten jährlich rund 13 Millionen Mark um. Zu den knapp 700 Aufführungen im Jahr 1999 kamen 225000 Zuschauer, die für eine Auslastung von 90 Prozent im Schmidt Theater und 80 Prozent im Schmidts Tivoli sorgten.

In der Verwaltung kümmern sich 30 Mitarbeiter um Marketing, künstlerischen Betrieb, Gastronomie, DV, Rechnungswesen und die Betreuung von rund 170 festen und freien Mitarbeitern. Das Unternehmen setzt Unix- und Windows-NT-Server ein, die mit PCs und elektronischen Kassensystemen vernetzt sind. Darüber hinaus verfügt es über ein Intranet-Informationssystem, Internet-Anbindung sowie eine Schnittstelle zum Ticketverkaufssystem "Ticketsoft" von Start Ticket, Bad Homburg.