Die selbstauferlegten konservativen Geschaeftsregeln verletzt

Buchfuehrungspraktiken sollen IBMs Misere verschleiert haben

16.04.1993

So soll die bisher immer fuer ihr konservatives Finanzgebaren gelobte IBM wacklige Auftraege bereits als Umsaetze gebucht haben. Darueber hinaus duerfte sich Big Blue auch bei der Abrechnung von Leasing-Geschaeften unueblicher Methoden befleissigt haben. DiePraktiken haetten keine Gesetze verletzt und seien auch nicht Ursache fuer die grundlegenden Probleme der IBM, berichtet das amerikanische Wirtschaftsblatt weiter. Allerdings vertreten einige Finanzexperten die Meinung, dass genau zu der Zeit, als die Geschaefte von Big Blue boomten, sich die Company in der Buchhaltung merklich weniger konservativ zeigte. "Seit Mitte der 80er Jahre hat IBM Anleihen auf die Zukunft gemacht, um die damaligen Profite hoeher erscheinen zu lassen", erklaerte Thornton O?glove, ein fuer seine kritische Einstellung bekannter Wirtschaftspruefungs-Experte aus San Franzisko.

Fragen nach den buchhalterischen Praktiken sind fuer den angeschlagenen Computerhersteller peinlich - nicht nur, weil das Unternehmen immer als Verkoerperung eines konservativen Finanzgebarens galt, sondern auch, weil Big Blue seinen Angestellten eine sehr strenge Unternehmensethik mit auf den Berufsweg gibt. So muessen alle IBM-Einsteiger versichern, dass sie die 28seitige Broschuere "Business Conduct Guidelines" gelesen haben, die sie davor warnt, "Informationen inkorrekt zu berichten" oder diese "absichtlich so aufzubereiten, dass sie missverstanden werden oder in die Irre fuehren koennten".

Beweise fuer die "aggressive" Buchhaltung kommen laut WSJ aus verschiedenen Quellen. Bereits im November 1988 sei bei der IBM ein 20-Punkte-Memorandum ihres Chef-Wirtschaftspruefers bei Price-Waterhouse, Donald Chandler, eingegangen, in dem dieser wissen liess, dass IBM Umsaetze verbuche, die eventuell nie realisiert werden koennten. Beispielsweise kritisierte er, dass die Armonker bereits Lieferungen an Haendler als Umsatz verzeichnete, obwohl diese das Recht hatten, die Ware zurueckzugeben. Das gleiche Verfahren habe die IBM laut Chandler-Memo mitunter angewendet, wenn es um Lieferungen in die eigenen Lager ging - ein sehr viel aggressiverer Ansatz als ihn viele andere High-Tech-Companies verfolgten, berichtet das Blatt weiter.

Laenger als zehn Jahre habe die IBM von Merrill Lynch & Co. und anderen ein eher seltenes Finanzmanoever ausfuehren lassen, das die Ergebnisse aus dem Leasinggeschaeft schoente. Das Verfahren erlaubte es dem Hersteller, sofort und in voller Hoehe Umsaetze aus langfristigen Leasingvertraegen zu registrieren, obwohl die Gelder erst im Laufe der Vertragsdauer nach und nach eingingen. Ein Unternehmen, das als Leasinggeber taetig ist, kann (nach Paragraph 7D der amerikanischen Financial Accounting Standards) die erwarteten Einnahmen aus diesem Geschaeft dann als "Sales-type-lease" sofort in voller Hoehe verbuchen, wenn die Summe der Leasingraten plus dem Wert des Rechners bei Auslaufen des Vertrages mindestens 90 Prozent der Summe ausmacht, die der Computer bei Vertragsabschluss wert ist. Wenn das nicht zutrifft,muss das Unternehmen den Deal als "operational lease" behandeln und darf die Umsaetze erst verbuchen, wenn die Leasingraten tatsaechlich gezahlt werden.

Da IBM in dem heiss umkaempften Leasingmarkt auch Angebote gemachthat, bei denen sicher war, dass sie nicht auf die besagten 90 Prozent kommen wuerde, bot Merrill Lynch & Co. eine sogenannt 7D-Versicherung an, die den Armonkern am Ende des Leasingvertrages einen bestimmten Wert fuer den Computer garantierte - genug, damit IBM alle Abschluesse als "Sales-type-lease" registrieren konnte. Bis 1990 arbeitete Big Blue mit Merrill, seit dem sichert sich der Hersteller bei einem anderen 7D-Versicherer ab, dessen Namen er nicht bekannt gibt.

Auch das verstiess nicht gegen die vom amerikanischen "Financial Accounting Standards Board" festgelegten Regeln, aber einige Wirtschaftspruefer kritisieren diese Praktik fuer ein sonst konservatives Unternehmen als "sehr ueberraschend". Chandler bezeichnete diese Umsatzstuetze als "sehr besorgniserregend" und empfahl der IBM dringend, das Manoever weniger oft einzusetzen - einen Rat, den IBM laut WSJ nicht beherzigte.

Fussnoten in den Geschaeftsberichten machen deutlich, dass sich das Unternehmen 1984 auch bei der Buchfuehrung ueber die enormen Investitionen in Ausruestung und Ruecklagen fuer die Pensionskasse von der konservativen Attitude verabschiedete. Die Veraenderungen versetzten IBM in die Lage, die Investitionskosten erst spaeter auszuweisen. Obwohl viele andere Unternehmen so handelten, koennten dadurch die IBM-Profite staerker vergroessert worden sein, als Investoren bisher gedacht haben. Zwar veroeffentlichte Big Blue die Details der Veraenderungen, sagte aber nie, welchen Einfluss diese auf die Gewinne gehabt haben und verweigert auch heute noch jede Auskunft dazu. Oglove schaetzt, dass der Hersteller durch diese Aenderungen 1984 einen um 26 Prozent hoeheren Profit ausweisen konnte.

"Damals begann die Talfahrt, von der viele andere Finanzanalysten nichts mitbekamen, weil sie nach wie vor glaubten, die IBM befleissige sich der gleichen konservativen Buchfuehrung wie zu Beginn der 80er Jahre", sagte der Experte gegenueber dem "Wall Street Journal Europe".

Big Blue verteidigte die Veraenderungen in der Buchfuehrung und teilte mit, alle Schritte seien aus vernuenftigen Gruenden erfolgt. In einer 22 Seiten umfassenden Antwort auf Fragen des WSJ liess das Unternehmen wissen: "Wenn unsere Methoden und Praktiken mit denen anderer Unternehmen verglichen werden, dann koennen sie in keiner Weise - auch nachtraeglich nicht - anders dargestellt werden als bedachtsam und vernuenftig."