Stuttgarter Softwareschmiede fliegt aus dem Nemax

Brokat in ernsten Finanznöten

17.08.2001
MÜNCHEN (CW) - Die Brokat AG wird künftig nicht mehr im Auswahlindex Nemax 50 vertreten sein. Der Softwareanbieter steckt tief in den roten Zahlen - in der aktuellen Rangliste der Börse belegt er nur noch den 122. Platz unter den 342 am Neuen Markt gelisteten Unternehmen.

Anfang des Jahres hatte das US-amerikanische Magazin "Time" die Stuttgarter E-Commerce-Spezialisten noch zu den 30 vielversprechendsten Technologiefirmen Europas gezählt. Davon kann jetzt wohl nicht mehr die Rede sein. Trotz eines Umsatzanstiegs von 22,1 auf 28,2 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr meldete Brokat für das zweite Quartal einen Nettoverlust von 824,4 Millionen Euro. Darin enthalten sind einmalige Abschreibungen in Höhe von 735,2 Millionen Euro, die das Unternehmen auf das "schlechte Klima am Markt" zurückführt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte das Minus noch 75,2 Millionen Euro betragen.

Zu forsche WachstumspolitikDer jähe Fall von Brokat hat die Branche schockiert. Gartner-Analyst Massimo Pezzini bezeichnet das Unternehmen als "sehr ambitioniert". Doch offenbar habe die Company ihr Ziel, "die Welt zu erobern, etwas zu aggressiv verfolgt". Pezzini spielt dabei vor allem auf die Übernahmen der US-Softwarefirmen Blaze und Gemstone an.

Aber auch mit seiner Internationalisierungsstrategie habe sich das schwäbische Unternehmen übernommen: "Bei dem Versuch, eine weltweite Vertriebsorganisation aufzubauen, wurde viel Geld verbrannt", meint Pezzini. "Als dann die wirtschaftliche Abkühlung erst in den USA und dann in Europa begann, ging es bergab."

Jetzt versucht Brokat mit Hilfe von international ausgerichteten Restrukturierungsmaßnahmen zu retten, was zu retten ist. Vorgesehen ist die Aufteilung des Unternehmens in Finanzanwendungen, das Hauptgeschäft von Brokat, sowie in M-Business-Software und Programme für die Rechteverwaltung (Brokat Advisor). Die drei Units sollen unabhängig voneinander agieren. 300 Mitarbeiter verlieren ihren Job.

Pezzini bezweifelt allerdings, dass die Umstrukturierung viel Sinn hat. Seiner Ansicht nach wäre es besser, das Unternehmen zu veräußern, da das Geld nur noch für höchstens ein Quartal reiche, wenn Brokat nicht bald eine kräftige Finanzspritze erhalte. Dies ist nach Einschätzung des Experten jedoch recht unwahrscheinlich: "Für die Technik würde sich bestimmt ein Geldgeber finden, aber wer will schon diese Verluste übernehmen?" Ähnlich sieht es Rober Mutschler von Forrester Research: "Der weiße Ritter ist nicht in Sicht", so der Analyst.

Die letzte Hoffnung ist seiner Ansicht nach der Siemens-Konzern, der mit drei Prozent an Brokat beteiligt ist und gemeinsam mit dem Softwareunternehmen mobile Bezahlsysteme entwickelt. Allerdings gilt dieser Bereich noch nicht als besonders lukrativ. Laut Forrester-Analystin Michelle de Lussanet werden sich Investitionen in mobile Payment-Lösungen nur langfristig auszahlen. "Das Potenzial ist enorm - es kann aber noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis der Markt Gewinne abwirft", schätzt die Expertin. Laut Forrester wurden im vergangenen Jahr in Europa 101 Millionen Euro über mobile Bezahlsysteme abgewickelt. Diese Summe soll zwar bis 2005 auf 26 Milliarden Euro ansteigen. "Das entspricht dann jedoch gerade einmal einem halben Prozent der gesamten Verbraucherausgaben", rechnet de Lussanet vor.

Neben Brokat müssen auch Kinowelt und Telegate den Nemax verlassen, da sie nach Börsenumsatz und/oder Marktkapitalisierung nicht mehr zu den 60 größten Werten am Neuen Markt zählen. Als Nachfolger der drei Absteiger bestimmte die Deutsche Börse AT&S Austria, GPC Biotech und Süss Micro Tec.