AOL provoziert mit Studie

Bringt Flatrate 400 000 neue Arbeitsplätze?

18.02.2000
MÜNCHEN (CW) - Die Rechnung scheint einfach: In Deutschland könnten mittelfristig bis zu 400000 neue Arbeitsplätze in Zukunftsbranchen entstehen, wenn eine monatliche Pauschalgebühr für den Internet-Zugang (Flatrate) eingeführt wird. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten, das im Auftrag von AOL Europe entstand.

Experten der Branchenverbände stehen den Ergebnissen der Studie indes skeptisch gegenüber. Auch wenn sie Beschäftigungsimpulse durch eine neue Preispolitik der Internet-Nutzung begrüßen würden, zweifeln sie doch an der hohen Zahl der neuen Stellen. Alexander Bojanowski, Sprecher des Bundesverbandes Informationstechnologien (BVIT): "Angesichts von 80000 nicht zu besetzenden IT-Stellen sind 400000 neue Arbeitsplätze unrealistisch. Im Vergleich zu allen IuK-Beschäftigten wäre das ja eine über 50-prozentige Steigerung. Das kann kein Bildungssystem leisten."

"Wir haben den Beschäftigungsimpuls, der mit einer günstigen Flatrate und als Folge davon einer erhöhten Internet-Nutzung einhergeht, noch konservativ eingeschätzt. Würden die Weichen im Bildungssystem gestellt, könnten noch viel mehr neue Jobs entstehen." Paul Welfens, Präsident des Europäischen Instituts für internationale Wirtschaftsbeziehungen (EIIW) an der Universität Potsdam und Verfasser des Gutachtens, ist fest von der stimulierenden Wirkung einer Flatrate auf die Volkswirtschaft überzeugt. Ein Vergleich mit anderen OECD-Ländern zeige, dass zwischen hohen Netzpreisen und geringer Netznutzung ein Zusammenhang bestehe.

Sein Appell an die Deutsche Telekom, günstige Pauschaltarife einzuführen, kommt Auftraggeber AOL gelegen. In Deutschland liegt der amerikanische Online-Dienst immer noch deutlich hinter dem Marktführer T-Online. Nachdem Telekom-Chef Ron Sommer vergangene Woche eine Flatrate für weniger als 100 Mark im Monat angekündigt hatte, reagierte AOL mit Zeitungsanzeigen. In denen forderte AOL-Chef Andreas Schmidt Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, für alle dieselben Marktbedingungen zu schaffen. Die Konkurrenz könnte die Einführung einer Flatrate blockieren, wenn sie dem Carrier nachweist, dass er von der Telekom-Tochter T-Online niedrigere Zugangspreise verlangt als von deren Wettbewerbern.

Die Höhe einer Flatrate ist auch in den Augen von Professor Welfens entscheidend für deren volkswirtschaftliche Auswirkungen. Nur bei Preissenkungen von 20 bis zu 50 Prozent würde sich die Zahl der Internet-Nutzer deutlich erhöhen und das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 Prozent beziehungsweise um 19 Milliarden Mark steigen. Ein "preiswertes Internet" mit einer monatlichen Flatrate von unter 80 Mark würde Unternehmensgründern und bestehenden Firmen in diesem Umfeld neue Expansionsfelder eröffnen. "Wenn Firmen durch E-Commerce ihre Beschaffungskosten um 20 Prozent reduzieren, könnte das Geld wieder in neue Arbeitsplätze investiert werden."