G.fast macht Kupferkabel wieder attraktiv

Breitband für alle per Telefonkabel?

04.11.2015
Von 
 ist Director Fixed Access bei Alcatel-Lucent.
Tausende Kilometer Kupferkabel sind in Deutschland verbaut. Sie bilden das "Endstück" der letzten Meile im weltweiten Kommunikationsnetz und verbinden Millionen Haushalte und Firmen mit dem Internet. Dank technischer Verbesserungen sind mittlerweile Verbindungen von bis zu 100 MBit/s möglich. Neuste Technik verspricht gar Gigabit-Tempo.
Mit G.fast können vom Verteiler bis zum Endkunden Bandbreiten von über 100 Mbit/s über Kupferkabel gefahren werden.
Mit G.fast können vom Verteiler bis zum Endkunden Bandbreiten von über 100 Mbit/s über Kupferkabel gefahren werden.
Foto: Deutsche Telekom

Für TV on Demand, ruckelfreies Video-Gaming oder 3D-TV sind gerade in Mehrfamilienhäusern hohe Übertragungskapazitäten nötig. Anbieter, die Haushalte mit schnellem Superbreitband-Internet versorgen wollten, mussten Glasfaser legen. Dieses in Fachkreisen "Fiber to the Home" genannte (FTTH)-Modell ist aufwändig und langwierig zu installieren. Jeden Haushalt mit Glasfaser zu versorgen, braucht sehr viel Zeit. Denn bis alle Haushalte, jedes Gebäude, jeder Bauernhof und jedes Bergdorf ans Glasfaserkabelnetz angeschlossen sind, können noch zehn bis 20 Jahre vergehen. Dafür muss buchstäblich überall neues Glasfaserkabel vergraben werden. Kein Endanwender möchte aber zehn Jahre oder noch länger warten - er will mehr Bandbreite - am besten sofort. Die Vernetzung vom Kabelverzweiger bis ins Haus bleibt deshalb für Millionen Konsumenten ein Schwachpunkt.

Mit G.fast, einer Technologie, die erst Ende 2014 standardisiert wurde, tritt jetzt ein "Game-Changer" auf die Bühne. Denn sie ermöglicht Datenübertragungen über traditionelle Kupferkabel von 200 MBit/s bis zu 1 GBit/s. Das hat bisher in der Praxis nur die Glasfaser geschafft. Diensteanbieter können so kostengünstig Fiber-to-the-Home (FTTH)-Netze beschleunigen. G.fast erreicht auf kurzen Distanzen Übertragungsraten zwischen 150 MBit/s und rund 1 GBit/s über herkömmliche Kupfer-Telefonleitungen.

Geschwindigkeitsrekorde bei Bell Labs

Teure Baggerarbeiten, um Glasfasern auf den letzten Metern zu verlegen, entfallen bei G.fast.
Teure Baggerarbeiten, um Glasfasern auf den letzten Metern zu verlegen, entfallen bei G.fast.
Foto: Mnet

Und es geht noch weiter! Der Prototyp einer Weiterentwicklung von Bell Labs namens XG-FAST hat sogar eine Weltrekordgeschwindigkeit von 10 Gbit/s über eine Entfernung von 30 Metern mit zwei Kupferdoppeladern geschafft. Unter den realen Bedingungen eines ‚Glasfaser-zum-Verteilpunkt-Anschlusses’ (fiber-to-the-distribution-point, FTTdp) erzielte der Prototyp über eine Distanz von 70 Metern Übertragungsgeschwindigkeiten von aggregiert zwei Gbit/s und symmetrisch einem Gbit/s auf einer Kupferdoppelader. Dieses Testumfeld bestätigtet einen wichtigsten Anwendungsfall von XG-FAST: Bei einer Entfernung von 70 Metern können Diensteanbieter die vorhandene Kupferinfrastruktur nutzen, um Geschwindigkeiten von einem Gbit/s (symmetrisch) ins Haus oder die Wohnung zu bringen.

Bell Labs erzielte diese Rekordgeschwindigkeiten mit Frequenzen von bis zu 500MHz, was wesentlich höher ist als die jüngst von der ITU für den G.fast-Standard verabschiedeten Frequenzbereiche. Die Feldversuche bestätigen aber, dass die Grenzen von Breitband über Kupferkabel immer noch weiter hinausgeschoben werden können und dass hybride Glasfaser/Kupfer-Infrastrukturen vollständige Glasfaserimplementierungen sogar noch einige Jahrzehnte lang komplettieren / ergänzen können. Konkret können Diensteanbieter mit G.fast (und später gegebenenfalls mit XG-FAST) Glasfaser-Geschwindigkeiten anbieten, ohne physisch Glasfaser im gesamten Gebäude verbauen zu müssen.

Kupferkabel mit Gigabit-Speed

Mit Fttdp-Installationen lassen sich Breitbandnetze bauen, ohne Glasfaser bis zum Haus zu verlegen.
Mit Fttdp-Installationen lassen sich Breitbandnetze bauen, ohne Glasfaser bis zum Haus zu verlegen.
Foto: FttH Council Europe

Der Aufbau einer Glasfaserinfrastruktur ist aufwändig. Das verzögert bislang den umfassenden FTTH-Ausbau. Das Ausheben ganzer Straßenzüge und Plätze ebenso wie die Neuverkabelung eines jeden Haushalts stellt für Dienstebetreiber eine enorme Herausforderung dar. Aktuell begegnen sie ihr, indem sie ein Glasfasernetz dort errichten, wo eine entsprechende Nachfrage dies kommerziell lohnenswert erscheinen lässt. Gleichzeitig beschleunigt sich aber weiter die Nachfrage nach ultraschnellen breitbandigen Netzverbindungen, angetrieben durch neue Applikationen, verstärkten Wettbewerb und ehrgeizige Breitbandausbau-Initiativen der Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund werden nun auch Anbieter von Microtrenching in Deutschland aktiv. Sie wollen Glasfaser per Frässchnitt in Bürgersteige oder in den Straßenbelag legen - was Zeit- und Kostenersparnis gegenüber tieferen Grabungen bedeutet. Ob dieses Verfahren sich durchsetzt und von den Kommunen unterstützt wird, bleibt abzuwarten.

Mehrere europäische Diensteanbieter evaluieren aktuell Gigabit-Verbindungen über G.fast oder haben sogar schon erste Pilotanwendungen im Betrieb. Mit G.fast können Diensteanbieter Glasfaser bis hin zu kleinen DSLAMs oder Netzknoten an Mikro-Sites bringen, die an der letzten Verteilstation vor dem Kundengerät installiert sind. Die kleinen DSLAMs, kompakte Verteileinheiten, sind in einer Vielzahl von Innen- und Außen-Standorten flexibel aufstellbar. Jede Einheit bedient typischerweise zwischen einem und sechzehn Endkunden und ist über Kupferkabel von circa 100 Metern mit den Kundengeräten verbunden.

Die kurzen Distanzen, die für FTTdp-Installationen nötig sind, bieten ideale Voraussetzungen für Ultra-Breitband-Geschwindigkeiten. So nutzt vektorisiertes VDSL2 beispielsweise ein Spektrum von 17 MHz und liefert eine aggregierte Datenübertragungsgeschwindigkeit von bis zu 150 Mbit/s auf jeder Leitung. Das breitere von G.fast genutzte Spektrum (bis zu 106 MHz in Phase 1 und 212 MHz in Phase 2) ermöglicht sogar aggregierte Übertragungsgeschwindigkeiten von 500 Mbit/s bis zu 1 Gbit/s innerhalb der optimalen Reichweite. Wie die Tests von Bell Labs gezeigt haben, birgt die Nutzung noch höherer Frequenzbereiche das Potenzial noch höherer Geschwindigkeiten.

Die breiten Frequenzbänder können aber nur über kurze Entfernungen effektiv genutzt werden. Bei langen Distanzen von mehreren hundert Metern ist die die Dämpfung des Kupfers zu stark, um hohe Frequenzen, wie sie für G.fast benutzt werden, zu unterstützen. Daher bleiben VDSL2-Vectoring und der neue Standard "Vectoring Plus" die Technologien der Wahl für längere Distanzen.