Der richtige Weg in die Breitbandzukunft

Breitband-Diaspora oder schon Schlaraffenland?

27.06.2013
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Zeiten, in denen noch darüber diskutiert wurde, ob jeder Haushalt einen Breitbandanschluss benötigt, sind glücklicherweise vorbei. Heute dreht sich die Diskussion um den richtigen Weg in die Breitbandzukunft.
Foto: Stihl024, Fotolia.com

Ungläubige Gesichter erntete Anne Ruth Herkes, Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, als sie auf einer Podiumsdiskussion der Deutschen Breitbandinitiative zum Thema „Breitband 2013 – Strategien und Herausforderungen auf dem Weg zu den schnellen Netzen“ konstatierte, dass „Deutschland einen Spitzenplatz belegt und im G7-Vergleich in Sachen Breitbandnutzer auf Platz zwei steht“. Nimmt man dagegen die Zahlen des FTTH Councils, dann gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa, während Staaten wie Lettland oder Litauen eine führende Rolle einnehmen.

Die Regierung diskutiert weiter

Regulierungswahnsinn „made in Germany“
Regulierungswahnsinn „made in Germany“
Foto: Deutsche Telekom

Wie es zu solchen diametral entgegengesetzten Einschätzungen kommen kann, erklärt sich schnell, wenn man im Detail betrachtet, wie die verschiedenen Protagonisten Breitband definieren und wie sie daraus ihre Handlungsagenda ableiten. Für Herkes haben die 52 Prozent der Haushalte einen Breitbandanschluss, für die LTE verfügbar ist. Und es könnten noch mehr werden, denn Iris Henseler-Unger, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, stellt den Mobilfunkern mit der „Digitalen Dividende II“ ab 2015 für LTE neue Funkfrequenzen im 700-Megahertz-Bereich (bislang für das Fernsehen genutzt) in Aussicht.

50 Milliarden für die Glasfaser?

Das FTTH Council sieht dagegen in LTE als „shared medium“ keinen adäquaten Breitbandanschluss, da sich alle Teilnehmer einer Funkzelle die Bandbreite teilen. Erschwerend kommt hinzu, dass mit zunehmender Entfernung vom Sendemast die Übertragungsraten bei LTE drastisch einbrechen. Folgerichtig kann es aus Sicht des FTTH Council nur eine Technik geben, um die Breitbandversorgung sicherzustellen: die Glasfaser. Allerdings hat die Sache einen Haken – Experten schätzen, dass ein Glasfaserausbau in Deutschland zwischen 30 und 50 Milliarden Euro kosten würde.

Deshalb wird das FTTH Council auch nicht müde, die deutschen Breitbandförderprogramme, deren Etat lediglich im Millionenbereich liegt, als ungenügend zu kritisieren, während etwa unser Nachbar Frankreich ein 20-Milliarden-Euro-Programm zum Breitbandausbau aufgelegt habe. Allerdings vergessen die Glasfaseranhänger, dass es ein Unterschied ist, ob ein nur um wenige Metropolen stark besiedeltes Land wie Frankreich mit Glasfaser erschlossen werden soll oder ein zersiedelter Flächenstaat wie die Bundesrepublik.

Endlich handeln

Alternative VDSL-Vectoring
Alternative VDSL-Vectoring
Foto: Deutsche Telekom

Angesichts dieser Zankerei platzt Pragmatikern wie Walter Haas, CTO bei Huawei Deutschland, allmählich der Kragen. Er fordert: „Mehr tun und weniger reden.“ In das gleiche Horn stößt Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21: „Wie sollen wir etwa älteren Menschen erklären: Ihr könntet trotz ärztlichen Überwachungsbedarfs zwar in eurem Haus – in womöglich auch noch ländlicher Umgebung – wohnen bleiben, denn die Technologien, die dies unterstützen, gibt es schon. Nur leider steht das Netz noch nicht zur Verfügung.“ Forderungen, die leicht gestellt sind, in der Praxis scheitern sie aber an der deutschen Regulierungsrealität. Im Zuge der Telekom-Privatisierung wurde dem ehemaligen

Staats-Carrier die Verfügungsgewalt über die letzte Meile – also die Strecke vom Hauptverteiler, früher auch als Ortsvermittlungsstelle bekannt, bis zum Endkunden – zugesprochen. Und gerade der Ausbau dieser letzten Meile ist besonders kostspielig, denn hier fallen teure Grabungsarbeiten an. So ist es fraglich, ob sich solche Investitionen, etwa beim Glasfaserausbau, wirklich rechnen. In den eingangs erwähnten baltischen Staaten – für Deutschland liegen keine offiziellen Zahlen vor – liegt die Glasfaser-Konversionsrate bei bescheidenen 30 Prozent. Eine Größenordnung, bei der sich nach Ansicht vieler Experten ein Glasfaserausbau in vielen Fällen kaum rechnen dürfte.

Streitpunkt Vectoring

Ein kurzfristiger Ausweg aus diesem Dilemma stünde mit VDSL-Vectoring zur Verfügung. Doch hier streiten sich Telekom und die in Buglas, Breko und VATM organisierten Telekom-Konkurrenten seit Monaten wie die kleinen Kinder erbittert über Regulierungsfragen. Leidtragende sind letztlich die Bewohner und Firmen in den weißen Flecken ohne vernünftige Breitbandversorgung – denn in den Augen des Autors sind LTE und andere Funktechniken wie Wimax oder 802.11ad kein adäquater Ersatz.

Neben anderen Faktoren entsteht damit ein weiterer Punkt, der die Landflucht und Entsiedlung ganzer Landstriche fördert. Während in den Metropolen zwischen zwei oder drei Breitbandanbietern (Bandbreite größer 20 Mbit/s) gewählt werden kann, bleiben in der Fläche nur bescheidene DSL-Angebote oder LTE. Im jetzigen Zustand sind das Dienste, die der Generation „Always on“ und Teleworkern mit virtualiserten oder Cloudbasierten Anwendungen kaum genügen dürften. Für die Betroffenen und für Unternehmen, für die die Breitbandverfügbarkeit zum wichtigen Standortfaktor wird, zeichnet sich immerhin ein Lichtblick ab: Die Kabel-TV-Netzbetreiber könnten in die Bresche springen.