Wird die IA-64-Architektur im dritten Anlauf ein Erfolg?

Branchengrößen folgen Intels Itanium-Kurs

11.07.2003
MÜNCHEN (ls) - Unmittelbar nach der Vorstellung des neuen Itanium 2 6M ("Madison") präsentierten die großen Server-Anbieter mit dieser CPU ausgestattete Systeme. Intel macht sich Hoffnungen, endlich die 64-Bit-Architektur etablieren und der Risc-Konkurrenz Paroli bieten zu können.

Was Intel bei dem Versuch, von der 32- in die 64-Bit-Klasse aufzusteigen, bisher geboten hat, war nicht gerade erbaulich. Der erste Itanium, Codename Medley, sollte gar nicht erst ein Massenprodukt werden. Intel ging es primär darum, die Entwicklung von Rechnern zu ermöglichen, mit denen Softwarehäuser ihre Applikationen auf Intels neue 64-Bit-Architektur portieren könnten. Doch nicht einmal dazu kam es, weil der Prozessor einfach zu fehlerhaft war. Seither standen nicht nur die Softwarehäuser, sondern auch die Hardwareanbieter den Itanium-Chips eher reserviert gegenüber. Und die Anwender kauften weiter 32-Bit-Systeme mit Intels Xeon-Prozessor und Risc-basierende 64-Bit-Server der Konkurrenz.

Besonders heftig verbrannten sich NEC und Dell die Finger. NECs 16-Wege-System "Azusa", der erste Itanium-Rechner überhaupt, wurde ein Ladenhüter. Dann kam das Itanium-2-basierende Modell "Asama" heraus - in dem ein Kunde einen CPU-Fehler entdeckte. Dell zog eine unverkäufliche Itanium-1-Maschine vom Markt zurück - und bot gar nicht erst einen Rechner mit dem folgenden Intel-Prozessor Itanium 2 an.

Gerade 100 Anwendungen waren vor einem Jahr, als Intel den Itanium 2 (McKinley) freigab, auf diesen Chip portiert. Pessimisten orakelten, wenn das so weitergehe, bleibe wohl nur der Entwicklungspartner Hewlett-Packard dem Prozessorriesen treu. Für Intel stand eine Fünf-Milliarden-Dollar-Investition auf dem Spiel.

Extraschichten für Intels Entwickler

Während sich die 64-Bit-erfahrene Risc-Konkurrenz die Hände rieb, mussten die Chipde-signer von Intel und ihre Mitentwickler von Hewlett-Packard nachsitzen. Die für Partnerschaften zuständigen Manager gingen Klinken putzen, um mögliche Chipkäufer und Softwarehäuser davon zu überzeugen, dass der Madison ein großer Wurf sein werde. Und tatsächlich startet der dritte Anlauf vielversprechend.

Intel-Manager strahlen dieser Tage um die Wette, und zwar nicht nur, weil nach einigen Verzögerungen endlich der Madison unter dem etwas verwirrenden offiziellen Titel "Itanium 2 6M" erschienen ist (siehe CW 27/03, Seite 11). Vielmehr können sie zugleich eine ganze Reihe von großen Namen der Branche präsentieren, die den neuen Prozessor zum Herz ihrer Server machen werden. Auch die Liste der Itanium-verpflichteten Softwarehäuser sieht beachtlich aus.

Den Vortritt gab Intel Hewlett-Packard, das für seine Treue bei der Itanium-Entwicklung belohnt wurde. HP platziert seine neuen Madison-Server (siehe CW 27/03, Seite 11), sei es als Highend-Workstation, als Zwei- oder Vier-Wege-System für Cluster oder als Variante der "Superdome"-Number-Cruncher, primär im wissenschaftlich-technischen Umfeld. Diese Orientierung könnte daher rühren, dass HP im Supercomputing eine starke Marktpräsenz hat. Beispielsweise kommen die elf schnellsten Rechner bei BMW von HP, und zehn von ihnen sind Superdome-Maschinen. Diese Ausrichtung könnte sich bald auf die kommerzielle Datenverarbeitung erweitern, wenn HP in wenigen Monaten als "Midrange" angekündigte Acht- und 16-Wege-Systeme mit dem Madison auf den Markt bringt.

Bei Bull ist schon heute eine Ausrichtung auf kommerzielle Anwendungen für die Intel-64-Bit-Architektur zu erkennen. Die ab sofort mit dem neuen Itanium 2 bestückten "Novascale"-Server sind explizit sogar nicht nur im Backoffice für Datenbanken, Data Warehouses und Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme positioniert, sondern auf ihnen sollen auch beispielsweise Bulls Open-Source-Application-Server "Jonas" und der "Weblogic"-Server von Bea laufen. Für Letztere könnte sich das Novascale-Modell 4040 mit vier CPUs anbieten, während die Acht-, 16- und 32-Wege-Systeme 5080 und 5160 für datenbankintensive Anwendungen in Betracht kommen dürften.

Bauelemente mit schnellen Verbindungen

Die Franzosen verwenden die neuen Itanium-Chips auf den "Quad Brick Blocks" (QBB) der selbst entwickelten "Flexible Architecture for Multiple Environments" (Fame). Ein mit jeweils vier Prozessoren und RAM besetztes QBB-Board ist dabei über eine Bull-eigene "Fame Scalability Switch" nicht nur mit I/O-Kanälen, sondern auch mit weiteren QBBs verbunden. Diese enge Kopplung sehr leistungsfähiger Boards ist ein typisches Baukonzept aus der Großrechnerwelt und Voraussetzung für ein effektives Speicher-Sharing. Offenkundig dringt mit der neuen Itanium-2-Generation Mainframe-Technik in die Intel-Welt vor.

Das ist auch bei Unisys zu erkennen. In den jetzt mit dem Madison ausgestatteten Servern der Serie "ES7000/400" sind Vier-Prozessor-Module, die mit maximal 32 GB RAM bestückt sind, über "Crossbar"-Verbindungen mit einander und mit den I/0-Subsystemen verbunden. Das Einstiegsmodell 410 verfügt so über vier oder acht CPUs, die Modelle 420 und 430 kommen auf 16 beziehungsweise 32 CPUs. Unisys positioniert diese Rechnerfamilie für Applikationen mit großem Adressbereich und nutzt damit die Fähigkeit des Prozessors, mehr Hauptspeicher ansprechen zu können. Der Anbieter sieht insbesondere das Modell 420 für große Datenbanken und Business-Intelligence-Lösungen vor.

Konzentration auf wenige Betriebssysteme

Ein Kuriosum von Unisys ist es, dass der Anbieter als einziger im Feld seine Itanium-2-Rechner ausschließlich mit dem Betriebssystem Windows Server 2003 ausliefert. Alle anderen bieten außerdem die Linux-Versionen von Suse und Red Hat und gegebenenfalls ihr Unix-Derivat an. Bei Bull kommt noch das hauseigene Betriebssystem GCOS hinzu. Die Konzentration aller Anbieter auf wenige Betriebssysteme bei gleichzeitiger - aus der Mainframe-Welt stammender - Fähigkeit zur Partitionierung der Rechner zeigt an, wohin die Reise geht: Anwender sollen ihre Infrastruktur auf einen oder wenige Server konsolidieren und so die Administrations- und Wartungskosten senken können.

Das ist auch die Intention hinter einem besonderen Unisys-Angebot, dem Hybridsystem "ES7000/560". In ihm lassen sich 32-Bit-Module mit 64-Bit-Boards mischen und unter einer einzigen Administrationssoftware betreiben. Dass sich Maschinen auf Basis des Itanium 2 für die Konsolidierung der Infrastruktur anbieten, betont auch Fujitsu-Siemens Computers (FSC). Das Unternehmen hat noch kein entsprechend ausgestattetes System auf den Markt gebracht, allerdings "Primergy"- und "hpc-Line"-Server auf Madison-Basis angekündigt. Die Münchner wollen damit nicht nur das Angebot für technische Anwendungen wie Computer Aided Engineering ausbauen. FSC betont vielmehr auch die Eignung der Madison-Systeme für Business-Critical-Anwendungen wie SAP und Backend-Datenbanken.

Ganz anders positioniert sich NEC. Die Japaner konzentrieren sich erklärtermaßen auf den technisch-wissenschaftlichen Markt, in dem sie seit langem mit Vektorrechnern stark vertreten sind. Dabei haben sie auch für das kommerzielle Midrange-Segment etwas anzubieten. Denn bei der "TX7" sind bis zu acht Vier-Prozessor-Zellen (inklusive RAM) über ein "Crossbar"-Netzwerk untereinander und mit den PCI-X-I/0-Kanälen verbunden. Auf diese Weise lässt sich eine TX7 von vier auf maximal 32 Itanium-2-Prozessoren mit 512 GB RAM und 112 PCI-X-Boards ausbauen, die sich bis auf die Größe eines Boards mit vier CPUs physikalisch partitionieren lassen. Neue Madison-basierende TX7-Systeme hat der Anbieter gerade beim britischen Wetterdienst Metoffice und beim Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) installiert.

Besseres Preis-Leistungs-Verhältnis?

Trotz guter Mainframe-Verkäufe hat IBM aus der stark zunehmenden Verbreitung von Clustern den Schluss gezogen, dass die Kunden auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten und nach Alternativen suchen werden. Das hat Big Blue nach Worten von Manager Tikiri Wanduragala dazu bewogen, "Technologie von Highend-Systemen für High-Volume-Umgebungen zu nutzen". Aus der Großrechnerwelt überführt IBM zum einen "Autonomic-Computing"-Features auf die Madison-Rechner - Techniken also, mit denen Server sich selbst konfigurieren, verwalten und absichern können. Zweitens geht es wie beiden anderen Anbietern mit Mainframe-Erfahrung darum, IA-64-CPUs und Speicher auf einem System-Board eng miteinander und mit anderen Boards zu verbinden. Bei IBM sorgt dafür ein unter dem Codenamen "Summit" entwickeltes Chipset, das den Titel "Enterprise X Architecture" (EXA) trägt. Dessen Design ist Open Source, eine Seltenheit in der Hardwarewelt.

IBM hat EXA schon für Maschinen der X-Series mit 32-Bit-Xeon-Prozessoren verwendet. Dieses Chipset eignet sich auch für 64-Bit-Systeme wie den Itanium-2-basierenden Server "x450". Unter der gleichen Typenbezeichnung war schon im April dieses Jahres ein Server auf Basis des Madison-Vorgängers McKinley erschienen. Doch nach Entdeckung eines Fehlers im Chip hatte IBM den Vertrieb eingestellt. Jetzt kommt die x450 mit dem Itanium 2 6M wieder auf den Markt. In seiner ersten Version hat das 26000 Dollar teure System vier CPUs, in Kürze werden weitere Modelle mit bis zu 16 Prozessoren erscheinen. IBM positioniert den Rack-Server explizit für Datenbankanwendungen.

Eher auf High-Performance-Computing zielt IBMs zweiter neuer Itanium-2-Rechner. Der "x382" ist nach Herstellerangaben auf die Verwendung in Linux-Clustern zugeschnitten. Das Rack-System birgt zwei 1,5 Gigahertz schnelle Itanium-2-Prozessoren, 4 GB Hauptspeicher und zwei Festplatten mit je 73 GB Kapazität. Der Preis beträgt 26 589 Dollar. Darüber hinaus steht Big Blue vor der Fertigstellung eines Blade-Servers mit Intels 64-Bit-Architektur, der in IBMs "Bladecenter"-Chassis passen wird. Der Anbieter hat bei dieser Entwicklung eng mit Intel kooperiert. Es ist zu erwarten, dass dieses ultrakompakte System auf der angekündigten stromsparenden "Deerfield"-Variante des Itanium 2 aufbauen wird.

64-Bit-Cluster für massive Anwendungen

Genau daran arbeitet inzwischen wohl auch Dell, obschon noch nichts verraten wird. Es liegt einfach nahe, das Blade-Angebot um 64-Bit-Architekturen zu erweitern, die Dells starke Marktposition im Cluster-Segment (siehe CW 27/03, Seite 24) weiter verstärken würde. Nach negativen Erfahrungen mit den ersten Itanium-CPUs steigt der Anbieter mit dem Madison nun wieder ein. Der "Poweredge 3250" birgt zwei Prozessoren, bis zu 16 GB RAM und zwei Festplatten. Dessen Präsentation lässt nur den Schluss zu, dass Rack-Server zum Betrieb in Clustern für High-Performance-Computing konzipiert werden. Indem seine Itanium-2-Prozessoren die begrenzte RAM-Adressierung der 32-Bit-CPUs aufheben, lassen sich 64-Bit-Cluster nun auch für technisch-wissenschaftliche Aufgaben verwenden, die aufgrund der Dateigrößen bisher undenkbar waren.

Nicht nur für Cluster, sondern ausdrücklich auch für Datenbanken und ERP-Systeme preist Maxdata den neuesten Spross der Intel-basierenden Server an. Den "Platinum 9000 - 4R" gibt es in drei Itanium-2-Varianten, die auf 1,3, 1,4 und 1,5 Gigahertz getaktet sind und entsprechend 3, 4 oder 6 MB Level-3-Cache haben. Der Rack-Server hat bis zu 32 GB RAM, acht I/O-Slots und kann drei Festplatten aufnehmen. Der Typenzusatz 4R leitet sich von der Normbauhöhe 4U ab (1U = 1,75 Zoll = 4,5 Zentimeter). In den nächsten Wochen wird ein halb so hohes System "Platinum 9000 - 2R" auf den Markt kommen. Und für September bis Oktober 2003 kündigt Maxdata eine "Pizzaschachtel" mit dem Zusatz "1R" an. Es gibt Andeutungen, dass in diesem flachen Rechner nicht die Hitzeprobleme verursachende Madison-, sondern die Deerfield-Variante des Itanium 2 zur Verwendung kommt.

Intel ist es also gelungen, eine ansehnliche Gruppe von Hardwareherstellern von der dritten Variante des Itanium-Chips zu überzeugen. Das Ziel besteht erklärtermaßen darin, den im 64-Bit-Bereich dominierenden Risc-Architekturen mit einer in Massen hergestellten und daher preiswerten CPU den Rang abzulaufen. Doch so einfach streicht die Konkurrenz nicht die Segel. Sun verfolgt unbeirrt seine "Sparc"-Linie, und IBM wird - trotz der Präsentation von Itanium-basierenden Servern - die "Power"-basierenden P-Series-Server keineswegs ausmustern.

Im Gegenteil: Genau am Tag der Madison-Vorstellung büßte HP einen Benchmark-Rekord ein, den das Unternehmen mit einem System auf Basis von Itanium 2 und Windows Server 2003 hielt. Der Rechner hatte 707 102 Transaktionen pro Minute (tpmC) und einen Niedrigstpreis von 9,13 Dollar pro tpmC geschafft. Mit einem Power-Unix-Server P690 gelangen IBM nun 768 000 tpmC zu einem minimal günstigerem Preis. HP kündigte postwendend an, diesen Rekord nunmehr mit einer Itanium-2-Maschine auf Basis von HP-UX brechen zu wollen. Im Übrigen belege IBMs Test, so Mark Hudson, Vice President der Enterprise Storage and Server Group von HP, "dass unsere Itanium-basierende Integrity-Server die Messlatte sind, die es zu nehmen gilt".

Eine andere Messlatte muss die Itanium-2-Gemeinde erst noch überwinden: das Softwareangebot. Intel verweist darauf, dass die Zahl der für den Itanium angepassten Applikationen in letzter Zeit steil gestiegen sei. Die Betriebssysteme Windows Server 2003 Enterprise- und Datacenter-Edition, HP-UX 11i sowie Linux-Derivate von Red Hat und Suse stehen zur Verfügung. Es gibt 44 Entwicklungswerkzeuge für Windows-, zwölf für HP-UX- und 39 für Linux-Umgebungen. Hinzu kommen von Intel sechs Compiler und acht Performance-Tools.

Für das System-Management gibt es Produkte von Veritas, CA, BMC, Macrovision und anderen. Die Datenbanken Oracle 9i, IBMs DB2 und Microsoft SQL Server sind angepasst. Migriert sind die Business-Intelligence-Lösung von SAS ebenso wie die ERP- und SCM-Angebote von SAP. Für Sicherheit sorgen Produkte von Network Associates, RSA und BMC. Hinzu kommen Applikationen von Bea, MSC, Ansys, Synopsis, Sungard, Reuters etc. Alles in allem sollen jetzt nach Intel-Angaben mehr als 400 Anwendungen für Itanium-Umgebungen zur Verfügung stehen, zahllose weitere seien für die zweite Hälfte dieses Jahres angekündigt.

Das ist bemerkenswert im Vergleich zur tristen Situation vor einem Jahr. Freilich hält es einem Vergleich mit dem Angebot, aus dem Unix-Anwender wählen können, bei weitem nicht stand. Schätzungsweise 15 000 Applikationen existieren für Risc-Unix-Umgebungen. Aber es gibt frohe Kunde für Intel. Der Karlsruher Firma Abas gelang es, ihr auf mittelständische Kunden zugeschnittenes ERP-System samt der spezifischen Datenbank mit zwei Entwicklern innerhalb von zwei Tagen an den Itanium anzupassen. Einzig benötigtes Werkzeug war dabei Intels C++-Compiler.

Für Abas eröffnet die IA-64-Anpassung die Chance, nun auch Großkunden ansprechen zu können, bei denen bis zu 500 User auf das System zugreifen. Neue geschäftliche Möglichkeiten dürften viele Softwarehäuser veranlassen, ihre bisherige Distanz zum Itanium aufzugeben - vor allem dann, wenn die Architektur ihrer Applikationen einen Wechsel in die 64-Bit-Welt so einfach macht wie im Fall Abas. Dann wäre alsbald der Mangel an Software, den der Forrester-Analyst Brad Day als einzigen Kritikpunkt an der Itanium-Line festgehalten hatte, behoben. Ansonsten macht er Intel Mut: "Madison ist tatsächlich die erste Systemarchitektur, von der wir glauben, dass sie zu den Unix-Risc-Alternativen wettbewerbsfähig werden kann."