Middleware-Schicht erspart Schnittstellen-Programmierung

BP bringt die Partner für den E-Commerce unter einen Hut

14.07.2000
MÜNCHEN (qua) - Seit Anfang dieses Jahres verkauft die Deutsche BP AG, Hamburg, IT-Artikel und Zubehör an ihren Tankstellen-Shops und im Internet. Eine mehrstufige Integrationsschicht verbindet die neue E-Commerce-Software mit den existierenden Anwendungen bei BP sowie bei Lieferanten und Logistikpartnern.

Die neue Kartusche für den Drucker kaufen wir "im Vorbeifahren" an der BP-Tankstelle; dabei nehmen wir auch gleich den superleichten Laptop in Augenschein, den wir anschließend in aller Ruhe zu Hause bestellen - auf der Website des Benzinlieferanten mit dem grüngelben Logo.

Diese Idee ist keineswegs abwegig, sondern beinahe schon Realität, versichert Stephan Weyers, Projektleiter E-Commerce im Geschäftsbereich Tankstellen der Deutschen BP. "Wir sind auf dem Weg, uns von einem der größten Mineralölkonzerne zu einem der größten Konzerne überhaupt zu entwickeln", fasst er die Strategie der BP Amoco Gruppe zusammen.

Auf diese Idee ist BP nicht ganz allein gekommen. Das Geschäftsmodell wurde dem Konzern beinahe schlüsselfertig serviert - von der drei Jahre alten Berliner Firma Product + Concept GmbH (P+C), die sich selbstbewusst "Gesellschaft für mehr Innovation im Handel" nennt. Deren Geschäftsführer Klaus Skripalle zählte eins und eins zusammen: die steigenden Rohölpreise, den seit Jahren anhaltenden Trend zur Diversifizierung des Tankstellengeschäfts, dazu die ungebrochene Nachfrage und die relativ guten Profitmargen im IT-Geschäft sowie die rasant ansteigende Zahl der Internet-Nutzer.

Mit einer Handvoll Mitarbeitern entwickelte der Diplomkaufmann ein auf der Verbindung von E-Commerce und physischen Aktionen in den Vertriebsniederlassungen basierendes Business-Konzept für einen der drei europaweit agierenden Mineralölkonzerne. Pluspunkte von BP, Shell und Esso sind unter anderen das weitverzweigte Vetriebsnetz, die Rund-um-die-Uhr-Öffnung und der fest verankerte "Convenience"-Gedanke, so der P+C-Chef.

BP brachte Skripalles Vorschlägen spontanes Interesse entgegen. In den kommenden fünf Jahren werden die zwölf P+C-Mitarbeiter im Dachgeschoss eines ehemaligen Kreuzberger Fabrikgebäudes deshalb ausschließlich für den Mineralölmulti BP arbeiten. Weitgehend eigenverantwortlich sollen sie das E-Commerce-Geschäft mit einem Vollsortiment an IT-Markenware auf den Weg bringen, betreiben und mit ergänzenden Angeboten ausbauen.

Die Rechte am Geschäftsmodell und das Equipment gehören allerdings einem nicht operativ tätigen Joint Venture namens Shop Nonstop GmbH, an dem beide Partner paritätisch beteiligt sind. Der Sun-Server, auf dem die E-Commerce-Applikation läuft, wird bei Talkline in Hamburg betrieben. Das finanzielle Risiko des Projekts trägt BP.

Eine Übernahme von P+C hat der Ölmulti offenbar nie ernsthaft in Erwägung gezogen. "BP Amoco ist einer der weltweit größten Konzerne mit entsprechenden Strukturen, die manchmal nicht so flexibel sind, wie es dieser neue Markt erfordert", erläutert Projektleiter Weyers. "Product + Concept soll das erforderliche Tempo voll mitgehen, ohne in irgendeiner Weise durch Konzernstrukturen gebremst zu werden."

Unter der Adresse www.bpexpress.de läuft der Online-Shop seit Ende vergangenen Jahres in einer Art realem Testbetrieb. Ein Neustart mit entsprechenden Werbemaßnahmen ist für den 24. Juli geplant.

Derzeit offeriert das Business-to-Consumer-System knapp 200 Artikel: von der ISDN-Karte bis zum Marken-Notebook, vom Handy bis zur PC-Software. Zudem lassen sich - dank einer Kooperation mit der Deutschen Lufthansa - neuerdings sogar Flüge über die BP-Seite buchen. Wie P+C-Chef Skripalle andeutet, wird das Angebot bis Ende Juli auf 500 Produkte anwachsen und neue Dienstleistungen, beispielsweise Music on Demand, umfassen. Bis zum Jahresende soll das Konzept außerdem auf die Nachbarländer Österreich und die Niederlande überschwappen.

Um die technische Realisierung hatten sich die Berliner zunächst wenig Gedanken gemacht; für sie stand die Geschäftslogik im Vordergrund. Das erklärten sie auch den IT-Anbietern, mit denen sie schließlich ins Gespräch kamen. "Der kaufmännische Bereich hat die Oberhand über die Technik", lautete Skripalles Prämisse.

Erste Wahl bei den Technikpartnern war die Software AG (SAG), Darmstadt. Das ehemals größte deutsche Softwareunternehmen sah in diesem Vorhaben die Chance, sein von Fachleuten schon attestiertes Know-how auf dem Gebiet der Middleware und der für die formatneutrale Beschreibung von Dokumenten eingesetzten Metasprache Extensible Markup Language (XML) öffentlichkeitswirksam unter Beweis zu stellen. Die SAG akzeptierte die von Skripalle verlangte "kaufmännische Oberhand" und kam dem Renommierkunden BP auch bei der Preisgestaltung entgegen.

Gemeinsam mit P+C entwickelte ein zwölfköpfiges Kernteam der SAG Systemhaus GmbH nicht nur das E-Commerce-System, sondern auch ein Middleware-Konzept, das es erlaubt, die Systeme der unterschiedlichen Beteiligten zu integrieren. Zu diesen Partnern zählen derzeit Compaq, Intel, Elsa, Lexmark, AOL, Psion, NEC, Freedom Technologies, Ibex, Viag Interkom und Lufthansa, dazu der Distributor Computer 2000, ferner der für die Belieferung der Tankstellen-Outlets zuständige Dienstleister Südkraft Logistik, Post Express als Auslieferungspartner für den E-Commerce und das Hamburger Serviceunternehmen BOC, das die Rechnungsstellung übernimmt. Die Firmen sollten in ein "virtuelles Unternehmen" eingebunden werden, ohne dass sie ihre operativen Systeme oder die Geschäftslogik ändern müssten.

Im Mittelpunkt des Systems steht die Internet-Shop-Lösung, die sich aus den bekannten Komponenten wie Produktkatalog, Warenkorb und Transaktionssystem zusammensetzt. Darüber hinaus umfasst sie die Definition der Lieferbeziehungen, neudeutsch Supply Chain genannt. Dieser unternehmensübergreifende Workflow muss beispielsweise sicherstellen, dass eine Bestellung erst dann bestätigt wird, wenn das BP-eigene Kreditkarten-Zahlungssystem den Kunden akzeptiert und die Logistikanwendung den Artikel reserviert hat; erschwerend kommt hinzu, dass der Kaufprozess - im Falle einer Stornierung oder Rücksendung - auch rückwärts ablaufen kann.

Programmiert wurde die E-Commerce-Logik in der SAG-Sprache Bolero. Sie lehnt sich eng an Java an, bietet aber zusätzliche Funktionen wie die Unterstützung "langer Transaktionen", mit deren Hilfe sich beispielsweise die Beschreibung und komplette Abwicklung einer Bestellung in einem Arbeitsgang bewerkstelligen lassen. Auch für den Datenabgleich mit den Warenwirtschafts- und Produktionssteuerungs-Systemen der Partner erweist sich diese Funktion als hilfreich.

Die Systeme der beteiligten Unternehmen befinden sich auf sehr unterschiedlichem technischen Niveau. Wie SAG-Technologieberater Frank Scheffer erläutert, handelt es sich teilweise um Cobol-basierte AS/400-Anwendungen ohne gekapselte Schnittstellen.

Die Aufgabe, zwischen den unterschiedlichen Partnerapplikationen zu vermitteln, obliegt dem SAG-eigenen Integrations-Broker "Entire X". An beiden Enden des Kommunikationswegs installiert, nimmt er die Funktionsaufrufe des E-Commerce-Systems entgegen und leitet sie an die operativen Anwendungen der Partner oder an das Kreditkartensystem von BP weiter. Dank der integrierten "Wrapper-Tools" lässt sich die Middleware an eine Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsmodelle und Programmier-Schnittstellen anpassen. Bei den Partnern läuft die Broker-Software zumeist auf dem Enterprise-System mit, bisweilen aber auch auf einem vorgeschalteten NT- oder Linux-Rechner.

Die funktionale Kopplung via Entire X stellt den Regelfall dar; doch es gibt zwei Ausnahmen: So lässt die Cobol-basierte Software des Dienstleisters BOC nur einen Datenaustausch via File-Transfer zu, was für die Übermittlung von Rechnungsdaten ausreicht.

Computer 2000 hingegen setzt statt Entire X auf eine eigene Middleware-Schicht, die denselben Zweck erfüllt. Darüber hinaus erlaubt der Distributor eine tiefer gehende Integration auf der Dokumentenebene: Da er über eine XML-Schnittstelle verfügt, kann er seine Daten in der "Document Type Definition" (DTD) liefern, die von PB Express vorgegeben wird. Der ins E-Commerce-System integrierte XML-Server "Tamino" - ebenfalls ein SAG-Produkt - speichert die Informationen direkt im Format der Metasprache und macht Umsetzungsarbeiten überflüssig. Wie Scheffer einräumt, wird Tamino aber erst voll zur Geltung kommen, wenn künftig mehr Partner DTD-konforme Daten anliefern.

Die unterschiedlichen Integrationsmechanismen der BP-Express-Umgebung automatisieren viele Schritte, die bei händischer Ausführung unweigerlich zu Inkonsistenzen führen würden. Beispielsweise machen sie es möglich, dass eine Bestellung im Online-Shop direkt an das Auftragssystem des jeweiligen Lieferanten weitergereicht wird. In einer späteren Version soll die Order sogar direkt einen Auftrag im Produktionssystem auslösen.

Nachdem das Geschäftsmodell einmal entwickelt war, ging die Verwirklichung zügig voran. Den Online-Shop zu programmieren nahm vier Monate in Anspruch. Allerdings wird es laut Skripalle noch zwei Jahre dauern, bis alle Funktionen implementiert sind. Was sich BP die neue Geschäftsidee und deren Umsetzung kosten lässt, wollte Weyers lieber für sich behalten. Immerhin verriet er, dass für das laufende Jahr ein Betrag in zweistelliger Millionenhöhe eingeplant worden sei.

Abb1:Das System im Überblick

Für die Integration der Partnersysteme sorgen die Middleware-Schicht Entire X und - derzeit nur teilweise - die Metasprache XML. Sauber gekapselte Schnittstellen machen es möglich, dass eine Bestellung im Online-Shop direkt einen Auftrag im Produktionssystem des Lieferanten auslöst. Quelle: Product + Concept

Abb2:Die Supply Chain

Die Beziehungen zwischen den Lieferanten sind in der Java-Umgebung Bolero programmiert. Die Supply-Chain-Management-Werkzeuge der Partner lassen sich über Entire X integrieren. Quelle: Software AG