Die neue Rolle des CIO/Der CIO braucht außer Fachwissen auch Leidenschaft und Mut

Botschafter und Cheerleader

05.10.2001
Kürzlich lud Brian Burke, Vice President Executive Services des Beratungsunternehmens Meta Group, hochkarätige IT-Manager ins Kronberger "Schlosshotel", um das Thema "The Changing Role of the CIO" zu diskutieren. Vor der Veranstaltung sprach CW-Redakteurin Karin Quack mit dem Analysten über seine Einschätzung eines schillernden Berufsbilds.

CW: Ihr Thema heißt "Definition der CIO-Rol-le" ...

Burke: ... zunächst einmal: Wessen Definition? Die Leute innerhalb der IT-Organisation sehen den CIO sicher mit anderen Augen als Außenstehende. Trotzdem können wir versuchen, den CIO zu kategorisieren. Da gibt es zum einen denjenigen, der seine Verantwortung vor allem darin sieht, die IT-Organisation operational am Laufen zu halten. Auf der anderen Seite gibt es den Visionär, der die Weitergabe und Veredelung von Informationen innerhalb des gesamten Unternehmens fördern will.

CW: Inwieweit ist das eine vom anderen zu trennen?

Burke: In einigen Organisationen gibt es dafür zwei verschiedene Personen: den IT-Direktor und den CIO. In anderen entspricht die Aufgabe des CIO eigentlich der eines IT-Direktors. In seiner ursprünglich intendierten Bedeutung ist die Position des CIO mit Ma-nagement-Kompetenzen ausgestattet und auf der "CxO-Ebene" angesiedelt; der Chief Information Officer sollte jemand sein, der das gesamte Unternehmen mit IT zu durchdrin-gen sucht. Das ändert aber nichts daran, dass er in den meisten Organisationen zumindest beide Rollen spielt, also auch die des IT-Direktors, der viele IT-Spezialisten um sich schart und operationale Verantwortung für die IT trägt.

CW: Sie sagten, es gebe einige Unternehmen, die sich eine andere Art von CIO leisten. Wie groß ist deren Prozentsatz?

Burke: In etwa zehn bis 20 Prozent der weltweiten Organisationen ist der CIO auf der obersten Management-Ebene positioniert und wird von den Business-Managern als jemand betrachtet, der Visionen in puncto Information und Informationstechnik entwickelt.

CW: In den USA ist der Anteil wohl höher als in Europa.

Burke: Ja, sicher. In Amerika ist die visionäre Rolle des CIO stärker etabliert als in Europa - und in Europa wiederum stärker als in anderen Teilen der Welt. Aber Europa ist dabei, in dieser Beziehung aufzuholen.

CW: In der Studie "The CIO Desk Reference" betont die Meta Group vehement die Funktion des Chief Information Officer als eines "Führers". Mit diesem Begriff haben wir in Deutschland - historisch bedingt - mehr Schwierigkeiten als die Amerikaner. Wie lässt er sich umschreiben?

Burke: Ein "Leader" ist jemand, der nicht unbedingt eine organisatorische Verantwortung trägt, aber das Verhalten der Leute verändert. Hier liegt der Unterschied zum "Boss", der zwar eine formale Autorität ausübt, aber nur dann Erfolg hat, wenn er gleichzeitig auch ein Leader ist. Der IT-Chef hat früher die Autorität für die Informationstechnik ausgeübt. Heute spielt der CIO eine Führungsrolle.

CW: Zu einem visionären Führer gehört also nicht zwingend eine organisatorische Macht-position. Auch Fachwissen allein reicht sicher nicht. Welche charakterlichen Eigenschaf-ten sind notwendig, um ein Führer zu sein, und wie finden die Unternehmen Leute, die dazu taugen?

Burke: Das Talent dazu scheint tatsächlich eher angeboren als erlernbar zu sein. Führer sind typischerweise sehr kluge Menschen mit einem tiefen Verständnis für die Bedeutung von Informationen. Aber genauso verfügen sie auch über Leidenschaft und Mut. Es bedarf der Leidenschaft, um andere Menschen mitzureißen, ihre Unterstützung zu bekommen. Und Mut zum persönlichen Risiko ist notwendig, um die Latte für das gesamte Unternehmen höher zu legen, anstatt auf Nummer sicher zu gehen.

CW: Mit anderen Worten: Ein guter CIO braucht dieselben Eigenschaften wie ein guter Unternehmer.

Burke: Früher - und in einigen Unternehmen noch heute - bestand die Aufgabe der IT-Organisation vor allem darin, Kosten zu senken. Aber künftig geht es mehr darum, wie die IT Vorteile für das Unternehmen erzielen kann. Und in dieser Beziehung ist der CIO sozusagen der Cheerleader der IT.

CW: Daneben muss er aber auch so langweilige Aufgaben erfüllen wie IT-Architekturen entwerfen und Standards setzen. Oder kann er die Ihrer Ansicht nach an jemand anderen delegieren?

Burke: Für das Tagesgeschäft der Standardisierung sollte es ein Team von IT-Architekten geben, das normalerweise direkt an den Chief Information Officer berichtet. Der CIO fungiert quasi als Schirmherr; um die Ausführung kümmern sich andere. Das gilt übrigens auch für das Programm-Management sowie für Planung und Strategie. Außer in sehr kleinen Unternehmen hat der CIO für diese Aufgaben einfach keine Zeit.

CW: Da vertreten Sie aber eine Außenseitermeinung. Planung und Strategie gehören doch zu den originären Aufgaben des CIO.

Burke: Das Kernziel des CIO sollte sein, Pläne und Strategien zu haben, aber nicht unbedingt, sie im Detail zu erstellen. Genauso wenig wie es seine Aufgabe sein kann, selbst nach neuen geschäftlichen Möglichkeiten zu forschen.

CW: Und was macht der CIO den ganzen Tag?

Burke: Er fungiert als eine Art Botschafter der IT, indem er eng mit seinen Kollegen auf der Management-Ebene, den CxOs, zusammenarbeitet. Außerdem muss er die Leute auswählen und ausbilden, denen er Aufgaben wie Planung und Strategie oder Programm-Ma-nagement anvertraut. In einer großen Organisation bedeutet das mehr Arbeit als ein einzelner Mensch überhaupt leisten kann. Aber die wichtigste Rolle des CIO ist wohl die eines Kommunikationsknotenpunkts zwischen dem Linien- und dem IT-Management.

CW: Welche Funktion erfüllt dabei der Chief Technology Officer, kurz CTO, den einige Unternehmen zusätzlich zum CIO installiert haben?

Burke: Dessen Rolle variiert je nach Unternehmen. Manchmal ist der CTO gleich dem Chefarchitekten, der für die technischen Standards verantwortlich ist. Ein anderes Mal hat er die operationale Verantwortung für die IT-Organisation. Die CTO-Rolle muss sich erst entwickeln; sie ist jünger als die des CIO.

CW: Wenn wir gerade dabei sind, dem CIO Verantwortlichkeiten zu- oder anzusprechen - wie steht es mit dem Thema E-Business?

Burke: Die ersten E-Business-Projekte gingen von unterschiedlichen Gruppierungen im Unternehmen aus: vom Marketing, von der Beschaffung oder vom Vertrieb. Für jedes Projekt wurde eine neue Infrastruktur geschaffen. Es entstanden vielfache unverbundene Initiativen, die sich später nicht mit den jeweils anderen verbinden ließen. Nachdem die Implementierungen nun etwa zwei Jahre lang bestehen, zeigt sich, dass darunter die Konsistenz in der Außendarstellung der Unternehmen leidet. Folglich wird ein E-Business-"Czar" berufen (Ein gutes Beispiel dafür liefert die Siemens AG, Anm. d. Red.). Er kommt typischerwei-se aus dem Business-Bereich, und seine Auf-gabe besteht darin, die uneinheitlichen E-Business-Initiativen in eine einheitliche E-Business-Strategie zu integrieren. In etwa 17 Prozent der US-Unternehmen gibt es diese Funktion bereits - auch wenn sie manchmal anders heißt.

CW: An wen berichtet der E-Business-Czar?

Burke: Nicht an den CIO, sondern direkt an an die Geschäftsführung.

CW: Befindet er sich damit auf derselben hierarchischen Ebene wie der CIO?

Burke: Ich denke, die Art der Beziehung ist eine andere. Dadurch, dass er die Verantwortung für das E-Business im Gesamtunternehmen hat, ist diese Person eine Art unabhängige Ressource. Unseren Beobachtungen zufolge berichtet sie jedenfalls nicht an den CIO.

CW: In vielen Unternehmen gibt es - oder gab es zumindest - außerhalb des IT-Managements eine Gruppe, die mehr oder weniger unabhängig vom Tagesgeschäft die Möglichkeiten des E-Business ausloten sollte oder soll. Wie sinnvoll ist das in Ihren Augen?

Burke: Ich halte es für wichtig, innovative Projekte, ob im E-Business-Umfeld oder nicht, denselben Priorisierungen und Prüfprozessen zu unterwerfen wie andere Vorhaben auch. Deshalb kann ich keine Gruppe gutheißen, die außerhalb solcher Prozesse arbeitet. Ein Projekt ist doch nicht nur deshalb besser als ein anderes, weil es sich um das Thema E-Business dreht.

CW: Das spricht aber nicht per se gegen eine solche Gruppe.

Burke: Nein, sicher nicht. Es ist völlig unproblematisch, wenn die Unternehmen Kompetenz und Talent dort versammeln und Initiativen daraus generieren. Ein Problem entsteht nur, wenn auf diese Weise eine saubere Priorisierung von Projekten und die Zuordnung von Budgets umgangen werden.

CW: Gerade im Zusammenhang mit dem E-Business stellen Unternehmensberater, darunter auch die Meta Group, übereinstimmend fest, dass Business- und IT-Strategie immer stärker miteinander verwachsen. Sollte da nicht fol-gerichtig der CIO zum Geschäftsführer aufsteigen?

Burke: Nicht unbedingt. Der CIO spielt sicher eine Schlüsselrolle beim Aufspüren von technik- und informationsbasierenden Geschäftschancen. Teil seiner Aufgabe ist es zu verstehen, wohin das Unternehmen läuft, welche Kernstrategien es verfolgt und welche aufkommenden Technolgien die jeweilige Industrie möglicherweise verändern. Dann entwickelt er eine passende Adaptionsstrategie und leitet eine geschäftsverändernde Initiative ein - eine von der Technologie inspirierte Initiative, wohlgemerkt. Ich möchte dem CIO nicht grundsätzlich die Fähigkeit absprechen, die Position eines Chief Executive Officer einzunehmen. Aber das passiert wohl nur im Ausnahmefall.

CW: Was werden Sie Ihren Zuhörern heute abend besonders ans Herz legen?

Burke: Vor allem eins: Die Schnelligkeit der Veränderungen zwingt die Unternehmen, sich selbst zu transformieren, ohne die bestehenden Dienstleistungen zu schmälern. Die Herausforderung für die CIOs besteht darin, die Räder zu wechseln, während das Auto noch fährt.

Abb.1: Das Kapital des IT-Chefs

Der CIO braucht Verständnis für die Bedeutung der Informationen, die Fähigkeit, Menschen mitzureißen und Mut zum Risiko. Quelle: Meta Group

Abb.2: Der CIO braucht CEO-Kompetenz

Die Aufgaben des Chief Information Officer ähneln denen eines Geschäftsführers. Deshalb benötigt er im Prinzip dieselben Kompetenzen. Quelle: Meta Group