Interview/

Borland will Client-Server und Internet verbinden

16.08.1996

CW: Jeder Softwarehersteller muß mittlerweile eine Internet-Strategie vorweisen. Borland baut auf die kürzlich bekanntgemachte "Golden-Gate"-Initiative, die zwischen Client-Server und rivalisierenden Internet-Ambitionen vermitteln will. Sind Sie damit nicht etwas spät dran?

Gross: Wir haben bereits im Sommer 1995 unsere Strategie für die nächsten drei Jahre festgelegt. Wir kamen dabei zur Einschätzung, daß wir der Konkurrenz voraus sind, wenn es um den Zusammenschluß von Client-Server mit dem Internet zu einer mehrschichtigen Plattform geht. Unsere Ausrichtung auf diese Synthese war auch ausschlaggebend für die Übernahme der Open Environment Corp. (OEC).

CW: In all Ihren Modellen von Multitier-Anwendungen kommen Internet-Protokolle mit Ausnahme von HTTP nicht vor, und dieses ist auf das Herunterladen von Daten zum Client beschränkt. Ist das nicht ein bißchen wenig für eine Internet-basierte Client-Server-Lösung?

Gross: Bei Internet-Protokollen kümmern wir uns vor allem um TCP/IP. Wir berücksichtigen in unserem neuen Produkt "Intrabuilder" auch HTML. HTTP ist sicher für viele Anwendungen geeignet. Allerdings sind wir der Meinung, daß es für robuste, skalierbare Applikationen, wie sie von vielen Unternehmen benötigt werden, nicht ausreicht. Andererseits ist TCP/IP zu sehr ein Low-Level-Protokoll. Wir brauchen etwas dazwischen.

CW: Was ziehen Sie dafür in Betracht?

Gross: Wir kommen mit dem Internet nun in eine Multitier-Umgebung, wo zwischen Applikations-Server und Datenbank zwar weiterhin die bestehende Middleware der Datenbankhersteller zum Einsatz kommen wird. Aber zwischen Client und Applikations-Server benötigen wir ein weiteres Protokoll - HTTP erscheint uns dafür ungenügend. Wir halten Ausschau nach Standards, die sich in diesem Bereich herausbilden. Das sind vor allem DCOM, Corba und DCE. Interessant ist dabei auch Message Oriented Middleware wie IBMs MQ Series.

CW: Andere Hersteller lassen aus Sicherheitsgründen keine direkte Verbindung zwischen Internet-Client und Datenbank-Server zu. Sie verbannen Transaktionen hinter den Firewall, der Client bekommt nur HTML via HTTP zu sehen. Wie wollen Sie Sicherheitsprobleme vermeiden, wenn Sie dieses Verfahren ablehnen?

Gross: Bei mehrschichtigen Architekturen existieren Applikations-Server zwischen Client und Datenbanken, die Authentifizierungs- und Zugriffskontrollen übernehmen. Durch den Zukauf von OEC verfügen wir über die notwendigen Technologien für diese Sicherheitsfunktionen. Auf der Web-Seite von OEC http://www.openenv.com gibt es ein White Paper, das diese Problematik diskutiert.

CW: Borland engagiert sich gleich mit mehreren Produkten im Java-Markt. Dazu zählt auch ein Just-in-time-(JIT-)Compiler, der zum Lieferumfang des "Netscape Navigator 3.0" gehört. Widersprechen diese Java-Beschleuniger nicht der Plattformunabhängigkeit der Internet-Sprache? Ihren gibt es beispielsweise nur für Windows 95.

Gross: Wir glauben sehr wohl an diese Multiplattform-Strategie. Wir haben mittlerweile einen JIT-Compiler für Sparc- und Power-PC-Rechner. Sie sind bis dato noch nicht angekündigt. Wir werden alle wichtigen Plattformen unterstützen.

CW: Wie passen Ihre Desktop-Datenbanken "Dbase" und "Paradox" zu Ihrer Orientierung in Richtung Multitier-Entwicklung?

Gross: Von ihrem Konzept her sind sie für die Multitier-Welt nicht geeignet, da sie Entwicklungsumgebung und Datenbank-Engine zu sehr verbinden. Wir drängen vor allem unsere Paradox-Kunden, auf "Delphi" umzusteigen, dessen Architektur hier für eine saubere Trennung sorgt. Wir werden sicher noch in die Desktop-Datenbanken investieren, aber längst nicht in dem Ausmaß, wie wir es im schnell wachsenden Delphi-Markt vorhaben.

CW: Sie legen bei Ihren Client-Server-Konzepten besonderen Wert auf die Skalierbarkeit von Anwendungen. Andererseits unterstützen Sie mit "Intrabuilder" nur Windows NT, das in dieser Disziplin nicht gerade brilliert. Sehen Sie da keinen Widerspruch?

Gross: Durch die OEC-Übernahme verfügen wir mit "Entera" über einen Applikations-Server, der neben NT auch verschiedene Unixe und MVS unterstützt. Was Intrabuilder anlangt, überlegen wir eine Portierung der Server-Komponente auf Unix.

Mit Paul Gross, Borlands Vice-President für Forschung und Entwicklung, sprach Wolfgang Sommergut.