XML, Web-Services und Linux-Unterstützung

Borland rüstet Delphi für die Zukunft

10.08.2001
LONG BEACH (as) - Mit wiedergefundenem Selbstvertrauen präsentierte sich Borland auf seiner diesjährigen Anwenderkonferenz Borcon. Dabei machte der Hersteller deutlich, dass er trotz wachsenden Engagements für Java weiter auf die verbreitete objektorientierte Entwicklungsumgebung "Delphi" setzt.

Nach der katastrophalen Geschäftsentwicklung unter dem Firmennamen Inprise und den gescheiterten Fusionsplänen mit Corel im letzten Jahr sieht Chief Executive Officer Dale Fuller Borland wieder auf Kurs. Das Unternehmen hat, so zeigte die Borcon 2001, seine Linie wiedergefunden, und die Umsatzzahlen bestätigen das. Die Erholung wurde allerdings nicht zuletzt mit kräftigen Preisaufschlägen für neue Lizenzen und Upgrades erzielt, die manche der 2000 Teilnehmer gleich zu Beginn der Konferenz zu unbequemen Fragen an das Management bewegten. Fuller und andere Manager begründeten ihre Preispolitik in erster Linie mit dem größeren Leistungsumfang und den Entwicklungskosten für die neuen Produkte. Als Friedensangebot wurden vor und während der Veranstaltung kostenlose Einsteigerpakete oder preisreduzierte Software angekündigt (siehe Kasten "Links" auf Seite 17).

Ankündigungswelle

Anders als bei der Namensgebung und den Preisen zeigt der Hersteller in puncto Produktentwicklung jedoch Kontinuität: Allein in diesem Jahr kamen Version 4.5 des Java-Applikations-Servers "Appserver", die neue Werkzeugsammlung "Enterprise Studio Java Edition", deren Version 5 in Long Beach angekündigt wurde, Version 5 der populären Java-IDE "Jbuilder" (ausführlicher in der nächstenCW) sowie die Rapid-Application-Development-(RAD-)Entwicklungsumgebung "Kylix" auf den Markt. Im Mai erschien zudem das lang erwartete Release 6 der komponentenbasierten RAD-Umgebung Delphi.

Ferner will Borland neue Märkte angehen. So wurde vor kurzem im Rahmen einer Partnerschaft mit Nokia mit dem "Jbuilder Mobile Set, Nokia Edition" eine spezielle Version der IDE zur Entwicklung mobiler Anwendungen gemäß der Java 2 Micro Edition erstellt. Der Mobilfunkriese will nach eigenen Angaben allein im nächsten Jahr 50 Millionen mobile Geräte mit Java-Anwendungen ausliefern. Doch tatsächlich steht der Markt für mobile Anwendungen noch am Anfang, wie sich auch in den diesbezüglichen Vorträgen auf der Borcon zeigte. Lee Wright, zuständig für strategische Partnerschaften bei Nokia, appelliert daher in seiner Keynote an die Entwickler, doch bitte künftig mit dem Jbuilder Mobile Set, Nokia Edition, die dringend benötigten mobilen Java-Anwendungen zu erstellen. Zum anderen konnte Borland die SAP als Partner gewinnen. Die Walldorfer haben Jbuilder bereits für die eigenen Bedürfnisse erweitert und werden die IDE zunächst intern für die Integration von Anwendungen in die eigene R/3- beziehungsweise Mysap-Architektur nutzen - eine entsprechende OEM-Vereinbarung soll laut Borland aber folgen.

Weiter gab Borland fast zwei Jahre nach der ersten Ankündigung bekannt, dass zum Herbst mit der aus dem gleichnamigen Delphi-Feature entstandenen Management-Plattform "Teamsource DSP" der Einstieg in das Hosting-Geschäft für Entwicklungsprojekte bevorstehe. Das Angebot soll über noch nicht genannte Partner verwaltet werden und richtet sich an getrennt am gleichen Projekt arbeitende Teams. Die Plattform stellt zunächst Sicherheits-Features, eine Benutzerverwaltung, Sourcecode-Kontrolle und Messaging bereit. Ziel ist es auch, neben Softwareprogrammierern auch Script-Entwickler, Web- und Grafikdesigner sowie Content-Entwickler eines Online-Projekts zusammenzubringen.

Parallel dazu erweitert die Softwareschmiede ihre Produkte durch neue Technologiestandards und -konzepte wie XML und Web-Services und treibt die Integration des gesamten Portfolios voran. Borland, so die Botschaft auf der Borcon, verstehe sich nicht als Anbieter einzelner RAD-Werkzeuge, Datenbanken oder Java- und Corba-Middleware, sondern biete vielmehr eine umfassende Infrastruktur für den Aufbau von E-Business-Architekturen. Dass dies heute schon funktioniert, wollte der Hersteller auf der Konferenz anhand der mit den eigenen Produkten entwickelten Shop-Lösung für den elektronischen Handel mit Videofilmen "Movie-E-Tailer" beweisen, die in den Präsentationen immer wieder als Referenzanwendung und Argumentationshilfe diente.

Unter der Vielzahl von produkt- und themenorientierten Vorträgen nahmen jene rund um Delphi 6 einen besonderen Platz ein. Rund zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Delphi 5 haben die Borland-Entwickler eine erdrückende Fülle an neuen oder überarbeiteten Features, etwa beim "Form Designer" oder dem "Object Inspector", in das aktuelle Release eingearbeitet. Vor allem halten mit den Frameworks "Bizsnap", Websnap" und "Datasnap" XML-Standards und das Konzept der Web-Services in die RAD-Welt breiten Einzug - ohne dass Anwender auf den gewohnten Komfort einer visuellen IDE und die Möglichkeiten zur automatischen Codegenerierung verzichten müssen. Die Features sind allerdings fast nur in der teurer gewordenen "Enterprise Edition", nicht jedoch in der "Professional" oder der Einsteigervariante "Personal" erhältlich.

Anders als bei den im Markt angebotenen Toolkits für Web-Dienste unterstützt der neue Delphi-Compiler nativ das XML-basierte Protokoll zur plattformübergreifenden Komponentenkommunikation Simple Object Access Protokoll (Soap) sowie die Web Services Description Language (WSDL). Schon Delphi 5 hatte mit dem Register "Internetexpress" ersten XML-Support geboten und so die Entwicklung von Ultra-Thin-"Midas"-Clients erlaubt, die XML verstehen und Daten, die von einem Midas-Server kommen, so aufbereiten, dass sie in einer Browser-Applikation dargestellt und über Javascript modifiziert werden können. Mit Bizsnap lassen sich nun laut Borland mit XML, XSL, Soap und WSDL komplette Web-Services erstellen, wobei Parser, Wizards und Assistenten die Arbeit des Entwicklers erleichtern helfen sollen.

Bizsnap bietet auch Delphi-native XMLBindings, durch die sich XML-Dokumente einfach in native Delphi-Objekte umwandeln lassen. Mitgelieferte Übersetzungs-Tools können zwischen XML- und Datensatzformaten übersetzen sowie Document Type Definitions und XML-Schema bearbeiten. Da Delphi für die Erstellung von XML-Anwendungen die Schnittstelle XML-DOM-Level-2 verwendet, soll eine herstellerunabhängige Kompatibilität gesichert sein. Dank nativer Soap-Bindings sind ferner Typ- und Syntaxprüfungen sowie weitere Funktionen für Web-Dienste nutzbar, und spezielle Soap- und WSDL-Assistenten helfen Delphi-Anwendungen für den Einsatz als Web-Services anzupassen.

Mit Delphi erstellte WSDL-Dokumente stehen auch anderen Programmen zur Verfügung, Delphi-Clients können ihrerseits die URL externer WSDL-Dokumente importieren. Borland verwies in Long Beach darauf, dass schon heute in Verzeichnissen wie www.xmethods.net erste Web-Services erhältlich seien - darunter auch mehr als ein Dutzend in Delphi geschriebene. Laut Michael Swindell, Director of RAD Products Group bei Borland, kann Bizsnap auch nonkonforme Web-Services berarbeiten, und eine Interaktion mit Web-Services-Plattformen wie Microsofts .NET oder "Sun One" sei problemlos.

Erweiterte Web-Entwicklung

Das Websnap-Framework erweitert die bisherige Entwicklungsplattform für verteilte HTML-Anwendungen "Webbroker" und soll die visuelle Programmierung, das Management und den Einsatz von Scriptsprachen für Web-Server-Anwendungen vereinfachen. XML-Dokumente lassen sich über Tree-Views betrachten, standardkonforme und XSL-übertragene XML-Seiten durch den "Page Producers" und den "Dispatcher" übersetzen. Zudem können XSL-Quelldaten mit XSL-Übersetzungen kombiniert werden, um Vollseitenausgaben in HTML zu erzeugen. Websnap vereint die Anwendungslogik und das Oberflächendesign mit Hilfe des neuen "Surface Designer", der Schnittstellen zu den Web-Design-Tools "Dreamweaver" von Macromedia und "MS Frontpage" erhalten hat. Server-seitig lassen sich jetzt Scripte in "Javascript", "Vbscript" oder jeder anderen Active-Script-Sprache erstellen. Dank einem neuen Debugging-Tool kann das Testen einer Windows-Anwendung beschleunigt werden, da die Installation eines zusätzlichen Servers entfällt.

Schließlich wird mit Delphi 6 das bisherige Middleware-Framework "Midas" durch Datasnap abgelöst. Es hilft Client-Applikationen und -Dienste mit relationalen Datenbanksystemen zu verbinden und Daten mit Hilfe von Binärprotokollen oder XML-Daten auszutauschen. Für die Kommunikation lassen sich die Protokolle Soap, Corba (IIOP), TCP/IP, COM/DCOM oder HTTP nutzen. Datasnap bietet Connection-Pooling für eine bessere Performance und ermöglicht es, Midas-kompatible, mehrschichtige Middleware-Dienste zu implementieren, die GUIs, Browser und Web-Services-Clients unterstützen.

Als Beispiele für die beworbene Integration der Borland-Produkte untereinander seien noch zwei Features von Datasnap genannt: Zum einen wurde der Corba-Support verbessert, indem Delphi-Anwender nun zwischen den Versionen 3.3 und 4 der hauseigenen Corba-Implementierung "Visibroker" frei wählen können und sich mit speziellen Wizards Corba-Clients und -Server generieren lassen. Zum anderen kann Delphi mit Hilfe der von Corba abgeleiteten Schnittstellen-Beschreibungssprache "Simple IDL" Anwendungen und Web-Dienste erstellen, die mit Enterprise Javabeans kommunizieren. Hierzu ist allerdings als Integrationsplattform Borlands Java-Applikations-Server "Appserver" ab Version 4.5.1 nötig.

Mit den vielen Neuerungen und der Unterstützung aktueller technischer Entwicklungen in Delphi 6 will Borland den rund eine Million Anwendern dieser auf Object Pascal basierenden RAD-Umgebung signalisieren, dass sie sich in Zeiten der Java- und .NET-Euphorie keine Sorgen um bestehende Investitionen und das über Jahre erworbene Know-how machen müssen. Zudem war auf der Veranstaltung oft zu hören, dass Borland mehr noch als bisher mit Überläufern aus dem Visual-Studio-Lager rechnet, die durch Microsofts .NET-Strategie verunsichert oder verärgert sind. Sie könnten sich in dieser Situation für die mit Delphi 6 und Kylix gebotenen Möglichkeiten zur visuellen Entwicklung für die Windows-32-API und nun auch Linux entscheiden, so die Hoffnung. Borland bietet ferner über 160 Komponenten in seiner neuen "CLX"-Bibliothek an, mit der sich Anwendungen in Delphi 6 und in Kylix für beide Betriebssysteme aufbauen lassen. Die bisherige VCL-Bibliothek soll aber unter Windows weiterexistieren und zahlreiche Microsoft-spezifische Features wie COM oder OLE nutzen.

Migration zu Kylix

Während die Migration von Delphi-5-Anwendungen auf Delphi 6 keine größere Mühen bereiten sollte, versuchte Borland Befürchtungen, dass der Weg zu Kylix steiniger sein könnte, auf der Borcon zu zerstreuen (zu Kylix siehe CW 36/00, Seite 24). So entstehe laut RAD-Manager Swindell nur dann Anpassungsaufwand, wenn die bestehende Delphi-5-Anwendung mit direkten Win-32-System-Calls und nicht mit äquivalenten VCL-Klassen arbeitet. "Ich schätze aber, dass sich durchschnittlich 90 Prozent des Programms ohne Codeveränderung nach Kylix migrieren lassen", so Swindell. Weiter ist zu beachten, dass unter Linux Windows-spezifische Komponenten wie etwa OLE, Registry, COM, Active X oder MTS sowie für Windows entwickelte Drittkomponenten nicht unterstützt werden und daher manuell an die Systemarchitektur von Linux angepasst werden müssen. Dafür werden die meisten Methoden und Eigenschaften von VCL-Komponenten von Kylix automatisch in die entsprechenden Gegenstücke der neuen CLX-Komponentenbibliothek umgesetzt, und die RAD-Umgebung von Kylix ist mit der von Delphi praktisch identisch.

Programme, die auch unter Kylix kompiliert werden sollen, sollten aber künftig CLX-Komponenten verwenden. Ob jedoch Kylix überhaupt ein Erfolg wird, ist ungewiss. Selbst auf der Borcon hoben bei einer Publikumsbefragung zum Kylix-Einsatz lediglich zehn Teilnehmer die Hand. Auch wird beklagt, dass die IDE zu langsam sei und für die Windows-Emulation des Open-Source-Produkts "Wine" gewählt wurde, das als unausgereift gilt. Trotzdem rechnete die Borland-Leitung bereits in ihrem Quartalsbericht vom Januar 2001 mit künftig ein bis zwei Millionen Kylix-Benutzern.

C++-Builder 6

Auf der Borcon wurden erste Details zum kommenden Release 6 des RAD-Tools "C++-Builder" verraten. So soll das für die Quellcodeanalyse zuständige "Code Insight" leistungsfähiger werden und fast so schnell wie Delphi 6 laufen. Ferner sind die Frameworks "Datasnap", "Websnap" und "Bizsnap" an Bord, und die neuen CLX-Komponenten werden unterstützt. Auch wird erwartet, dass es einen C++Builder für Linux geben wird, also auch hier wie mit Delphi eine plattformübergreifende Anwendungsentwicklung für Windows und Linux vorgesehen ist.

Enterprise Studio for Java

Auf der Borcon stellte Borland die neue Version der Werkzeugsammlung "Enterprise Studio for Java" vor. Sie verspricht eine Plattform für das Design, die Entwicklung und das Prozess-Management von verteilten Geschäftsanwendungen. Die Bestandteile sind: "Borland Jbuilder 5", der Java-Applikations-Server "Borland Appserver 4.5", die Modellierungsumgebung "Rational Rose Professional J" sowie die Methode "Rational Unified Process", die Leitfäden, Vorlagen und Tool-Erläuterungen für den Prozess der Softwareentwicklung anbietet. Zusätzlich lässt sich das Design-Tool für datengesteuerte Web-Applikationen "Macromedia Dreamweaver Ultradev 4" ankoppeln.

LINKS

Information zu allen Borland-Produkten unter:

http://community.borland.com.

Eine kommentierte Übersicht zu Delphi 6:

http://www.ravenholm.ch/Software/Development/Borland/ TabelleDelphi6.htm).

Die neuen Preise:

http://shop.borland.de

Nachrichten, Berichte, Foren, Web-Ressourcen zu Delphi und anderen Borland-Produkten:

http://www.borland.com/delphi/resources/delnet.html#other.

Kostenlose Borland-Produkte:

1. Delphi 6, Personal Edition: to

http://www.borland.com/delphi/personal/;

2. Testversion von Delphi 6, Enterprise Edition:

http://www.borland.com/delphi;

3. Testversion von Kylix, Server Developer:

http://www.borland.com/kylix/;

4. Testversion von Jbuilder, Personal Edition unter:

http://www.borland.com/jbuilder/personal;

Informationen zu Web-Services:

1. Web-Services-Verzeichnis Xmethods:

http://www.xmethods.net;

2. IBM XML-Registry:

http://www.alphaworks.ibm.com/tech/xrr ;

3. Soap-Implementierungen:

http://www.soapware.org/directory/4/implementations;

4. Broker für Web-Services:

http://www.salcentral.com/salnet/webserviceswsdl.asp;

5. Beiträge auf der CW-Hompage unter www.computerwoche.de in der Rubrik "Produkte und Technologien".

Ressourcen zu Kylix:

http://www.borland.com/kylix/resources/kylixnet.html.