Standortdebatte nicht mit dem Kostenargument erschlagen

Bonn will deutsche Silicon Valleys fördern

13.09.1996

Der von Forschungsminister Jürgen Rüttgers sowie Wirtschaftsminister Günter Rexrodt vorgelegte und vom Bundeskabinett verabschiedete Bericht soll seinem Titel zufolge der "Bestandsaufnahme, Bewertung sowie Ableitung von Konsequenzen für die Forschungs- und Innovationspolitik am Standort Deutschland" dienen. Zum wiederholten Male unterstreicht die Bonner Koalition darin die Notwendigkeit einer zielgerichteten Industriepolitik. Große Konzerne würden den Aufbau, aber auch den Erwerb ausländischer Fertigungs-, Vertriebs- und Forschungseinrichtungen immer mehr als selbstverständlichen Schritt in Richtung Globalisierung betrachten, heißt es in dem Papier. Gerade dies bedeute aber ein Zusammenwachsen von Märkten über nationale Grenzen hinweg und, damit verbunden, stärkere internationale Handels- und Produktionsverflechtungen in Form von Direktinvestitionen oder strategischen Allianzen.

Eine zielgerichtete und vor allem vorausschauende Standortpolitik müsse daher zunächst die Konsequenz aus der Erkenntnis ziehen, daß die Internationalisierung von Unternehmen die Voraussetzung nationaler Wirtschaftspolitik verändere. Diese habe sich einem immer schärferen Wettbewerb der Standorte um international "bewegliche" Investitionen zu stellen. Die frühere Bindung zwischen Ländern und einzelnen Firmen lockere sich. Es ist also nicht die Frage, was die Wirtschaftspolitik für deutsche Konzerne tun, sondern wie die Attraktivität des Standorts Deutschland für in- und ausländische Unternehmen erhöht werden kann, fährt die Bundesregierung in ihrem Bericht fort.

Auch was die "Handelsbilanz" der Bundesrepublik in Sachen globaler Ausrichtung respektive Attraktivität angeht, wird in dem Bericht Tacheles geredet. Mit dem derzeitigen Stand der Internationalisierung in Forschung, Produktion und Vertrieb liege die deutsche Wirtschaft auf einem vergleichbaren Niveau mit anderen Industrieländern.

Das Tempo der Globalisierung deutscher Unternehmen sei indes mehr als rasant. Umgekehrt tätigten jedoch ausländische Firmen gegenwärtig nicht in vergleichbaren Größenordnungen Investitionen in Deutschland. Vor allem auch unter Gesichtspunkten des Arbeitsmarktes wirke sich daher die Internationalisierung der deutschen Wirtschaft negativ aus.

Insgesamt spielten beim Wettbewerb der Standorte zweifellos die Faktoren Kosten, Regulierungsdichte und Genehmigungsverfahren eine zentrale Rolle, wird in dem Papier weiter betont. Wenn allerdings von den deutschen Auslandsinvestitionen der letzten Jahre nur etwa 15 Prozent in Länder mit einem deutlich geringeren Kostenniveau (Mittel- und Osteuropa sowie Südostasien) flossen, während rund 65 Prozent der Mittel in Westeuropa und immerhin 20 Prozent in den USA investiert wurden, liege der Schluß nahe, daß Kostenunterschiede keineswegs der einzige Grund für Auslandsinvestitionen aus Deutschland und für die relativ geringe Höhe der Auslandsinvestitionen nach Deutschland sind. Offenbar spielen, so die Schlußfolgerung des Berichts, marktstrategische Überlegungen und die Frage der Kompetenzsicherung in neu entstehenden und stark wachsenden Märkten eine zentrale Rolle. Letzteres dürfte für das Engagement deutscher Firmen in den USA maßgeblich sein.

Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang erneut das Silicon Valley angeführt. Das weltweit wichtigste Zentrum der Computerbranche ziehe aufgrund seines ausgezeichneten Rufs Investoren aus aller Herren Länder an. Alle international führenden High-Tech-Unternehmen verfolgten, so die Quintessenz aus dem kalifornischen Erfolgsmodell, die Strategie, dort in Entwicklungskapazitäten zu investieren, wo die weltweit besten Bedingungen für Innovationen und Wissensbeschaffung gegeben seien.

Als Antwort auf die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft will die Bundesregierung daher in Zukunft nach dem Vorbild des Silicon Valley verstärkt auf Leitprojekte in verschiedenen Branchen (unter anderem IT- und Telecom-Industrie, Lasertechnik und Robotik) setzen. Die Einrichtung beziehungsweise staatliche Förderung vergleichbarer "industrieller Kompetenzzentren" müsse allerdings mit einem Umdenken in der Forschungspolitik einhergehen. Insbesondere im Entwicklungsbereich drohe, wie es in dem Bericht heißt, der Standort Deutschland gegenüber den Auslandsmärkten ins Hintertreffen zu geraten. Deutsche Firmen verlagerten ihre Forschung zunehmend ins Ausland, ohne daß in gleichem Umfang Forschung "wieder ins Land komme". Zwar entspreche der Umfang deutscher Auslandsforschung gegenwärtig noch in etwa dem Engagement ausländischer Unternehmen hierzulande - zu erwarten sei aber eine "große Dynamik" zuungunsten der Bundesrepublik.