"Bonn koennte mehr auf das Tempo druecken"

14.07.1995

CW: Ihr Kommissariat hat im vergangenen Jahr mit dem Bangemann- Bericht ein Papier praesentiert, das Rahmenbedingungen fuer die Telecom-Maerkte und die Informationsgesellschaft vorgibt. Wie weit ist die Umsetzung fortgeschritten?

Wenzel: Aus unserer Sicht muss es in der Frage alternativer

Infrastrukturen jetzt vorangehen. Da ist man in Bonn noch sehr zurueckhaltend. Wolfgang Boetsch als zustaendiger Minister ist sicher kein Armin Hary auf dem Weg in die Informationsgesellschaft (Hary lief 1960 als erster die 100 Meter in 10,0 Sekunden, Anm. d. Red.). Bonn koennte mehr auf das Tempo druecken.

CW: Warum forcieren Sie die Aufhebung des Netz- und Sprachmonopols schon vor dem eigentlichen Stichtag, dem 1. Januar 1998?

Wenzel: Aus unserer Sicht ist die Schaffung alternativer Infrastrukturen so wichtig, weil bei den Interessenten fuer solche Lizenzen Investitionen in Hoehe mehrerer Milliarden Mark brachliegen. Blockierte Investitionen sind aber blockierte Arbeitsplaetze. Die Politik in Bonn ist im Hinblick auf diese Beschaeftigungssituation nicht progressiv genug. Wenn aber auf nationaler Ebene nichts geschieht, muss Bruessel das in die Hand nehmen. Die EU-Kommission schaut sich Beschwerden, die auf den Tisch kommen, genau an.

CW: Sprechen Sie damit die Klage an, die Vebacom bei der EU eingereicht hat?

Wenzel: Ja, zum Beispiel.

CW: Wie steht das Kommissariat von Herrn Bangemann zur Vebacom- Beschwerde?

Wenzel: Wir wuerden eine positive Bewertung des Projektes (Errichtung eines Glasfasernetzes fuer die ARD, Anm. d. Red.) durch den fuer Wettbewerb zustaendigen Kommissar Karel van Miert begruessen. Das haette zur Folge, dass wir die Bundesregierung auffordern wuerden, sofort Lizenzen fuer alternative Netzbetreiber zu erteilen.

CW: Hat Bruessel dazu eine Hand-habe?

Wenzel: Die EU hat auf Grundlage des Artikels 90, Abs. 3 des EWG- Vertrags die Moeglichkeit, diskriminierende Praktiken von Monopolisten an den Pranger zu stellen und die nationalen Regierungen zu veranlassen, diese zu unterbinden.

CW: Welche Aussicht auf Erfolg raeumen Sie der Beschwerde ein?

Wenzel: Ohne in das schwebende Verfahren eingreifen zu wollen, halte ich die Beschwerde fuer sehr aussichtsreich. Es gibt Signale, dass van Miert ihr sehr aufgeschlossen gegenuebersteht.

CW: Minister Boetsch scheint sein Nein schon zu ueberdenken.

Wenzel: Ja, darueber wird spekuliert. Jedenfalls ist es sehr positiv, dass Boetsch mit der Vorlage seines Eckpunktepapiers fruehzeitig eine Diskussion einleitet. Das gibt die Moeglichkeit, sich ueber die Modi der Lizenzierung umfassend zu beraten und rasch zu einem Ergebnis zu kommen. Vielleicht weiss die Wirtschaft schon Ende 1995, wie der Gesamtrahmen aussieht.

CW: Warum zieht sich die Genehmigung von Atlas, dem geplanten Joint-venture der Telekom und France Telecom, so lange hin?

Wenzel: Dafuer ist nicht die EU verantwortlich, sondern die beiden Unternehmen selbst. Es sind einfach noch Voraussetzungen zu erfuellen. Am einfachsten waere es, das hat van Miert immer wieder signalisiert, wenn in Deutschland und Frankreich alternative Infrastrukturen genehmigt wuerden. Dann koennte Bruessel dem Projekt Atlas sehr schnell gruenes Licht geben.

CW: Warum haelt Bonn Ihrer Meinung nach so am Netzmonopol der Telekom fest?

Wenzel: Die Argumentation lautet immer wieder, der Boersengang der Telekom duerfe nicht gefaehrdet und deshalb duerfe der Weg fuer Wettbewerber nur langsam geebnet werden. Wir glauben aber, es kommt aufs Tempo an. Andere schlafen nicht und schnappen uns die Geschaefte weg, wenn die Tarife so hoch bleiben. Mehr Wettbewerb senkt die Tarife, bringt die Maerkte in Bewegung und schafft dadurch mehr Anwendungen und Services.

CW: Was muss am Bangemann-Report noch verbessert werden?

Wenzel: Wir muessen das Regelwerk noch auf die Bereiche Datenschutz und Urheberrecht ausdehnen. Beide wirken sich auf die Informationstechnologie aus.

Mit Joerg Wenzel, Kabinettschef des fuer

Telekommunikation, Industrie und Technologie zustaendigen EU- Kommissars Martin Bangemann, sprach CW-Redakteur Peter Gruber.