Erfolg der T-Aktie als Spiegelbild des Marktes

Börsengang der Telekom löst starke Nachfrage aus

15.11.1996

Kommenden Montag ist "T-Day": 600 Millionen Aktien der Deutschen Telekom AG werden zu einem Stückpreis von 25 bis 30 Mark (der genaue Emissionspreis wird erst unmittelbar zuvor bekanntgegeben) in den Handel an den deutschen Börsen und an der New Yorker Stock Exchange gehen. Einen Tag später soll die Aufnahme des Handels an der Börse Tokio erfolgen - sofern man von Handel überhaupt noch sprechen kann. Denn der nicht zuletzt aufgrund des immensen Werbeaufwandes der Telekom (Insider sprechen von mehreren 100 Millionen Mark) seit Wochen zu beobachtende Run auf die T-Aktie hat zu einer ungewohnten Situation geführt: Die Bundesbürger, bisher eher als Liebhaber konventioneller und risikoloser Kapitalanlageformen bekannt, schicken sich an, ein Volk von Aktionären zu werden. T-Aktien im Wert von rund 17 Milliarden Mark suchen ihre Käufer und haben sie offensichtlich längst auch gefunden.

Das Papier wird am Tag der Neuemission voraussichtlich sechsmal überzeichnet sein, heißt es unter Börsianern - will heißen: Es dürften mehr Aktien geordert werden, als zur Verfügung stehen. Allein gut die Hälfte der rund 3,1 Millionen im sogenannten Telekom-Aktien-Informationsforum (AIF) registrierten Teilnehmer haben per Unterschrift bei ihrer Hausbank ihr Kaufinteresse angemeldet, gab das ehemalige Postunternehmen vergangene Woche stolz bekannt. Und so ist neben dem Umstand, daß sich die privaten Anleger in Deutschland so stürmisch wie noch nie zuvor in das Abenteuer Aktienmarkt stürzen, eine weitere Tatsache bemerkenswert: Die institutionellen Investoren, die das von Beginn an im Deutschen Aktienindex (Dax) notierte Papier aufgrund seiner Bedeutung zwangsläufig in ihr Portfolio aufnehmen müssen, haben, was die Zuteilung betrifft, zunächst das Nachsehen. Sie sind damit weitgehend gezwungen, sich auf dem freien Markt mit der Neuemission einzudecken - mit allen positiven Konsequenzen für die weitere Kursentwicklung der T-Aktie (siehe Kasten Seite 54: "T-Aktie: Die (zu teure) Katze im Sack kaufen?").Der vom Umfang her größten und bedeutendsten Neuemission der deutschen Börsengeschichte scheint also nichts mehr im Wege zu stehen. Nicht umsonst hatten in den vergangenen Wochen in der Tages- und Wirtschaftspresse Artikel zu den Chancen und Risiken einer Zeichnung der T-Aktie Hochkonjunktur. Und der Tenor der Berichterstattung war fast überall der gleiche: Das "Abenteuer T-Aktie" verspricht - schon weil diese Neuemission aus politischen Gründen ein Erfolg werden muß - einiges an Rendite. Aber man sollte als Anleger gleichzeitig eine Portion Risikobereitschaft mitbringen - zu viele Unwägbarkeiten bergen die vor einem radikalen Umbruch stehenden Telecom-Märkte, vor allem aber die nicht unbedingt beste Performance des ehemaligen Bonner Postriesen in sich.

Die Telekom versucht sich vergeblich an der "Quadratur des Kreises", meint hierzu der Münchner Anlage- und Vermögensberater Arnd Wolpers. Das Unternehmen ist seiner Auffassung nach erstens dabei zu lernen, sich im Wettbewerb zu behaupten, zweitens im Begriff, seine Mitarbeiterzahl zu halbieren und insbesondere den alten Beamtenapparat abzubauen, sowie drittens von der Notwendigkeit getrieben, seine Schulden mittelfristig zumindest zu halbieren. Vor allem letzteres sorgte im Vorfeld der Plazierung der T-Aktie für reichlich Diskussionsstoff in Expertenkreisen - insbesondere der etwas publicityträchtige Vergleich der niederländischen Investmentbank Barclays de Zoete Wedd (BZW), wonach die Telekom höhere Schulden als die Türkei habe. Aber die Fakten sehen nicht viel besser aus: Trotz eines Abbaus der Verbindlichkeiten seit Jahresanfang um etwa 20 auf rund 100 Milliarden Mark ist der Bonner Carrier das am zweithöchsten verschuldetste Unternehmen der Welt, heißt es trocken in einer Analyse des Branchen-Newsletters "Finanzwoche".

Daß die Telekom in der Vergangenheit durch staatliche Sonderabgaben und immense Investitionsleistungen ("Aufbau Ost") finanziell stark bluten mußte, scheint sich nun zu rächen. Bis zum Jahr 2000 sollen die Verbindlichkeiten nach den Plänen des Telekom-Managements auf 65 Milliarden Mark reduziert werden vielen Experten scheint dies jedoch angesichts der hohen Zinsbelastung und der bereits versprochenen hohen Dividendenausschüttungen an die Aktionäre unmöglich. Hinzu kommt die seit längerem kritisierte schlechte Kostenstruktur des Unternehmens, unter anderem bedingt durch die nach wie vor sehr hohen Personalkosten.

Internationale Konkurrenten der Telekom wie AT&T und British Telecom (BT) haben bei der Umwandlung zu einem wettbewerbsorientierten Unternehmen einen Vorsprung von mehr als zehn Jahren, führen viele Börsianer ein weiteres Argument ins Feld. Dieser Umstand dürfte vor allem Einfluß auf die Ertragsentwicklung haben. Der Wettbewerb wird härter und die Margen immer geringer. Die Mannen um Telekom-Chef Ron Sommer werden sich also etwas einfallen lassen müssen, um im internationalen Telecom-Business eine halbwegs bedeutende Rolle zu spielen, meinen viele, denen das zusammen mit France Télécom und Sprint gegründete Joint-venture Global One sowie das neuerdings verstärkte Engagement der Bonner im asiatisch-pazifischen Raum zuwenig ist. Erst recht, nachdem sich mit der beabsichtigten Übernahme von MCI durch BT weitere Elefantenhochzeiten zwischen globalen Carriern abzeichnen.

Andererseits muß bei einer Bewertung der künftigen Marktchancen der Telekom auch berücksichtigt werden, daß das Unternehmen noch immer weit über 90 Prozent seiner Umsätze in Deutschland erwirtschaftet. Eine nicht unwesentliche Kennzahl hier: Pro hundert Einwohner sind 49 Telefonanschlüsse gelegt. Weltweiter Spitzenreiter sind momentan die USA mit 58 Anschlüssen pro hundert Einwohnern, etwa 60 Anschlüsse gelten unter Experten als "Sättigungsgrenze". Das Wachstumspotential im klassischen Telefonmarkt ist also gerade auch hierzulande beschränkt. Stärker gefragt sind in Zukunft zeitgemäßere Anwendungen wie Mobilfunk sowie Daten- und Multimedia-Services (siehe Abbildung Seite 53).

Der kürzlich für Schlagzeilen sorgende Ausstieg von RWE aus der Allianz mit Viag und BT bedeutete jedenfalls für viele Kenner der hiesigen Telecom-Szene eine Art Menetekel - waren die Essener doch mit der neuen bayerisch-britischen Strategie, hauptsächlich auf den Mobilfunk und nicht so sehr auf festnetzbasierte und den Massenmarkt adressierende Telefonservices zu setzen, nicht einverstanden. Was im Umkehrschluß nichts anderes bedeutet, als daß man im Lager der Telekom-Herausforderer längst uneins über die Aussichten ist, dem Noch-Monopolisten in seiner ureigenen Domäne nennenswert Marktanteile abzujagen.

Überall dort, wo die Telekom in der jüngsten Vergangenheit Wettbewerb vorfand, hat sie - das ist ein seit der Postreform I von 1989 mittlerweile fester Erfahrungswert - mit harten Bandagen zurückgeschlagen. Nicht immer, wie die Konkurrenz stets beklagt, mit lauteren Methoden, aber meistens erfolgreich. So haben die privaten Carrier im liberalisierten Datenkommunikationsmarkt bis heute lediglich einen Anteil von maximal zehn Prozent erzielen können. Nicht wesentlich anders sieht es im Bereich der seit 1993 genehmigten Corporate Networks zur Sprachübertragung aus. Und seit 1. November 1996 bietet die Telekom ihre lange umstrittenen und vom Bundespostminister inzwischen abgesegneten Großkundenrabatte beim Telefondienst an - ungeachtet der immer noch ausstehenden offiziellen Genehmigung aus Brüssel.

Nicht umsonst ist es längst vorbei mit der Goldgräberstimmung unter den künftigen Wettbewerbern der Telekom. Die großen Energiekonzerne haben sich kreuz und quer gegen die Telekom verbündet und sind sich dabei hauptsächlich selbst in die Quere gekommen, spotten Insider seit längerem. Hinzu kommen regulatorische Unsicherheiten. Nach wie vor fehlen zu einigen Passagen des neuen Telekommunikationsgesetzes, etwa in der für die neuen Anbieter so wichtigen Frage der Netzzusammenschaltung, detaillierte Ausführungsbestimmungen. Und was für viele Experten noch entscheidender ist: Während sich die Konkurrenz mit Vehemenz auf den Telefonmarkt stürzt, hat sich die Telekom längst auch als Multimedia- und Online-Dienstleister ("T-Online") etabliert. Bei der Suche nach einer Internet-Strategie bei RWE, Veba, Viag & Co. heißt es indes bis dato: Fehlanzeige.

Ganz schwarz sehen muß man also nicht für das ehemalige Bonner Postunternehmen, insbesondere auf dem deutschen Markt. Auch deshalb gehen die meisten Börsianer davon aus, daß die Emission der T-Aktie ein Erfolg werden wird. Zudem muß Geld in die marode Kasse der Telekom fließen, und die an der Börseneinführung beteiligten Banken wollen auch kräftig verdienen, heißt es. Da spielt es dann kaum noch eine Rolle, daß der Ausgabepreis der T-Aktie vielfach als überhöht angesehen wird. Ungemach könnte dem Unternehmen T-Aktie allenfalls noch von einer anderen, kaum zu beeinflußenden Größe drohen: Sollte es in den nächsten Tagen zu dem von vielen Fachleuten seit längerem erwarteten Crash an der überhitzten New Yorker Börse (was im übrigen auch für den Dax gilt) kommen, würde just zum Börsengang der Telekom eine allgemeine Kurskorrektur nach unten einsetzen.

T-Aktie: Die (zu teure) Katze im Sack kaufen?

Zur Schar der Kritiker, die den hohen Ausgabepreis der T-Aktie kritisieren, gehört auch der Börseninformationsdienst "Platow Brief". In einer Sonderausgabe zum Börsengang der Deutschen Telekom bewerteten die Platow-Analysten die T-Aktie mit lediglich rund 20 Mark. Bei einem angestrebten Preis von bis zu 30 Mark wird aber der Kauf des Papiers dennoch empfohlen, da kurz nach der Ausgabe der Kurs voraussichtlich steigen werde. Dann sollte die T-Aktie jedoch abgestoßen werden, bevor sie an Wert verliere, heißt es.

Als "erklärungsbedürftig" bewertet der Platow Brief den von der Telekom erwarteten Gewinnanstieg um 36 Prozent bis zum Jahr 2000. Schließlich werde das ehemalige Staatsunternehmen mit der vollkommenen Freigabe des Wettbewerbs ab 1998 etwa 13 Prozent Marktanteil verlieren. Zudem sei im verschärften Wettbewerb ein Rückgang der Preise um rund fünf Prozent zu erwarten. Um seine Schulden bis zur Jahrtausendwende auf 65 Milliarden Mark zu senken, wolle das Unternehmen überdies seine Investitionen "drastisch kürzen". Damit investiere die Telekom aber in Zukunft, so die Analysten, deutlich weniger als etwa ihre europäischen Konkurrenten.

Den Anlegern wolle sich der Bonner Carrier durch Dividendenversprechen als "wahrer Goldesel präsentieren". Die zugesagten Ausschüttungen von 1,5 Milliarden Mark für 1996 und drei Milliarden Mark für 1997 versprechen eine unter den führenden deutschen Börsenwerten "beispiellose" Rendite. Allerdings liege die für dieses Jahr anvisierte Ausschüttung über dem nach Prognosen der Deutschen Morgan Grenfell überhaupt zu erwartendem Telekom-Gewinn. Da Privatanleger nach Lage der Dinge bei der Aktienzuteilung bevorzugt behandelt werden, dürften vermutlich institutionelle Anleger zunächst teilweise leer ausgehen. Da sie an dem von Anfang an im Deutschen Aktienindex (Dax) notierten Titel jedoch nicht vorbeikommen, müßten sie sich am freien Markt bedienen. Konsequenz laut Platow-Brief: "Steigende Kurse sind in den ersten Wochen vorprogrammiert."