Eurex-Strategie verärgert Banken

Börse fällt VMS- und AIX-Anwendern in den Rücken

31.03.2000
MÜNCHEN (ba) - Die Deutsche Börse AG stellt die Unterstützung von IBM- und Compaq-Plattformen für "Eurex" ein (siehe CW 12/2000, Seite 1). Damit bleibt den Banken beim elektronischen Handel mit Wertpapieren in Zukunft nur noch die Wahl zwischen Microsofts Windows NT oder Suns "Solaris". In der Bankenszene sorgte die überstürzte und unerwartete Entscheidung für reichlich Verwirrung. Verärgerte Anwender, die viel in die jetzt entwerteten Plattformen investiert haben, sprechen von millionenschweren Regressforderungen an die Börse.

"Für mich ist diese Entscheidung absolut unverständlich", schimpft Andreas Trunk, Geschäftsführer des DV-Beratungshauses Bit & Byte. Das Münchner Unternehmen, das die Eurex-Plattform bei verschiedenen Banken im süddeutschen Raum betreut, musste aufgrund dieser Entscheidung einen erst vor kurzem unter Dach und Fach gebrachten Auftrag über Compaq-Rechner stornieren. Volumen des Geschäfts: knapp 600000 Mark. Trunks Kommentar zur neuen Börsenstrategie: "Sehr witzig."

Eurex ist die Plattform, über die der elektronische Handel mit Derivaten und Optionen zwischen Banken und der Börse abgewickelt wird. Das System wurde vor etwa zehn Jahren auf dem von Digital Equipment stammenden Betriebssystem VMS entwickelt. Deutschlandweit sind etwa 1000 Eurex-Satellitensysteme bei den Banken installiert, die wiederum via Netz mit einem Zentralrechner bei der Deutschen Börse verbunden sind. Bislang konnten die Bankhäuser die notwendige Eurex-Software unter IBMs "AIX", Compaqs "Open VMS", Suns Solaris oder Windows NT von Microsoft betreiben.

Am 9. März platzte dann die Bombe. In einem 18-zeiligen Fax teilte die Deutsche Börse AG ihren verdutzten Kunden mit, Eurex in Zukunft nur noch für Sun Solaris und Windows NT zu unterstützen. Diese Entscheidung traf die Banken völlig unvorbereitet, und zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Am 2. Mai dieses Jahres soll die neueste Version 4.0 von Eurex in die Testphase starten. Geplanter Zeitpunkt für die Markteinführung: 26. Juni 2000. Viele Anwender hatten geplant, zusammen mit der neuen Version auch neue Hardware anzuschaffen. Wer allerdings bei der neueren, grafisch orientierten "Member-Integrated-System-Server"-(Miss-)Architektur von Eurex auf IBM- und Compaq-Rechner gesetzt hat, den lässt die Börse nun im Regen stehen. Denn der Miss-Support für AIX- und Open-VMS-Plattformen wird ab sofort eingestellt.

Die Banken werden die bittere Pille schlucken und zähneknirschend auf Solaris oder Windows NT wechseln müssen. Denn die Börse hat ihre Kunden fest im Griff. Ein straffes Regelwerk schreibt genau vor, welche Version auf welcher Hardware laufen darf.

Zitat aus der technischen Verordnung: "Sämtliche von einem Teilnehmer geplanten Hardwarekonfigurationen müssen vor ihrem Einsatz (...) von den Eurex-Börsen genehmigt werden. (...) Die Eurex-Börsen benennen die zum Betrieb der Teilnehmer-Frontend-Installationen jeweils gültigen Versionen der Betriebssystem-Software einschließlich aller notwendigen Komponenten."

Reaktion eines Kunden, der nicht genannt werden möchte, auf dieses Diktat: "Die Deutsche Börse hat uns definitiv den Einsatz von neuen Alpha-Rechnern verboten." Diese Vorschriften seien unverständlich und überholt angesichts zahlreicher Tools, die es heute erlauben, auch plattformübergreifend zu arbeiten. Zwar wäre es grundsätzlich möglich, auf den neuen Alpha-Rechnern NT laufen zu lassen, aber selbst das habe die Börse verboten. Windows NT darf nur auf einer Intel-Plattform installiert werden. Kunden mit leistungsstarken Alpha-Maschinen finden sich somit plötzlich in einer Sackgasse wieder.

Die Deutsche Börse AG zeigt ihren Kunden die kalte Schulter. Von einem offenen Ohr für die Sorgen der Anwenderbanken kann keine Rede sein. "Mir ist nicht bekannt, dass sich ein Kunde über die Entscheidung beschwert hat", erklärt Pressesprecher Uwe Velten lapidar. Bei der Eurex-Hotline kann diese Aussage jedoch nicht bestätigt werden. Ein Mitarbeiter, der nicht genannt werden möchte, erzählt von zahlreichen erbosten Anrufern, die sich über die Eurex-Strategie der Börse beschwert hätten.

Eine Notwendigkeit, die Gründe für den Beschluss der Börse zu erläutern, sieht Velten offenbar auch nicht. "Ich kenne die Gründe, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sie nennen möchte. Es stellt sich die Frage: Was bringt das für uns?" Die Frage, was sich die Kunden der Börse denken, erhebt sich für Velten offenbar nicht. Auf wiederholte Anfragen der CW will der Eurex-Sprecher weitere Informationen einholen. Bis auf einen Hinweis, dass diese auch börsenintern "durchaus uneinheitlich" sind, war nichts mehr von der Börse zu erfahren.

Offiziell begründet die Börse ihren Schritt damit, dass es Probleme bei IBM und Compaq mit der Implementierung von Java auf den Open-VMS- und AIX-Plattformen gegeben habe. Daraufhin jedoch den ganzen Support einzustellen, erscheint Anwendern unverständlich. Martin Elbers, Gruppenleiter für den Betrieb der Investment-Banking-Systeme bei der Norddeutschen Landesbank in Hannover, kann sich nicht erklären, warum es so schnell gehen musste. Es sei zwar einsichtig, dass die Börse nicht vier Systemplattformen pflegen möchte, aber es wäre eine feinere Art gewesen, dies längerfristig anzukündigen.

Auch für Werner Jäger, Teamsprecher für die Handelssysteme bei der Bayerischen Landesbank, kam der Schritt der Börse überraschend. Vor allem die Art und Weise der Ankündigung sei nicht richtig gewesen. Gründe, die für die Entscheidung gegen IBM und Compaq sprechen, sind für Jäger nicht zu erkennen. Ein unabhängiger DV-Berater in der Bankenszene vermutet Konflikte verschiedener Interessengruppen hinter den Kulissen der Börse. Der Mann, der ebenfalls anonym bleiben möchte - Zitat: "Ich trau der Bande einfach nicht" - , beruft sich auf enge Kontakte zu Technikerkreisen in der Börsen-DV. Diese Mitarbeiter seien auch erst zwei Tage vor der offiziellen Verlautbarung über den Beschluss informiert worden. Jetzt sei ihre vorrangigste Aufgabe, die aufgebrachten Anwender zu beruhigen und sich für das "arrogante Gebaren der Börsen-Vorstandsebene zu entschuldigen".

Spekulationen, Andersen Consulting, das das Eurex-Produkt für die Börse entwickelt hat, stecke hinter der neuen Geschäftsstrategie, lassen sich nicht bestätigen. Das Beratungsunternehmen schiebt den Schwarzen Peter eindeutig der Deutschen Börse AG zu. "Die Frage, auf welchen Plattformen Eurex läuft, ist einzig und allein eine Entscheidung der Deutschen Börse", lautet die offizielle Stellungnahme von Andersen.

Nachdem IBM und Compaq vorerst im Abseits stehen, steigen vor allem die Chancen für Sun-Systeme mit Solaris. Einhelliges Echo aus der Bankenszene: Wenn die Compaq-Alpha-Plattform nicht mehr unterstützt werde, sei Sun mit Solaris das kleinere Übel. Trunk von Bit & Byte versteht nicht, warum die Börse nicht Windows NT ausgeschlossen habe. Nach seinen Informationen hätten NT-Systeme im Bankeneinsatz immer wieder bis zu einer Minute dauernde Hänger, während derer sich die Rechner neu organisieren müssten. Eine Neuinstallation schaffe zwar zunächst Abhilfe, aber nach etwa zwei Monaten gehe das Spiel wieder von vorne los. "Keiner, der vernünftig arbeiten will, setzt Windows ein. Und diejenigen, die es trotzdem tun, sind auch langsam geheilt", resümiert Trunk.

Ein ähnliches Symptom tritt laut Insiderinformation bei den NT-Rechnern der Bayerischen Börse auf. Hier müsse das Betriebssystem zum Teil sogar alle zwei Wochen neu installiert werden. Von Seiten der Börse in München war kein Kommentar zu diesem Thema zu bekommen. Beim ebenfalls in München ansässigen Bankhaus Reuschel läuft Windows NT laut offizieller Lesart der Pressestelle ohne Probleme. Eine Nachfrage in der Technikabteilung bringt als Kommentar nur Gelächter.

Wie viele Banken deutschlandweit von der neuen Börsenstrategie betroffen sind, darüber kursieren unterschiedliche Informationen. Laut Compaq sind nur noch sechs VMS-Systeme im Eurex-Segment im Einsatz. Kenner aus der Bankenszene gehen jedoch von mindestens 100 Kunden aus, die jetzt auf ihren VMS- und AIX-Systemen hocken und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Unsicher ist bislang auch, wie Regressansprüche zwischen Herstellern, Banken und der Börse gehandhabt werden sollen. Zwischenzeitlich hieß es, die Börse werde für alle Schäden, die ihren Kunden entständen, geradestehen. Doch als die Mitarbeiterin, die dieses Versprechen gegeben hatte, plötzlich nicht mehr zu erreichen war, kamen die DV-Verantwortlichen der Geldinstitute ins Schwitzen. Mittlerweile sollen bereits direkte Verhandlungen zwischen der Börse und Compaq stattgefunden haben. Insider behaupten, es habe schon eine Einigung gegeben. Weder Compaq noch die Börse wollten dies jedoch bestätigen. Über das Volumen möglicher Regressansprüche kursieren bislang nur Spekulationen. Die Rede ist von bis zu 30 Millionen Mark.

Auch die Hersteller hat es kalt erwischt

Compaq versucht, die Bedeutung der neuen Börsenstrategie herunterzuspielen. Die Java-Probleme, die die Börse als Grund für die Aufgabe des Supports anführt, räumte Compaq-Sprecher Herbert Wenk allerdings offen ein. Der texanische PC-Hersteller werde aber versuchen, sich einen möglichst großen Teil des NT-Geschäfts im Eurex-Segment zu sichern. Außerdem würden die Zentralsysteme bei der deutschen Börse weiterhin unter VMS laufen.

Wenks Optimismus wird in der Bankenszene allerdings nicht geteilt. DV-Berater Trunk glaubt, dass diese Entwicklung den Todesstoß für VMS bedeuten könnte. Hinter den Compaq-Kulissen sorgte die Entscheidung wohl auch für einigen Wirbel. Elbers von der Norddeutschen Landesbank erzählt, dass der Compaq-Vertriebsleiter für den Bankenbereich erst durch ihn von dem Börsenbeschluss erfahren habe und natürlich mehr als überrascht war.

Auch IBM wurde von der Entwicklung offenbar überrollt. Informationen im Vorfeld dieses Beschlusses der Börse habe es nicht gegeben, erklärt Klaus Neumann, verantwortlich für das Geschäft mit Web-Servern. Deshalb seien auch keine Diskussionen möglich gewesen, um die Entscheidung noch umzubiegen. IBM werde jedoch "alle Anstrengungen unternehmen, diesen Beschluss noch zu korrigieren". Im Sinne von AIX-Kunden, die sich bereits beschwert hätten, müsse interveniert werden. Erste Gespräche sollen schon stattgefunden haben.

Für IBM tickt bereits die nächste Bombe. Laut internen Informationen aus Börsenkreisen ist geplant, das Eurex-System im nächsten Jahr mit "Xetra", der elektronischen Handelsplattform für Aktien, unter einem Systemdach zu vereinigen. Die Satellitensysteme von Xetra laufen bei den Banken augenblicklich unter Solaris, Windows NT und AIX. Mit der jetzigen Börsenstrategie scheint damit das Schicksal der AIX-Plattform bei der Börse endgültig besiegelt.

Eurex-Geschichte

Eurex Deutschland, eine Untergruppe der Deutschen Börse AG, entwickelte sich aus der Deutschen Terminbörse (DTB). Nach dem Zusammenschluss der DTB mit dem Schweizer Terminmarkt Swiss Options and Financial Futures Exchange (Soffex) entstand im September 1998 der europäische Terminmarkt Eurex.

Eurex erhebt den Anspruch, weltgrößte Derivatebörse zu sein. Das Unternehmen unterhält ein internationales Netz mit Knotenpunkten (Access Points) in Amsterdam, Chikago, Helsinki, London, Madrid und Paris. Weitere Knoten sind in New York, Hongkong und Sydney geplant. Ende 1999 handelten 416 Unternehmen auf der Eurex-Plattform.

Die Software

Die aktuelle Versionsnummer der Eurex-Software lautet 3.0. Diese Plattform existiert in zwei Varianten. Die ältere User-Device-Architektur basiert auf einer rein zeichenorientierten Bildschirmausgabe der Daten. Bei der neueren Member-Integrated-System-Server- (Miss-)Architektur benötigen die Anwender einen leistungsstarken Rechner am Arbeitsplatz. Die Daten werden über eine grafische Benutzeroberfläche angeboten. In Version 3.0 unterstützt Eurex beide Varianten auf allen Plattformen (VMS, AIX, NT und Solaris).

Auch von der Eurex-Version 4, die im Sommer dieses Jahres kommen soll, wird es noch beide Varianten geben. Allerdings will die Börse die Miss-Architektur nur noch auf NT und Solaris zulassen. Die User-Device-Variante soll auf allen Plattformen weiterlaufen.

Mit Version 5, die nächstes Jahr herauskommen soll, wird nur noch die Miss-Variante angeboten, die wie bei Version 4 nur auf Solaris und NT läuft. Wahrscheinlich werden mit diesem Produkt die Handelsplätze Eurex und Xetra miteinander verschmolzen.