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BMW: Im Ersatzteilwesen Info-Fluß ohne Medienbrüche

10.09.1999
Der Ersatzteilkatalog ist ein zentrales Tool eines Automobilunternehmens. Von der Papierform über Mikroverfilmung und CD bis zum Intra- und Internet reicht die Historie des heutigen elektronischen Teilekatalogs der BMW AG, München. Horst-Joachim Hoffmann* schildert Katalogerstellung und -pflege.

Freude am Fahren schließt auch das positive Erlebnis kurzer Reparaturzeiten ein. Fahrzeugbesitzer erwarten eine geschickte Bevorratung oder schnelle Anlieferung benötigter Ersatzteile; beides ist ohne Teile-Informationssysteme auf DV-Basis nicht zu gewährleisten. Bei BMW in München sind daher innovative Systeme zur Teilefreigabe und Sortimentsbildung sowie zur teiletechnischen Katalogbearbeitung und Publikation implementiert.

Diese Zahl kann sich sehen lassen: Mehr als sieben Millionen Fahrzeuge stehen nach eigenen Angaben weltweit im Service-Bestand von BMW und wollen vom zentralen Lager in Dingolfing im Fall der Fälle mit Ersatzteilen versorgt werden. Und noch eine Aussage kennzeichnet das Maß der Dinge im Hause BMW: Die bayerischen Autobauer verpflichten sich zu einem Teile-Service von bis zu 15 Jahren nach Auslauf der Serienproduktion; in der Traditionspflege werden die wichtigsten Teile für Oldtimer sogar 30 Jahre und länger vorgehalten.

Bei diesen Service-Eckdaten kommt der Information der weltweit gut 3500 Händler und der schnellen Versorgung mit Teilen eine große Bedeutung zu. Doch nicht nur die Bestandspflege erfordert intensive Überlegungen zum Aufbau des Informationssystems und des Änderungsdienstes. Die Arbeiten setzen bereits im Vorfeld einer Serienproduk- tion an.

Ein Jahr vor Beginn der Serienproduktion eines neuen BMW-Modells wird bereits der Teile-Vertrieb in die Entwicklungsarbeit einbezogen und macht sich über die Stücklisten des geplanten "Neulings" im Hinblick auf die Sortimentsbildung der Vertriebsteile ein Bild: Der Teile-Vertrieb muß entscheiden, welche Teile in das Ersatzteilwesen einfließen werden.

Dies geschah früher ohne eine integrierte, elektronische Datenverarbeitung und bedeutete in der Kommunikation zwischen den Abteilungen enormen Papier- und Mikrofilmverbrauch und unvermeidbare Medienbrüche. Im Lauf der Zeit wurden aber die Informationen immer stärker systematisch verdichtet, so daß es heute möglich ist, durch spezifizierte Anfragen genau die Sichtweise auf denjenigen Vorgang zu erhalten, der benötigt wird. Während es zum Beispiel unter Produktionsaspekten sinnvoll ist, vom Zulieferer einen kompletten Scheinwerfer-Einbausatz zu beziehen, setzt sich dieser Scheinwerfer ersatzteiltechnisch gesehen aus Glas, Glühbirne, Blende und Befestigungen zusammen - zwei Sichtweisen des gleichen Objekts.

"Bedarf und Anforderungen bei einer Reparatur stehen im Mittelpunkt der Überlegungen des Teile-Vertriebs", erläutert Gerhard Schürmann, BMW-Projektleiter für TPS/TF (Teiletechnisches Publikations- und Autorensystem/Teile-Freigabe). Unterschiedlichste Daten sind nötig, um eine optimale Bevorratung der Ersatzteile sicherzustellen. Sie umfassen - um bei dem Beispiel des Scheinwerfers zu bleiben - Aussagen darüber, wie hoch die mittlere Lebensdauer der Glühbirne ist, wie viele Fahrzeuge bereits mit diesem Scheinwerfer ausgerüstet sind und wie viele neue Autos mit dieser Lichtquelle gebaut werden sollen.

Zur Straffung des Informationsflusses zu den Händlern und Reparateuren wurde bereits 1974 auf der Basis manuell erstellter

Papierkataloge mit der Mikroverfilmung begonnen; 1992 führte BMW dann weltweit den Elektronischen Teilekatalog zur Information der Händler und Reparaturwerkstätten auf CD-ROM ein. Das aktuelle Gesamtkonzept für die TF, die Katalogbearbeitung und die Publikation in einer Client-Server-Architektur, entstand in den Jahren ab 1992 in Zusammenarbeit mit der Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (ESG) aus München und ist seit 1996 im Produktiveinsatz.

Nachgelagerte Abteilungen arbeiten Host-basiert

Zur Gestaltung des Teiletechnischen Publikations- und Autorensystems und der Teile-Freigabe griff BMW auch auf Module des Elektronischen Ersatzteilkataloges Sisy der ESG zurück.

Der Datenfluß des Teile-Vertriebes richtet sich an externe und interne Stellen. So ergibt sich bei BMW eine Besonderheit des Verfahrens dadurch, daß nachgelagerte Abteilungen der TF wie Lagerhaltung oder Auftragsverwaltung Host-basiert arbeiten.

Aus wirtschaftlichen Gründen entschied man sich im Hause BMW, die Stammdaten der Teilefreigabe-Datenbank auf DB2 zu spiegeln, um IMS Datenbanken mit aktuellen Daten versorgen zu können. Über 200 End-User informieren sich über diese IMS-Anwendungen. Es wurde also ein Algorithmus geschaffen, der die Änderungen und Neueinfügungen der Teile-Freigabe in die alten "Teile-Sperre"-Kodierungen abbildet.

"Drei Datenbanken - IMS, DB2 und Oracle - werden derzeit synchron gehalten", erklärt Projektleiter Schürmann. Jede Minute startet ein spezieller System-Job, der Änderungen aufspürt und sie an die beiden anderen Datenbanken weitergibt.

Im Hintergrund dieser neuen Lösung stand der Wunsch nach einer möglichst papierlosen Erstellung und Pflege des Informationssystems. "Das vorhandene, hierarchische IMS-Datenbanksystem zur Teile-Freigabe war im Laufe der Jahre durch neue Anforderungen und Erweiterungen der Inhalte an seine Grenzen gestoßen", so Schürmann rückblickend.

Zusätzlich erschwerte eine Trennung der Aufgaben den Arbeitsfluß: Die TF war bei BMW angesiedelt, die Publikation erstellte ein externer Vertragspartner. In der neuen Architektur sind TF und Katalogerstellung jetzt bei BMW auf einem Oracle-Datenbanksystem unter dem Betriebssystem NT auf Windows-PC zuhause. Als Server finden HP 9000-Maschinen Verwendung.

Aus Konstruktions- und Vertriebsdaten formt sich für jedes Teil ein Stammsatz, der in der Oracle-Datenbank der Teile-Freigabe gehalten wird. In ihm sind Benennung, Maße, Laufzeit und Teile-Status sowie verschiedene andere Codierungen gesammelt.

Dem Teile-Status kommt in diesem Gefüge eine besondere Bedeutung auch als Instrument zur Steuerung des Teile-Flusses zu. Er gibt Auskunft, ob ein Teil verkauft werden darf oder nicht.

Wird ein Teil in der Teile-Freigabe mit dem entsprechenden Status freigegeben, fließt diese Information in das Teiletechnische Publikations- und Autorensystem ein. Die Katalogerstellung basiert auf sogenannten Bild-Text-Einheiten (BTEs), die eine feste Einheit in der Katalogbearbeitung bilden.

Bestimmte Bildtafeln zwingend

Explosionsdarstellungen und Stücklisteninformationen der Vertriebsteile ergeben eine genaue Beschreibung der Bildtafeln des Ersatzteilkataloges.

Kommt etwa - wieder das obige Beispiel - eine neue Scheinwerfer-Glühbirne zum Einsatz, so werden die BTEs des Vorgängermodells aufgerufen, ein Auslaufdatum eingesetzt und die Informationen über die neue Glühbirne angefügt - mit den zugehörigen Daten wie Verbauungsmengen bezüglich der Kfz-Typen, in die sie eingesetzt wird.

Die Generierung der BTEs erfolgt fahrzeugbezogen analog den Konstruktionsgruppen, aus denen ein Fahrzeug besteht - so zum Beispiel Blechteile, Motor, Motor-Elektronik oder Elektrik. "Für jedes Fahrzeug müssen also bestimmte Bildtafeln zwingend vorhanden sein", erläutert Schürmann.

Bei einem neuen Fahrzeug werden die entsprechenden Grafiken aus den Daten der Konstruktion gewonnen; sie nutzt das CAD-Tool Catia. Auch hier findet auf dem Weg zum papierlosen Vorgang Verdichtung statt. So werden in Kooperation mit der Serienentwicklung deren Unterlagen, die NAELs (Neufreigabe Änderungslisten), einmal täglich in die Oracle-Datenbank eingestellt und können von dort geladen werden, um sie - wie früher auf Papier - nun am Bildschirm anschauen und bearbeiten zu können.

Jährlich 45000 Anfragen der Händler

Die relevanten, publikationsbereiten BTEs bilden die Basis für den monatlichen Publikationslauf. In diesem Produktionslauf, in dem die Katalogdaten aufbereitet werden, entsteht eine dateninhaltlich verdichtete CD-ROM, die an die Händler geschickt wird. Die Informationen fließen zudem in die verschiedenen Abteilungen innerhalb des Hauses BMW, wie zum Beispiel die Disposition, die Administration oder auch die Kfz-Vertriebszentren.

Das BMW-System umfaßt nun insgesamt gut zehn Millionen Teilenummern-Typ-Verkettungen und wird, so die mittelfristige Planung, in Kürze auf Internet/ Intranet und Satellitenkommunikation umgestellt. Hierdurch sollen die Händler nicht nur schneller informiert werden, auch der hohe Aufwand der monatlichen CD-ROM-Erstellung gehört dann der Vergangenheit an. Immerhin befinden sich 200000 Teile-Positionen im System, 16000 Aufträge gehen täglich ein. Die Hotlines bearbeiten jährlich 45000 technische Anfragen der Händler.

Derzeit werden die Ersatzteilkataloge in acht Sprachen aufgelegt. Russisch steht auf der Projektliste, und auch für fernöstliche Servicestellen ist gesorgt: Japanisch ist dort auch zu finden.

ANGEKLICKT

Eine globale Serviceverpflichtung erfordert auch eine geschickte Versorgung der Dienstleistungsstellen vor Ort mit Information. Die BMW AG, München, strafft den Prozeß der Bereitstellung dieser Information zur Teileversorgung durch ein umfassendes Client-Server-Konzept: Es läßt Medienbrüche der Vergangenheit angehören und erweist sich offen für neue Kommunikationstechniken wie Internet und Intranet.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier Journalist in Hamburg.