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Bluetooth: Eine klägliche Zwischenbilanz

18.06.2002
Nach dem anfängliche Hype um die Funktechnik Bluetooth haben die Hersteller auf den Boden der Tatsachen zurückgefunden: Vom Massenprodukt ist die Technik noch Jahre entfernt.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bluetooth als Massenprodukt ist noch Jahre entfernt. Das Konsortium, das die drahtlose Netztechnik einst gehypt hatte, ist realistischer geworden und geht nun davon aus, dass Bluetooth erst in acht Jahren so populär sein wird wie Handys heutzutage. "Wir haben das massiv überheizt", gestand Mike McCamon, Executive Director der Bluetooth Special Interest Group (SIG), in einem Interview im Rahmen des vierten jährlichen Bluetooth-Kongresses, der am vergangenen Freitag in Amsterdam endete.

"Rückblickend dauert es vom ersten Aufkommen einer Technik bis zu ihrer Massennutzung im Schnitt eine Dekade. Aktuell befinden wir uns wohl im zweiten Jahr der Bluetooth-Einführung", so McCamon weiter. "Wir mussten erkennen, dass unser Vorhaben weit größer ist als ursprünglich angenommen." Bluetooth wurde im Jahr 1994 als Kabelersatz ersonnen, bietet Bandbreiten von rund 400 Kbps und operiert auf dem gleichen 2,4-Gigahertz-Frequenzband wie DECT und WLAN. Die Hersteller hatten anfänglich versprochen, die Technik würde dieser Tage allgegenwärtig sein. Doch die Realität sieht anders aus: Die Anzahl von Geräten mit Bluetooth ist gering, und nur Early Adopters verwenden die Technologie.

McCamon: "Wir haben das massiv überheizt."
McCamon: "Wir haben das massiv überheizt."

Zwischen der Spezifikation und ersten Produkten vergingen fünf Jahre, und laut McCamon hat Bluetooth "noch nicht einmal den halben Weg" zu seinem erklärten Ziel geschafft. Dieses Ziel ist eine Alltagstechnik, die ohne Nachzudenken benutzt wird - so wie Infrarot, das in jeder Fernbedienung steckt. "Wir stecken definitiv noch in der Frühphase, wo nur Gadget-Verliebte die Technik nutzen", konzediert McCamon.

David Bell, Chef des Spezialhandels BlueUnplugged, pflichtet bei. "Bluetooth ist noch nicht weit verbreitet. Es gibt eine Menge Verwirrung, viele Leute wissen gar nicht, was Bluetooth ist. In 18 Monaten dürfte sich das geändert haben", hofft der Händler, der den Großteil seiner Ware an Tester und "Techies" verkauft.

Zu viele Unzulänglichkeiten

"Bluetooth ist keinesfalls so nutzbar wie es sein sollte. Wir müssen das Wort loswerden - der Anwender muss über die Technik nichts wissen", fordert Nick Hunn, Managing Director von TDK Systems Europe. Seine Firma bietet zwar Bluetooth-Produkte an, hat ihr Engagement aber deutlich gezügelt. Hersteller, die bezüglich der Möglichkeiten der Technologie das Blaue vom Himmel versprochen hatten, hätten schlicht "gelogen", so Hunn. "Die Erwartungen wurden zu schnell zu hoch geschraubt", glaubt TDK-Mann Hunn (der diesbezüglich vor allem Ericsson und Intel Vorwürfe macht) - wenn auch mit dem Erfolg, dass mehr als zwei Dutzend Hersteller Bluetooth-Chips anbieten.

Experten gehen davon aus, dass Bluetooth nun aber allmählich an Fahrt gewinnt - vorausgesetzt, bestehende Probleme etwa in Sachen Interoperabilität ausgeräumt werden. "Heute gibt es keine Garantie, dass Hardware verschiedener Hersteller - selbst wenn sie die gleiche Spezifikation verwenden - miteinander funktioniert", warnt beispielsweise Per Forsberg, Senior Marketing Manager bei National Semiconductor. "Das müssen wir schnell in den Griff kriegen, sonst verlieren die Leute das Vertrauen.

Version 1.2 der Bluetooth-Spezifikation, die im ersten Halbjahr 2003 verabschiedet werden dürfte, soll hier schon wichtige Abhilfe schaffen. Außerdem adressiert sie Forsberg zufolge das Problem möglicher Interferenzen mit WLAN, dem Bluetooth-Sender in die Quere kommen können. Für eine weitere Verbreitung der Bluetooth-Technik sollten außerdem die mittlerweile deutlich gesunkenen Chippreise beitragen. Sony Ericsson, Nokia und Motorola wollen allesamt noch heuer weitere Bluetooth-fähige Handys auf den Markt bringen.

Handys als Triebfeder

Beobachter erwarten, dass Handys vor allem aufgrund ihrer alljährlich neu verkauften Stückzahlen die entscheidende Triebfeder für die weitere Bluetooth-Verbreitung darstellen - selbst wenn ein Gerät wie Sony Ericssons "T68i" eher aufgrund seines Farbdisplays verkauft werden. Dies könnte sich aber beispielsweise durch Anbieter wie Daimler-Chrysler ändern. Die Stuttgarter Autobauer wollen im vierten Quartal für ihre Vehikel die Bluetooth-basierende Freisprecheinrichtung "U-Connect" als Ausstattungsvariante offerieren. "Im Auto ist freihändige Kommunikation die dominierende Anwendung, die langfristig über Wohl und Wehe von Bluetooth entscheidet," glaubt Jack Withrow, Director of Vehicle Entertainment and Communication der Chrysler Group.

Kyle Martin vom kalifornischen Halbleiterhersteller Silicon Wave steht indes auf dem Standpunkt, dass Microsoft den Schlüssel für eine weitere Bluetooth-Verbreitung besitzt. "Wenn Microsoft Windows mit Bluetooth-Unterstützung bringt, wird das eine ganze Flut von Anwendungen bringen. Einige Notebook-Hersteller, darunter Bluetooth-Miterfinder Toshiba und einige Taiwaner, bauen die Funktechnik bereits in ihre Geräte ein. Auch Intel zeigte bereits im vergangenen November ein Bluetooth-fähiges Motherboard.

Für Entwickler hat Microsoft im vergangenen Monat Bluetooth-Software veröffentlicht. Auf dem Jahreskongress in Amsterdam demonstrierte der Redmonder Konzern eine Tastatur und Maus, die über Bluetooth kommunizieren. Windows XP soll später im Laufe des Jahres Bluetooth-Unterstützung erhalten.

Erste kommerzielle Anwendungen

Zu den ersten Anwendern im kommerziellen Umfeld gehört der Kurierdienst FedEx. Dieser wird seine Fahrer nach Angaben von Ken Pasley, Director of Mobile Architecture Development, Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres mit Bluetooth-fähigen Handhelds ausrüsten. Gegenwärtig nutzen die Kuriere zur Datenübertragung an ein Terminal in ihrem Fahrzeug noch Infrarot. Mit den neuen Gerät soll die Synchronisation automatisch laufen, sobald sich der Handheld in Reichweite des Fahrzeugs befindet. FedEx will auch in vielen Niederlassungen Bluetooth-Access-Points installieren, und zwar parallel zum bereits eingesetzten WLAN (das eher für Notebook-Nutzer und höhere Bandbreiten dienen soll). Bluetooth eignet sich laut Pasley dank seines geringen Stromverbrauchs vor allem für batteriebetriebene Mobilgeräte.

Analysten gehen derweil davon aus, dass die Zahl verkaufter Bluetooth-Chipsets von 10,4 Millionen im vergangenen Jahr bis 2006 bereits auf 690 Millionen ansteigen wird. Das entspräche einem gemittelten jährlichen Plus von 132 Prozent. Gleichfalls im Jahr 2006 sollen dann auch 644 Millionen Bluetooth-Geräte verkauft werden. Die Zahlen stammen aus einer Studie von In-Stat/MDR, die im vergangenen Monat erschien. (tc)