der weg zum praktikum in england

Bloß keine dicken Bewerbungsmappen

01.07.1999
Der europäische Arbeitsmarkt wächst zusammen. Sprachkenntnisse und Auslandsaufenthalte werden zu wichtigen Bausteinen für die Karriere. Ein Praktikum in England bringt Pluspunkte bei der späteren Jobsuche und füllt den Geldbeutel.

von Holger Eriksdotter*

"Wer als Praktikant über IT-Qualifikationen verfügt, bekommt in England ein höheres Gehalt als in Deutschland." Klaus Schürmann von der Hamburger Personalberatung Euroxchange vermittelt deutsche IT-Fachkräfte und Praktikanten nach England. Bedingung für ein mit 2000 bis 3000 Mark dotiertes Praktikum sei allerdings ein Auslandsaufenthalt von mindestens sechs Monaten. Dann ist es in vielen Fällen möglich, einen englischen Arbeitgeber für ein befristetes Arbeitsverhältnis zu finden. Die gesuchten Qualifikationen sind breit gestreut und unterscheiden sich kaum von denen, die auch in Deutschland begehrt sind: Betriebssystemexperten für Unix und NT, Programmierer mit Kenntnissen in C, C++ und Java, SAP-, Internet-, Netzwerk- und Datenbankspezialisten stehen auch bei englischen Unternehmen weit oben auf der Wunschliste. Die Entscheidung für ein leistungsgerecht bezahltes Praktikum bedeutet den Verzicht auf Ausbildungsprogramm und Praktikantenbetreuung -

voller Einsatz ist gefragt. Mit einem Praktikum in England kann man nach Ende des Studiums bei Personalchefs nicht nur deshalb punkten, weil man durch den Auslandsaufenthalt Anpassungsvermögen, Eigeninitiative und Flexibilität unter Beweis gestellt hat. Wichtiger ist: Wer in der leistungs- und serviceorientierten anglo-amerikanischen Arbeitswelt, in der Kündigungsschutz, Sozialpläne und Arbeitnehmervertretungen weitgehend unbekannt sind, erste Erfahrungen in einem Full-Time-Job gesammelt hat, gilt laut Schürmann als risikobereit, leistungswillig und durchsetzungsfähig. Eine Vollzeitbeschäftigung wird in der Regel als berufspraktisches Studiensemester anerkannt, wenn das Tätigkeitsfeld dem angestrebten Studienabschluß entspricht. Die Arbeit als Programmierer oder in einem IT-Projekt wird bei Wirtschaftsingenieuren oder Informatikern problemlos akzeptiert. Der gute Ruf eilt den Studenten voraus "Auf die Arbeitsverträge nehmen wir keinen Einfluß. Wenn

aber ein Student nur eine bezahlte Aushilfstätigkeit annimmt oder sich ein halbes Jahr ausschließlich mit Datenerfassung beschäftigt, können wir das nicht als berufspraktisches Semester anerkennen", erläutert Uwe Bittermann, Sachgebietsleiter des Akademischen Auslandsamtes an der Fachhochschule Lübeck. Obwohl die FH Lübeck Auslandspraktika nach Kräften fördert, muß die Art der Berufspraxis den Anforderungen der Studienordnung genügen. In einem 30seitigen Bericht belegt der Student nach dem Praktikum die Inhalte seiner Tätigkeit. Daß auch schon Studenten gute Chancen auf dem englischen Arbeitsmarkt haben, erklärt sich nicht nur aus dem guten Ruf, der deutschen Arbeitskräften vorauseilt. Sie gelten als strebsam, fleißig, gut ausgebildet und sprachlich kompetent, schildert Personalberater Schürmann seine Erfahrungen. Auch die unterschiedlichen Bildungssysteme tragen dazu bei: Englische Studenten verlassen meist nach nur

drei Jahren die Universität mit einem Bachelor-Degree, dessen Anforderungen in weiten Teilen der Zwischenprüfung oder dem Vordiplom an deutschen Hochschulen entsprechen. Die Kenntnisse und Fähigkeiten von deutschen Studenten im Hauptstudium unterscheiden sich deshalb kaum von denen der englischen Uni-Absolventen. Die sprachliche Hürde wird von Informatikstudenten meist leicht genommen, da in Studienfächern mit IT-Schwerpunkt zum Großteil mit englischer Fachliteratur gearbeitet wird. Software und Programmdokumentation liegen ohnehin nur in englisch-sprachigen Versionen vor. Am Anfang einer Auslandstätigkeit steht allerdings fast immer ein Telefoninterview mit dem potentiellen Arbeitgeber, so daß Fremdsprachenkenntnisse, die ein wenig über die reine Fachterminologie hinausgehen, gefragt sind. Wer sich eine Vollzeitbeschäftigung mit entsprechenden Leistungsanforderungen nicht zutraut oder die Betreuung in einem Praktikantenprogramm dem höheren Gehalt

vorzieht, findet häufig in internationalen Austauschprogrammen eine Alternative. Die meisten Hochschulen nehmen an solchen Programmen teil. Wer sich dagegen auf eigene Faust nach einem Praktikumsplatz in England umsieht, sollte sich auf jeden Fall vorher kundig machen und nicht wahllos Bewerbungen abschicken - sonst stößt man leicht auf Unverständnis. Denn die Ausrichtung des englischen Ausbildungssystems auf fachliche und akademische Inhalte hat zur Folge, daß die Studenten dort die Hochschule ohne Einblick in die berufliche Praxis verlassen. Phil Williams, Berater beim UK Resource Centre For International Careers in Bradford und Spezialist für den europäischen Arbeitsmarkt, erläutert die Unterschiede: "Die englischen Arbeitgeber gehen bei der Einstellung eines Jungakademikers davon aus, daß er noch keinerlei berufliche Erfahrungen mitbringt. Deswegen steht in England am Anfang des Arbeitslebens meist ein Trainee-Programm, in dem die berufspraktischen Inhalte

vermittelt werden". "Darum stellen viele Unternehmen in Großbritannien keine Praktikantenplätze zur Verfügung und wissen gelegentlich eine studentische Bewerbung auch nicht einzuordnen. Trotzdem: "Mit der Europäisierung des Arbeitsmarktes zeigen viele Branchen und besonders international tätige Unternehmen zunehmendes Interesse an studentischen Praktikanten", hat Williams beobachtet. Das kann auch Personalberater Schürmann bestätigen: "Selbst bei einem Praktikum von weniger als sechs Monaten stehen die Chancen nicht schlecht, eine passende Stelle zu finden. Besonders im IT-Bereich gibt es viele Unternehmen, die gerne Praktikanten einstellen." Schließlich sind Praktikanten, die ins Ausland gehen, fast immer überdurchschnittlich motiviert und billiger als fertig ausgebildete DV-Experten. Für Unternehmen ist das kein schlechtes Geschäft, weil die Studenten meist so qualifiziert sind, daß sie problemlos in laufenden IT-Projekten eingesetzt werden

können. Der Einstieg in die englische IT-Arbeitswelt ist in mancher Hinsicht sogar einfacher als bei uns: "Aufgeblähte Bewerbungsmappen mit Zeugnissen, Lichtbild, Lebenslauf bis zur Grundschule, Beruf des Vaters und dem Geburtsnamen der Mutter sind eine typisch deutsche Eigenheit, die bei einem englischen Arbeitgeber höchstens ein Stirnrunzeln hervorruft", sagt Schürmann. Insgesamt seien englische Personalchefs weniger formell und bürokratisch. Die wenigen Anforderungen müssen aber auch bei einer Bewerbung für ein Praktikum formal korrekt erfüllt werden. Im Mittelpunkt steht in England der Lebenslauf, Curriculum Vitae oder kurz CV genannt. Sein Aufbau ist völlig anders als der von deutschen Lebensläufen. "Wenn deutsche Bewerber keinen Erfolg bei der Arbeitssuche in England haben, liegt das meist daran, daß der CV nicht den englischen Anforderungen entspricht", stellt der Personalberater fest. Deswegen hilft er, den CV, oft die einzige

Bewerbungsunterlage, zu formulieren. Für bestimmte Positionen wird auch ein Anschreiben ("Covering Letter") erwartet. Euroxchange bietet diese Dienstleistungen kostenlos an, da die Provision der Arbeitgeber bezahlt, wenn der Praktikant in ein reguläres, befristetes Arbeitsverhältnis vermittelt wird. Ansonsten berät Schürmann eher aus persönlichem Engagement als aus finanziellen Interessen: Gegen eine Bearbeitungsgebühr von 50 Mark hilft er auch Studenten, die ein kürzeres Praktikum suchen. Einen lückenlosen Lebenslauf, ein Lichtbild, Abschluß- oder Arbeitszeugnisse erwartet kein Personalchef auf der Insel. Üblicher, wenn auch nicht unbedingt erforderlich, sind Referenzen. Eine Empfehlung eines Professors aus dem Hochschulbereich, wenn möglich eine aus einem vorangegangenem Praktikum oder vorheriger Berufstätigkeit, machen allemal einen guten Eindruck. Es reichen knappe Angaben: Name, Anschrift, Position und Telefonnummer. Wer sich für die

Angabe von Referenzen entscheidet, sollte allerdings damit rechnen, daß der potentielle Arbeitgeber anruft, um sich vom Bewerber ein genaueres Bild zu verschaffen. "Es wird weniger Wert auf formale Abschlüsse gelegt. Dafür kommt es mehr auf die tatsächlichen Fähigkeiten und - wenn vorhanden - beruflichen Erfahrungen an", hat Schürmann beobachtet. Auch Bewerbungen über das Internet sind in England gern gesehen. Wer sich telefonisch oder im Netz vorher über das Unternehmen informiert und die E-Mail-Adresse des Ansprechpartners verschafft, sammelt Pluspunkte: Er zeigt Motivation und Engagement. Mit dem CV als Attachment sind Online-Bewerbungen ebenso aussagekräftig und akzeptiert wie traditionelle Bewerbungsmappen. Die Entscheidung für eine Beschäftigung in Großbritannien heißt auch, auf viele in Deutschland selbstverständliche Sozialleistungen zu verzichten. Die tarifliche Arbeitszeit beträgt fast immer 40 Stunden in der Woche,

Überstunden sind im DV-Bereich üblich. Die Kündigungsfrist liegt in der Regel bei einer Woche und beträgt selbst bei langjähriger Tätigkeit allerhöchstens drei Monate. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird meist nur mit den Karenztagen gewährt. Der Jahresurlaub ist selten länger als zwanzig Tage. Viele Firmen bieten dafür zusätzliche Sozialleistungen an, um die - an deutschen Verhältnissen gemessen - dürftige staatliche Grundversorgung aufzubessern. Eine von der Firma getragene private Krankenversicherung kann sich auch für Studenten, die weiter in Deutschland sozialversichert sind, auszahlen. Denn wer sich ohne private Zusatzversicherung allein auf den staatlichen "National Health Service" verläßt, hat keinen Anspruch auf freie Arztwahl. "Besonders bei Zahnärzten hat man praktisch keine Wahl - die guten nehmen nur Privatpatienten", berichtet Schürmann aus eigener Erfahrung. Das Internet hilft bei der Jobsuche Er

arbeitet mit mehreren Arbeitsvermittlern in England zusammen, aber auch direkt mit einigen großen Unternehmen der Computerbranche. Er berät den Kandidaten bei der Auswahl in Frage kommender Arbeitgeber und überarbeitet mit ihm seinen CV. Wenn ein befristeter Arbeitsvertrag in Frage kommt, stellt er auch den Kontakt zum englischen Unternehmen her. Aus seiner umfangreichen Kartei, in der auch die etwa 2200 Niederlassungen deutscher Unternehmen in Großbritannien enthalten sind, stellt er den Kandidaten Adressen zur Verfügung - und kann aus seiner Kenntnis des englischen Arbeitsmarktes einschätzen, wo eine Bewerbung aussichtsreich ist. Hochschüler, die sich selbst ein Praktikum suchen, finden Unterstützung bei den Arbeitsämtern. In bundesweiten "Europäischen Berufsberatungszentren" (EBZ) haben sich regionale Arbeitsämter auf einzelne Länder spezialisiert. Ansprechpartner für Großbritannien und Nordirland ist das EBZ des Arbeitsamtes Bremen.

Die hier tätigen Berater können zwar nicht direkt zu Praktikumsplätzen verhelfen, geben aber Auskunft zu europäischen Austauschprogrammen und Organisationen sowie zu allen Fragen einer Auslandsbeschäftigung. Auch die fünf deutschen Niederlassungen des British Council (www.britcoun.de) bieten eine kostenlose Beratung an. Bianca Henze vom British Council in Hamburg: "Wir vermitteln zwar keine Praktikumsplätze, verfügen aber über aktuelle Nachschlagwerke und Kontaktadressen und können mit umfassenden Informationen und Ratschlägen weiterhelfen." Hier stehen auch Internet-Terminals für die kostenlose Recherche zur Verfügung. Ein Praktikum in England bringt viele Vorteile - birgt aber auch Risiken: "Die größte Gefahr ist wohl die Versuchung, das Studium abzubrechen, wenn der Arbeitgeber nach Abschluß des Praktikums einen gut dotierten, unbefristeten Vertrag anbietet", warnt Schürmann. *Holger Eriksdotter ist freier Journalist in

Hamburg.