Interview mit Marika Lulay, ab Juni 2017 CEO von GFT Technologies

Blockchain wird die Bankenwelt verändern

02.05.2017
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Blockchain ist eine disruptive Technologie

Als eines der ganz wichtigen Zukunftsthemen gilt die Blockchain - auch in der Bankenwelt. Sind die Erwartungen übertrieben?

Lulay: Ich halte die Blockchain tatsächlich für eines der größten disruptiven Themen. Wir sehen viele Proof of Concepts und erste Anwendungsfälle, aber insgesamt sind wir noch in der Hype-Phase. Es dauert auch bestimmt noch ein paar Jahre, bevor es so richtig losgeht. Aber die Prozesskosten-Einsparungen, die sich mit dieser Technologie erreichen lassen, sind signifikant. Selbst wenn Sie das schlecht rechnen, haben Sie immer noch einen Faktor von eins zu drei. Wir haben das in mehreren Machbarkeitsstudien bewiesen.

Wenn man sich nun vorstellt, dass ganze abteilungs-, unternehmens- und grenzüberschreitende Prozesse durch diese Blockchain-Technologie vollständig automatisiert werden, dass Vermittler wegfallen, die Geld kosten, dann ist einfach klar, dass die Kosten unglaublich sinken werden. Und es werden viele handelnde Einheiten oder Beteiligte aus den Prozessketten herausgenommen. Das ist wahrhaft disruptiv, nicht inkrementell.

Nennen Sie ein Beispiel: Welcher klassische Bankenprozess lässt sich durch die Blockchain automatisieren?

Lulay: In unserem "Emerald"-Projekt haben wir mit der Royal Bank of Scotland den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr von verschiedenen Währungen ohne zentrales Clearing umgesetzt. Die Anforderung war, das genauso schnell hinzubekommen wie mit einem zentralen Clearing. Anders gesagt war das Ziel des Emerald Performance Testings 100 Transaktionen pro Sekunde in das System zu bringen (ausreichend für ein Zahlungssystem auf nationaler Ebene) und zwar in einer Umlaufzeit von 25 Sekunden (ausreichend für die ICT Anforderungen). Das haben wir geschafft - so wie das heute mit den bestehenden Systemen geht. Wir waren also mit der Blockchain-Technologie, die anerkanntermaßen noch nicht voll skaliert und noch nicht die schnellste ist, genauso fix wie die Bestandssysteme. Ohne Clearing dazwischen, sondern direkt! Jetzt stellen Sie sich vor, die Technologie wird schneller...

Wie beurteilen Sie die Sicherheit?

Lulay: Dieses Verfahren ist genauso sicher wie die Bestandssysteme, die von außen abgesichert werden. An sich ist die Blockchain sogar sicherer, weil die Transaktionen über viele Knotenpunkte verteilt laufen. Die müssten alle gleichzeitig gehackt werden, um die Blockchain anzugreifen.

Was heißt das für die GFT? Werden Sie im großen Stil Teams aufstellen und Bankenprozesse daraufhin analysieren, ob sich diese mit der Blockchain besser abbilden lassen?

Lulay: Wir haben tatsächlich drei Teams gegründet, eins in England, eins in Italien und eins als Kooperationsprojekt zwischen Deutschland und Spanien. Sie kennen die Bankprozesse und machen dann Vorschläge. Wir haben außerdem Proof of Concepts entwickelt, sind in entsprechenden Gremien aktiv und testen aus, was geht und was eben nicht.

Die Blockchain wird nicht von heute auf morgen alles verändern. Aber wenn Banken heute diese Option in ihren Systemen und Prozessen nicht berücksichtigen, werden Sie in fünf oder zehn Jahren ein großes Problem haben. Dann werden viele Verfahren auf Blockchain umgestellt sein n und Banken senken damit ihre Prozesskosten dramatisch - und können in der Folge günstigere Services anbieten. Banken, die das nicht machen, bekommen Kostenprobleme.

Sehen Sie eine entsprechende Awareness bei den Banken?

Lulay: Ja, immer mehr. Neben dem großen Konsortium R3 gibt es jetzt in Europa ein kleineres Konsortium von sieben Banken, das überprüfen will, wie es einen Zahlungsverkehr-Service für kleinere Unternehmen auf Basis der Blockchain-Technologie aufbauen kann. So sollen Zahlungsdienste zwischen handelnden Partnern entstehen, ohne dass eine zentrale Clearing-Stelle nötig ist. Da sind ein paar große Banken dabei.

Code_n hilft Banken, nahe an der Industrie zu sein

GFT betreibt mit CODE_n seit einigen Jahren ein Ökosystem für Start-ups. Unter den vielen jungen Unternehmen, die dort mitmachen, haben die meisten gar nichts mit der Finanzbranche zu tun. Warum engagieren Sie sich dort trotzdem?

Die Code_n Spaces in Stuttgart sind digitale Brutstätten, die auch Rückzugsräume (wie im Bild) bieten. Viele GFT-Kunden nutzen CODE-n, um mehr über ihre Zielgruppen zu erfahren und entsprechende Banking- und Versicherungsprodukte entwickeln zu können.
Die Code_n Spaces in Stuttgart sind digitale Brutstätten, die auch Rückzugsräume (wie im Bild) bieten. Viele GFT-Kunden nutzen CODE-n, um mehr über ihre Zielgruppen zu erfahren und entsprechende Banking- und Versicherungsprodukte entwickeln zu können.
Foto: CODE_n

Lulay: Unsere Kunden haben das am Anfang nicht verstanden. Inzwischen fangen sie aber an, sich in die CODE_n SPACES hier in Stuttgart aktiv reinzusetzen. Sie wissen, dass sie ihre Kunden aus der Industrie besser verstehen müssen, um eigene Produkte entwickeln zu können.

Zahlungsvorgänge spielen ja nicht nur im Finanzwesen, sondern überall im Geschäftsleben eine Rolle. Banking ist zum Beispiel ein wesentlicher Anteil von Internet-of-Things-(IoT-)Projekten. Banken müssen verstehen, was ihre Rolle im IoT-Umfeld ist. Haben sie eine wettbewerbsdifferenzierende Rolle oder sind sie nur der Zahlungsverkehr-Abwickler? Vielleicht können sie sogar eigene Services anbieten, wenn sie erkennen, dass man bei bestimmten Zahlungsthemen Kredite oder bei diversen Transaktionstypen Versicherungen anbieten kann.

Weil Banken in die IoT-Prozesse eingebunden sind, können sie über reine Zahlungsabwicklungen hinaus Geschäfte machen. Wir haben CODE_n deshalb bewusst industrieübergreifend aufgestellt. Schauen Sie sich nur die Automobilindustrie an, die über neue Mobilitäts- und Mietmodelle nachdenkt - Stichwort: Car2Go oder Drive Now. Da spielen Banktransaktions-Themen eine große Rolle. Für uns und für unsere Kunden ist es deshalb wichtig, eng an diesen Industrien dran zu sein.