Interview mit Jürgen Schaar, Gründer von Blockchainfirst

Blockchain-Entwicklung in der Praxis

22.02.2017
Von   IDG ExpertenNetzwerk


Moritz Strube beschäftigt sich seit Beginn des letzten KI-Frühlings vor mehr als 20 Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler ist Spezialist für Data Science, Statistik, Softwareentwicklung und KI-Frameworks. Er lehrt und hält Vorträge zu Künstlicher Intelligenz, Data Science und Blockchain. Seit Oktober 2021 ist er als CTO Teil der Leitung des Unternehmens InspectifAI, welches 2021 von dem Körber Geschäftsfeld Digital gegründet wurde.

 

Kryptowährung und Micropayments

Strube: Was raten Sie deutschen Startups und Unternehmen, die die Entwicklung von Blockchain-Anwendungen planen?

Schaar: Blockchain ist noch eine sehr junge Technologie, auch wenn die erste Blockchain „Bitcoin“ schon mehr als sieben Jahre alt ist. Das heißt, wenn man etwas im Bereich Blockchain machen möchte, benötigt man eine langen Atem. Bis wir echte Anwendungen und Produkte sehen, die auf Blockchain Technologien aufsetzen, wird es sicher noch ein bis zwei Jahre oder sogar länger dauern.

Es wird zwar im Moment sehr viel Geld in Startups investiert, die sich mit Blockchain beschäftigen oder eine Blockchain-Idee haben. Dennoch würde ich davon abraten, zu schnell und zu früh eine Seed Finanzierung zu machen. Die Technologie ist noch zu jung und niemand weiß exakt, wohin die Reise geht und was am Ende dabei herauskommt.

Im Moment ist entscheidend, sich mit der Technologie auseinander zu setzen, herumzuprobieren und täglich zu lesen, was so passiert. Es gibt in jedem Land Hackathons bei denen man mitmachen kann, um sich ein Feedback zu holen, ob die Idee Aussicht auf Erfolg hat.

Dennoch wird so viel Geld in „Blockchain“-Startups gepumpt, wie wir es schon damals bei der Internetblase erlebt haben. Einige werden vom DAO-Desaster im letzten Jahr gehört oder gelesen haben. Hieran ist gut zu erkennen, dass FOMO (Fear of missing out) Investoren genauso wie Startups blind macht. Als Fazit rate ich daher, einen kühlen Kopf zu bewahren und keine unüberlegten Schnellschüsse zu wagen. Die gehypten Startups von damals gibt es heute nicht mehr.

Strube: Welche Blockchains beziehungsweise Kryptowährungen sind für Sie interessant?

Schaar: Nach wie vor ist Bitcoin die Kryptowährung schlechthin. Wer Anfang des letzten Jahres Bitcoin gekauft hat, hat bis heute eine extrem gute Rendite erzielen können. Aber auch andere Währungen wie Dash Coin oder Monero haben außergewöhnlich performed. Anfang des Jahres lag der Monero bei 50 Cent und heute ist er bei knapp 13 US Dollar. Nicht schlecht also, wenn man das mal mit den heutigen Zinsen oder anderen Anlagemöglichkeiten vergleicht.

Im Bereich Blockchaintechnologie hat eindeutig Ethereum die Nase vorn. Es ist das Konzept einer Währung und der Möglichkeit mit so genannten Smart Contracts Lösungen zu entwickeln, wie es bisher nicht möglich war. Ich habe Vitalik Buterin, den Erfinder von Ethereum, letztes Jahr auf einer Veranstaltung in Shanghai persönlich kennen gelernt. Es war beeindruckend zu hören, was mit dieser bahnbrechenden Technologie in Zukunft möglich sein wird.

Natürlich ist Hyperledger auch eine Blockchain Plattform, die zukünftig vor allem im Enterprise-Bereich seinen Platz erobern wird. Auch andere Blockchain-Plattformen wie Lisk haben interessante Ansätze. Ich gehe stark davon aus, dass wir in naher Zukunft noch weitere Blockchain-Plattformen sehen werden. Über Vor- und Nachteile der genannten Plattformen zu sprechen, wäre heute zu früh.

Startups würde ich auf jeden Fall empfehlen, sich mit Ethereum auseinander zu setzen und Prototypen sogenannter DAPPs (Decentralized Applications) auf dieser Plattform zu entwickeln. Ethereum ist aus meiner Sicht und Erfahrung technologisch am weitesten entwickelt. Zusätzlich ist es noch wichtig, sich mit Blockchain-Technologien wie IPFS (Inter Planetary File System) und IPDB (Inter Planetary Data Base) auseinander zu setzen. Mit der Kombination aus diesen Technologien werden die zukünftigen Killerapplikationen entstehen.

Blockchain-fähiges Leuchtmittel
Blockchain-fähiges Leuchtmittel
Foto: Blockchainfirst

Strube: Sind Micropayments vor dem Hintergrund der aktuellen Blockchains wirklich möglich?

Schaar: Im Moment sind in der Tat die Gebühren von Blockchain-Transaktionen noch recht hoch, wenn ich Kleinstbeträge im Centbereich versende. Die Transaktionsgeschwindigkeit und die Skalierbarkeit bei Blockchain-Transaktionen sind für die Nutzung einer breiten Masse lange noch nicht ausreichend. Die Technologie steht eben am Anfang und so war es auch zu Beginn des Internets. Es fing an mit Baudraten von 9600 baud und die Kosten, um ins Internet zu gehen, wurden unter anderem nach Telefonminuten berechnet. An Videostreaming in Echtzeit war nicht zu denken.

Technologien wie „lightning bei Bitcoin“ oder „Raiden“ bei Ethereum werden diese Faktoren auflösen und die Technologie massentauglich machen. Der Unterschied ist nur, dass diesmal alles sehr viel schneller gehen wird, als beim Internet. Ich gehe davon aus, dass 2017 das Jahr wird, in dem wir erleben werden, dass Transaktionsgeschwindigkeiten quasi in Echtzeit und Skalierbarkeit kein Thema mehr sein werden.

Strube: Wie reagiert der Markt, insbesondere Industriekunden, auf Ihr Angebot?

Schaar: Zunächst muss ich sagen, dass die Reaktion auf das, was wir bisher entwickelt haben, weltweit überwältigend ist. Jeder kann sich vorstellen, dass solche Lösung in naher Zukunft in echte Produkt einfließen und am Markt zu kaufen sein werden.
Es gibt aber auch hier einen Unterschied in den Reaktionen in Deutschland und zum Beispiel Asien. Hierzu möchte ich von einem wahren Erlebnis erzählen. Vor ein paar Wochen war ich bei einem großen deutschen Industriekonzern eingeladen. Ich habe unseren Minichip mit integrierten Blockchain Light Client vorgestellt. Mit dieser Lösung wird es zukünftig möglich, diese kleinen Module, die etwa 1 US Dollar, zum Biespiel in eine Waschmaschine einzubauen. Eine „Blockchain enabled Waschmaschine“ sozusagen.

Ein Vermieter von Wohnblöcken hätte somit die Möglichkeit, solche Waschmaschinen seinen Mietern anzubieten. Der Mieter kauft eine NFC-Karte zum Beispiel mit der Adresse einer Bitcoin- oder Ethereum-Wallet. Das Guthaben ist in der Blockchain auf dieser Walletadresse gespeichert. Der Nutzer geht einfach an die Waschmaschine, hält die NFC-Karte an die Waschmaschine und kann seine Wäsche waschen. Der Betrag für das Waschen wird in Echtzeit auf das Bitcoin-Konto überwiesen, ohne dass ein Intermediär, wie eine Bank oder ein Payment-Provider dazwischen geschaltet ist, der in der Regel sehr hohe Gebühren berechnet. Über einen Smart Contract kann die Gebühr auch direkt auf das Wallet des Anbieters übertragen werden. Dazu muss einfach der PIN-Code an der Waschmaschine eingegeben werden und der Betrag wird vom Wallet des Nuzters abgezogen.

Eine echte Win-to-Win-Situation also. Als ich diese Idee präsentiert habe, war die Reaktion sehr verhalten und ich bekam als Antwort - Zitat: „Aber so etwas gibt es doch schon. Es gibt doch Waschmaschinen, in denen ich eine Münze einwerfen kann“. “Autsch”, dachte ich, “Willkommen in der der guten alten Welt. Never touch a running System“.

So etwas habe ich in anderen Ländern nie erlebt. Dort ist das Feedback durchweg positiv und niemand hat Zweifel, dass solche Lösungen und Produkte Ihren Markt finden werden. Eventuell sehen wir in Kürze eine „Blockchain enabled Waschmaschine" von einem asiatischen Hersteller der mit “S” anfängt anstatt eine Waschmaschine eines deutschen Herstellers der mit “S” anfängt. Ich hoffe für den Standort Deutschland, dass ich so etwas nie wieder hören werde.

Strube: Was planen Sie als nächstes?

Schaar: Unser Ziel für dieses Jahr ist es zu zeigen, was anhand von realen Use-Cases mit IoT und Blockchain möglich ist. Wir werden daher in den kommenden Monaten weitere Prototypen entwickeln, mit denen Menschen zukünftig untereinander Dienste anbieten können, und dafür einfach und unbürokratisch entlohnt werden. P2P und eine “Sharing Economy” werden damit Realität.

Unsere “Blockchain enabled Ladestation” für Elektroautos und Elektromotorräder ist ein erstes Beispiel. In dieser Woche präsentieren wir eine Lösung mit der jeder, der ein Elektroauto besitzt, dieses an Andere vermieten kann. Wir haben das Elektroauto eines bekannten deutschen Herstellers mit einem Wallet ausgestattet. Indem ich also Geld in Form einer Kryptowährung sende, öffnet sich das Türschloss, und ich kann losfahren. Das Ganze funktioniert ausschließlich mit intelligenter Blockchain-Software. Zusätzliche Hardware ist nicht erforderlich.

Wir haben das an einem einzigen Tag entwickelt. Nicht weil wir zaubern können, sondern weil wir einfach vorhandene Technologie nutzen und uns das notwendig Wissen in den letzten Monaten angeeignet haben. Es ist absolut kein Hexenwerk und jeder andere Programmierer könnte das auch. Mehr Infos dazu wird es in den nächsten Tagen geben. Es gibt noch weitere Use Cases, die wir gerade entwickeln. Es wäre aber noch zu früh darüber zu sprechen. Unser Motto für diese Lösungen wird sein „How to make Cities smart and smart Cities even smarter“.

Strube: Gibt es noch etwas, was Sie den Lesern sagen möchten?

Schaar: Zunächst möchte ich sagen, dass ich noch nie in meinem Leben von einer Technologie so begeistert, aber auch überzeugt war. Blockchain-Technologie ist kein neuer Marketing-Hype, sondern eine Technologie, die ein Schritt in ein neues Zeitalter ist. Blockchain ist keine Bedrohung, sondern schafft Freiheit für alle Menschen dieser Welt, wie es bisher nicht möglich war. Menschen auf diesem Planeten, die niemals ein Bankkonto bekommen würden, können nun Finanztransaktionen durchführen, sich versichern und Geschäfte untereinander machen, ohne dass ein Dritter entscheidet, wie und ob es gemacht wird oder den Preis dafür bestimmt.

Blockchain-Technologie eröffnet Startups die Entwicklung von Ideen, die mit heutigen Mitteln nicht möglich wären. Auch wenn sich viele Berufsbilder völlig verändern und manche Berufe auch wegfallen werden. Die Freiheit und die Möglichkeiten, die sich für jeden von uns daraus ergeben, sind enorm.

Lesern in Deutschland möchte ich sagen: Blockchain ist aus meiner Sicht ein kostbares Geschenk an uns alle. Ob wir dieses Geschenk annehmen und die Chance nutzen, liegt an uns selbst. Wenn wir den Anschluss an das digitale Zeitalter nicht verlieren und unseren Wohlstand bewahren und sogar verbessern wollen, gibt es nur die Möglichkeit, sich besser heute als morgen mit Blockchain auseinander zu setzen. Allen Unternehmen und Berufszweigen rate ich, sich mit Blockchain-Startups zusammen zu setzen und Prototypen zu entwickeln und einfach auszuprobieren und zu lernen. 10.000 Kilometer von hier passiert das bereits und die Waschmaschine mit Münzeinwurf hat dort nur noch einen Platz im historischen Museum.

Strube: Herr Schaar, vielen Dank für das Interview.