Unabhängig von der Diskussion "Zentralismus versus Dezentralismus":

BK-Systeme strikt am Bedarf orientieren

27.03.1987

Am Thema der Bürokommunikation entzündet sich der alte Streit zwischen Zentralisten und Dezentralisierern von neuem. Diese vielerorts sogar recht emotional bestimmte Diskussion wurde in den letzten Jahren bereits in ähnlicher Weise über das Thema Computer geführt.

Darüber ist es mittlerweile recht still geworden. Der "Wildwuchs" an PCs in den Fachabteilungen ist so schlimm gar nicht geworden. Dies liegt daran, daß zum Teil viele PCs unbenutzt oder unbrauchbar geworden mittlerweile in der Ecke stehen (meist aus Gründen mangelnder Benutzerbetreuung) oder aber ihre Besitzer feststellen mußten daß vernünftiges Arbeiten nur möglich ist mit dem Zugriff auf die Groß-DV. Hierdurch gelang es den "alten DV-Hasen", die PC-Nutzer wieder "an die Leine" zu nehmen.

Die Zuordnung ist nach wie vor strittig

Die Diskussion um die Bürokommunikation verläuft ähnlich. und die Frage "Zentralisieren oder dezentralisieren?" läßt sich aus rein technischer Sicht nicht beantworten. Das Problem ist zum großen Teil ein organisatorisches, wie später noch gezeigt wird

Dies fängt an mit der Zuordnung des Projekts "Bürokommunikation" eine Aufgabe der DV-Abteilung oder fällt sie in den Bereich der allgemeinen Verwaltung, die bisher Telefon oder Telefax so hervorragend betreut hat? Oder aber gehört dieses Projekt in

den gerade im Aufbau befindlichen Benutzerservice für individuelle Datenverarbeitung?

Diese Fragestellung zeigt bereits, daß Bürokommunikation im Unternehmen nur sinnvoll eingeführt werden kann, wenn für das Einführungsprojekt ein Team aus all diesen Bereichen und unter Einbeziehung der mit Bürokommunikation "beglückten " Fachabteilungen gebildet wird.

CIM als Langzeitphilosophie über den CA-Technologien

Für Unternehmen, die nicht selbst mit der Herstellung und dem Verkauf von Informationen beschäftigt sind, ist Bürokommunikation nicht Selbstzweck, sondern Hilfsmittel der Arbeit. Dies trifft auf die gesamte deutsche Fertigungsindustrie zu.

Die Diskussion um neue Technologien in der Informationsverarbeitung in der Fertigungsindustrie dreht sich derzeit um Begriffe wie CAD/ CAM, CAQ, PPS, BDE etc. Und über all diesen CA-Technologien steht CIM als Langzeitphilosophie. Das CIM-Konzept muß Bestandteil der strategischen Planung werden. Es muß mit der Gesamtstrategie des Unternehmens konformgehen. Folgerungen aus dem CIM-Konzept sind die Rahmenplanung für die Informationsverarbeitung, die DV-Planung, der CIM-Stufenplan und die Einzelprojekte für den "langen Marsch" zur "integrierten Fabrik".

Die Bürokommunikation spielt im CIM-Konzept eine wichtige Rolle. Von den meisten DV-Herstellern wird sie jedoch sehr vernachlässigt. Der Grund dürfte an dem Mangel geeigneter Systeme auf der Anbieterseite liegen. Das Fernziel Kommunikation jeder-mit-jedem macht sich sehr gut als Werbeslogan und läßt sich modellhaft auch in speziell hierfür zugeschnittenen Systeme hervorragend demonstrieren. Hineingebracht in eine gewachsene DV-Struktur, scheitert es jedoch an technischen Unmöglichkeiten.

Soll Bürokommunikation ein Teil des Ganzen sein, so ist nicht tolerierbar, daß speziell hierfür eigene Systeme aufgebaut werden, mit denen die Kommunikation von und zu den bereits vorhandenen DV-Terminals nicht möglich sein sollte. Welche Rolle hierbei künftige intelligente Telefonsysteme, wie zum Beispiel Hicom, spielen werden, ist zur Zeit noch schwer abschätzbar. Auch sie bilden einen Fremdkörper in der idealerweise als homogen vorstellbaren Informationsverarbeitungslandschaft.

Wenige der derzeit am Markt befindlichen Systeme halten sich an die neuen erarbeiteten Normen. Die Anzahl an Implementierungen des X.400-Protokolls ist noch äußerst gering. Oft sind nicht einmal Textverarbeitungssysteme des gleichen Herstellers in der Lage, miteinander Dokumente 1:1 auszutauschen.

Die Verbindung über nicht der Organisations- und Kommunikationsstruktur des Unternehmens angepaßte Netz-Topologien führt zu nicht mehr tolerierbarem Antwortzeitverhalten der Systeme.

Schlecht genutzte Bürokommunikationssysteme oder gar ungenutzte sind eine kolossale Fehlinvestition.

Die Diskussion um CIM, OSI, MAP, TOP und alle darin enthaltenen Protokolle hat bisher lediglich erreicht daß die Anwender unsicher geworden sind.

Beispiel A: Mehrere hundert DV-Bildschirme

Ein großes deutsches Unternehmen der Fertigungsindustrie mit mehreren tausend Mitarbeitern ist zur Zeit dabei, Bürokommunikation flächendeckend einzuführen. Die Einführung hat zunächst an einem Standort begonnen und soll nach und nach auf die übrigen Werke und Standorte, auch im Ausland, ausgedehnt werden. Bei einer Installationsdichte von mehreren hundert DV-Bildschirmen im ersten Werk stellt sich die Frage nach einem dedizierten Bürokommunikationssystem erst gar nicht. Strikte betriebsinterne Regeln für die Softwareergonomie der zu installierenden Lösungen (10 Gebote der Benutzerfreundlichkeit) verbieten, daß wegen Bürokommunikation an einem Arbeitsplatz weitere Bildschirme aufgestellt werden für Textverarbeitung, Telex, Telefon, Telefax etc. Auf der anderen Seite verbieten einfache Rechnungen über das Investitionsvolumen den Austausch der vorhandenen DV-Terminals gegen sehr viel teurere und anzahlmäßig viele Multifunktions-Bildschirme.

Zähneknirschend fiel die Entscheidung für ein spartanisch anmutendes Bürokommunikationssystem eines großen DV-Herstellers, wodurch hohe Investitionen in zusätzliche Hardware in der Peripherie zunächst vermieden wurden.

Es zeigte sich jedoch bald, daß Bürokommunikation, allen voran Textverarbeitung und Mailingsysteme, den Ausbau der zentralen Hardware und des Zentralrechners erforderlich machen. So kamen hier sehr schnell höhere Rechenleistungen, weitere Plattenspeicher, weitere und schnellere Bussysteme zum Einsatz.

Technisch ist nun Bürokommunikation jeder-mit-jedem möglich. Die Funktionen Textverarbeitung, elektronische Post und elektronischer Terminkalender sind implementiert. Damit sind die Probleme jedoch keineswegs gelöst. Wenn in einem solchen physikalisch sternförmig angelegten System nunmehr zirka 1000 DV-Nutzer miteinander in Verbindung treten können, so wirft dies gravierende arbeitsorganisatorische Fragen auf, auf die noch eingegangen wird.

Beispiel B: Ohne Konzernbindung

Ein anderes deutsches Unternehmen der Fertigungsindustrie plante Bürokommunikation an einem Standort einzurichten, und zwar zunächst ohne die Konzernbindung dabei zu berücksichtigen. Die Ausgangssituation zeigt eine nicht so hohe Terminaldichte wie das Beispiel A. Die Möglichkeit für die noch nicht mit DV ausgestatteten Arbeitsplätze "besonders schöne" neuartige Multifunktions-Bildschirme/Arbeitsplatzrechner mit benutzergerechter Bedienoberfläche zu installieren, war darum von Anfang an nicht ausgeschlossen. Die Überlegungen wurden in dieser Richtung vorangetrieben. Im Werksbereich waren von den mehreren tausend Beschäftigten einige hundert in der Verwaltung tätig. In diesem Verwaltungsbereich waren zunächst zirka hundert Mitarbeiter auserwählt, mit diesen speziell für Bürokommunikation ausgelegten Geräten zu arbeiten. Die einzelnen Arbeitsplätze sollten über ein Local Area Network (LAN) vernetzt werden und der Zugriff auf diverse Kommunikations-, Print- und Dateiserver war vorgesehen. Über den oder die Kommunikationsserver sollte der Zugriff auf die Groß-DV möglich sein. Der BK-Hersteller bietet verschiedene Kommunikationsprotokolle an, wie zum Beispiel 3270-Terminalemulation, File-Transfer, Remote Job Entry, Teletex, Hicom-Gateway etc.

Insbesondere im Vertriebsbereich stellte sich jedoch bald heraus, daß von fast allen Arbeitsplätzen aus der Zugriff auf zentral geführte Datenbanken möglich sein muß. Die dort selektierten Datensätze sollten dann direkt im Bürokommunikationssystem weiter verarbeitbar sein. Das einfachste Beispiel hierfür lautet: Kundenadresse selektieren und in ein Angebotsschreiben einsetzen. Diese automatische Programm-zu-Programm-Kommunikation hätte jedoch erst aufwendig programmiert werden müssen. Zudem lagen die Schnittstellen für die Erstellung dieser Programme nicht offen.

Dieses Problem wäre vielleicht noch lösbar gewesen. Die Bedarfsüberlegungen zum Thema elektronische Post führten jedoch recht bald zu dem Ergebnis, daß eigentlich eine Kommunikation von jedem zu jedem Arbeitsplatz möglich sein sollte. Da jedoch die auf dem Großrechner dann zusätzlich zu implementierende Bürokommunikations-Software andere Schnittstellen und Protokolle benutzt als die auf dem dedizierten Bürokommunikationssystem und dem LAN wäre eine Verbindung, wenn überhaupt, nur über entsprechende Gateways möglich. Wenn dann mit einem bis zu etwa 50 000 Mark pro Arbeitsplatz teurem Bürokommunikationssystem doch letztlich nur Kommunikation in spartanischer Weise nach Großrechenart durchgeführt werden kann und zudem bei Durchgriff auf den Großrechner die hervorragende Benutzeroberfläche des BK-Systems verschwunden ist, warum soll man dann so viel Geld für dieses System ausgeben?

Die Überlegungen zum Technik-Einsatz gehen darum hier jetzt in die Richtung eines Zentralrechnergestützten Bürokommunikationssystems, das jedoch an seiner Peripherie Personal Computer mit entsprechender Software, und unter Umständen abteilungsweise miteinander vernetzt, einsetzt.

Textverarbeitung auf einem Großrechner ist dem Nutzer so gut wie nicht zumutbar. Antwortzeiten von bis zu 4 Sekunden an Remote-Terminals sind von Schreibkräften nicht tolerierbar. Derartige Systeme können unter Umständen zur automatisierten Angebotsschreibung aus vorgefertigten Textkonserven eingesetzt werden. Für Individualkorrespondenz jedoch müssen PC-gestützte Systeme zum Einsatz kommen. Die Hersteller sind hier aufgefordert, die entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten zwischen PC-Textverarbeitung und Großrechner-Textverarbeitung zu schaffen. Ankündigungen hierzu liegen bereits vor.

Organisatorische Brisanz erkennen

Wie auch bei den bisherigen Ausführungen beschäftigt man sich in den Unternehmen meist mit dem Technikkonzept. Niemand erkennt die organisatorische Brisanz, die in der flächendeckenden oder gar unternehmensübergreifenden Einführung von Bürokommunikation verborgen liegt.

Elektronische Postsysteme, die technisch die Möglichkeit erlauben daß jeder mit jedem kommuniziert also Chef mit Auszubildendem und nicht nur Sachbearbeiter mit Sachbearbeiter und auch Auszubildender mit Chef, führen zu einem Abbau der Hierarchiebarrieren. Dies macht es den Führungskräften bei der Aufgabe des Führens nicht leichter. Viel zu einfach ist es, eine Vorlage "eben auch noch mal" an den Vorgesetzten zu schicken, unbeobachtet und verdeckt über Kabel, was man sich früher zu Zeiten der Briefkorrespondenz und Hauspost per Boten niemals getraut hätte. Viel zu einfach ist es, bei der Verteilung von Informationen aus Bequemlichkeit "eben mal" den etwas größeren Verteiler zu wählen und eben dem einen oder anderen auch noch den Vermerk "zur Kenntnis zu bringen".

Dies alles führt dazu, daß man sich mühsam durch den eigenen elektronischen Postkorb hindurchkämpfen muß, bis man auf das eigentlich Wichtige stößt. Das regelmäßige Entleeren des eigenen Briefkastens muß erst gelernt sein.

Boykott der Nutzer muß vorgebeugt werden

Gleiche Schwierigkeiten gelten für den elektronischen Terminkalender. Wenn jeder mit jedem Termine vereinbaren und diese auch noch verbindlich buchen kann, ist einer Terminüberflutung keine Grenze mehr gesetzt. Hier müssen Regeln formuliert werden, die gegebenenfalls auch in die Software implementiert werden, damit die persönliche Sphäre jedes Terminkalenderbesitzers gewahrt bleibt, aber auf der anderen Seite das elektronische Terminkalendersystem mit seiner einfachen Möglichkeit der Terminvereinbarung funktionsfähig bleibt.

Die von Informationsüberflutung gequälten Nutzer finden sehr schnell heraus, wie das entsprechende Softwarepaket boykottiert werden kann. Beim Terminkalender geschieht dies durch einfaches Sperren noch offener Termine und Einbuchen von Zeiten für zum Beispiel Selbststudium.

Wenn darüber hinaus die Softwarepakete derartig schwierig zu bedienen sind, daß Führungskräfte nicht die Zeit finden, sich einzuarbeiten und letztlich das Terminal von der Sekretärin bedient wird, so müssen all die vielen elektronischen Briefkästen im Vorzimmer wieder in Papier umgesetzt werden. Das Ergebnis ist dann nicht weniger Papier, sondern mehr Papier.

Die Einführung von Bürokommunikationssystemen sollte sich darum strikt am Bedarf orientieren. Prof. Weltz hat in diesem Zusammenhang im Dezember 1986 in einem bemerkenswerten Artikel in der "Computerwoche" von "Informationsverseuchung" anstelle von "Informationsversorgung" gesprochen. Es ist unbedingt erforderlich, daß bei der Einführung von Bürokommunikationssystemen die Gestaltung des Systems sich strikt am Bedarf orientiert. Es ist falsch, unüberlegt viel Geld für technische Systeme auszugeben, ohne sich vorher zu überlegen, wie und von wem sie wofür genutzt werden sollen.

Konsequenzen für das Sozialverhalten

Aus dem dargestellten Nutzerverhalten, das auf vielen Einzelbeobachtungen in realen Projekten beruht, wird deutlich, daß Bürokommunikation nicht allein ein technisches Problem ist. Die arbeitsorganisatorischen Konsequenzen wurden bereits angedeutet. Bürokommunikation hat darüber hinaus weitere Konsequenzen für das Sozialverhalten der einzelnen Mitarbeiter. Nur wenn sich im Zuge der Einführung von Bürokommunikation auch die Kommunikationsbeziehungen positiv verändern und neue Kooperationsformen gefunden werden, wird Bürokommunikation auch den Nutzen abwerfen, den sich die Investoren erhoffen. Niemand sollte den Aufwand unterschätzen, der mit der Einführungs- und Nutzungsgestaltung von Bürokommunikation verbunden ist.

Dies fängt an mit dem Aufbau eines zunächst noch einfachen Benutzerservices, mit der Aufstellung eines Schulungsplans und der Ausarbeitung von Schulungseinheiten zur Systemschulung.

Schwieriger wird es, wenn festgestellt wird, daß mit den reinen Bedienkenntnissen die Nutzung des Systems noch nicht gegeben ist. Es müssen zusätzliche Schulungsunterlagen erarbeitet werden in Form von Handlungsanleitungen, die für die Teilnehmer an der Bürokommunikation Nutzungsregeln und Vorschläge für Benutzer des Systems bereithält. Ein ineinandergreifendes System von Schulung, Betreuung und Nachschulung muß einsetzen, um Bürokommunikation zum Erfolg zu führen.

Wenn Bürokommunikation nunmehr nach und nach technisch so möglich wird, wie wir es uns wünschen, werden diese Probleme, die vielleicht zunächst überzogen anmuten, überall aufbrechen.

Die beiden oben genannten Projekte, die mit Förderung des BMFT durchgeführt werden, sollen unter anderem dazu dienen, frühzeitig hierzu Erkenntnisse zu sammeln, Erfahrungen zusammenzustellen und anderen Unternehmen Beispiel zu geben.

*Dr. Klaus Richter ist Geschäftsbereichsleiter Informationsverarbeitung, Scientific Consulting, Dr. Schulte-Hillen BDK, Köln.

Der Vortrag wurde auf dem Online-Kongreß im Februar in Hamburg gehalten.