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Bits am Rande der Orientierungslosigkeit

09.06.2005

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zunächst klingt es alles andere als spektakulär: Seagate Technology hat eine Festplatte für Notebooks vorgestellt, deren Fassungsvermögen mit 160 GB um etwa 25 Prozent größer ist als herkömmliche Massenspeicher für tragbare Rechner. Zudem präsentierte das Unternehmen eine ein Inch (= 2,54 Zentimeter) kleine Festplatte mit einem Fassungsvermögen von acht GB für Musikabspielgeräte sowie ein 500-GB-Laufwerk, das zur Speicherung von Videos in Consumer-Geräten gedacht ist. Alle diese Produkte arbeiten mit einer neuen Aufzeichnungstechnik.

Das Zauberwort, das solche Massendatenhaltung möglich macht, ist das so genannte perpendikuläre Aufzeichnungsverfahren. Bei diesem wird die magnetische Anordnung der einzelnen Bits, also der Träger der zu speichernden Daten, nicht longitudinal, also horizontal, zur Oberfläche der Festplattenscheiben ausgerichtet, sondern perpendikulär, also senkrecht. Die Bits "liegen" nicht, vielmehr "stehen" sie auf dem Trägermedium der Festplatte.

Eine witzige Animation, die die perpendikuläre Technik fasslich macht, kann man sich auf der Homepage von Hitachi Global Storage Technologies herunterladen.

Die herkömmliche, longitudinale Speichertechnik, die Festplattenhersteller bislang verwenden, ist zunehmend an physikalische Grenzen gestoßen. Eine Erhöhung der Speicherkapazität gestaltete sich immer schwieriger. Hersteller wie Hitachi gehen davon aus, dass die Entwicklung von Festplatten innerhalb der nächsten beiden Produktgenerationen, also der kommenden zwei Jahre, am Limit realisierbarer Speicherdichten ankommen wird.

Eines der wesentlichen Probleme der longitudinalen Speicherung hängt dabei zusammen mit dem so genannten superparamagnetischen Effekt. Je dichter Festplatten die magnetisch ausgerichteten Bits lagern, desto größer ist die Gefahr, dass diese Datenteilchen negative Effekte auf ihre "Nachbarn" ausüben. Denn Bits sind auf konzentrischen Kreisen auf der Platte so angeordnet, dass jeweils zwei "Köpfe", also die Nordpole, oder zwei Südpole aneinander gereiht sind. Auf diese Weise stoßen immer zwei magnetisch gleich ausgerichtete Bits aufeinander und stoßen sich ab - ganz nach den Regeln des Magnetismus. Es entsteht somit ein konstant fragiler Zustand, der durch äußere Einflüsse gestört werden kann. Bereits leichte thermische Schwankungen bei Zimmertemperatur können solche Veränderungen hervorrufen. Passiert dies, verliert ein Bit seine magnetische Ausrichtung und wechselt seinen magnetischen Süd- auf den Nordpol oder umgekehrt.

Bits, die ihre magnetische Orientierung ändern - Experten nennen sie "flipped bits", also umgepolte Bits -, verlieren auch ihre Dateninhalte. Die auf den Festplatten gespeicherten Informationen werden so fehlerhaft und unbrauchbar.

Der Bedarf, superdicht gepackte Massenspeicher zu produzieren, ist dabei heutzutage riesig. Insbesondere in Consumer-Produkten wie Laptops oder MP3-Abspielgeräten will der Käufer Festplatten nutzen, die genügend Platz für die Aufzeichnung von Videos oder Audio-Dateien etc. bieten. Festplattenhersteller sind somit gezwungen, neue Aufzeichnungstechniken zur Marktreife zu bringen.

Bei perpendikulär arbeitenden Festplatten wird die magnetische Ausrichtung der Bits senkrecht zur Plattenoberfläche angeordnet. Hier stehen benachbarte Bits quasi kopfüber und kopf unter nebeneinander - ein Nord- und ein Südpol stehen sich jeweils gegenüber. Die Bits ziehen sich somit an, der magnetische Zustand der einzelnen Bits (Coercivity) ist wesentlich stabiler. Die Gefahr des superparamagnetischen Effekts ist bei der perpendikulären Speicheranordnung erheblich reduziert, die Gefahr des Datenverlusts durch flipped bits signifikant geringer. Außerdem kann die Dichte der Bits zueinander bei dieser Aufzeichnungstechnik im Vergleich zu herkömmlichen Techniken entsprechend wesentlich erhöht werden.

Marktinsider gehen davon aus, dass die Perpendikulär-Technik in den kommenden fünf bis sieben Jahren ausgereift sein wird. Sie könnte die Speicherkapazitäten um den Faktor zehn steigern.

Hitachi Ltd. hat Prototypen von perpendikulär aufzeichnenden Festplatten entwickelt, die auf einem Quadratinch bis zu 230 Gigabits lagern. Das ist doppelt so viel wie heute mit longitudinal aufzeichnenden Medien möglich ist. Forscher gehen davon aus, dass bei der longitudinalen Speichertechnik die maximal mögliche Speicherdichte über 120 Gigabits pro Quadratinch erreicht sein könnte. (jm)