Zehn-Punkte-Programm für die neue Legislaturperiode vorgestellt

Bitkom mahnt Reformen an

11.10.2002
MÜNCHEN (gh) - Die deutsche IuK-Industrie befindet sich in einer strukturellen Krise. Nach dem Marktrückgang in diesem Jahr um 1,3 Prozent ist auch 2003 kaum eine Erholung in Sicht. Mit dieser düsteren Prognose verknüpfte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) die Vorlage eines Zehn-Punkte-Programms, in dem nachhaltige Reformen auf den Gebieten Arbeitsmarkt, Bildung sowie E-Government und Steuerpolitik gefordert werden.

Bitkom-Präsident Volker Jung fand vergangene Woche bei der Herbstpressekonferenz seiner Organisation in München deutliche Worte: Man erlebe derzeit bereits die "zweite Konsolidierungswelle" innerhalb der deutschen IuK-Branche. Nach den New-Economy-Firmen und vielen TK-Anbietern bekämen nun auch etablierte mittelständische Systemhäuser und IT-Dienstleister den Markteinbruch voll zu spüren, müssten zum Teil sogar Insolvenz anmelden. Jung schlug in seiner Situationsbeschreibung noch einmal den Bogen von der allgemeinen Konjunkturlage zur momentanen Krise in der IuK-Industrie. Wirtschaft und Privatverbraucher seien von einer enormen Unsicherheit erfasst, die ein Wachstum nicht unbedingt fördere. Und: "Analysten bewerten Unternehmen unserer Branche heute nicht mehr danach, welche Zukunftsmärkte sie mit großem finanziellen Aufwand erschließen, sondern danach, wer am schnellsten Schulden abbaut. Entsprechend zurückhaltend wird investiert."

Business-Pläne sind Makulatur

Für die deutsche IuK-Industrie bedeutet diese Entwicklung im laufenden Jahr die Fortsetzung einer inzwischen dramatischen Abwärtsspirale. Zum Teil gravierende Umsatzeinbrüche gingen, so Jung, mit der Zurückstellung ursprünglicher Business-Pläne und Investitionsvorhaben einher - vor allem im Bereich UMTS. Bereits vor drei Wochen hatte der Bitkom deshalb unmittelbar vor der Bundestagswahl eine kritische Einschätzung der Lage veröffentlicht. Demnach wird das IuK-Marktvolumen 2002 insgesamt gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozent auf 136,1 Milliarden Euro zurückgehen, nachdem es 2001 noch ein geringes Plus von 1,7 Prozent gegeben hatte (siehe Abbildung). Die Zeiten, in denen die IuK-Branche im Durchschnitt vier- bis fünfmal so stark gewachsen ist wie die übrige Volkswirtschaft, sind damit jedenfalls bis auf weiteres passé.

Der Einbruch, der nahezu alle Segmente der IT- und TK-Branche betreffe, wirke sich, wie Jung betonte, auch signifikant auf den Arbeitsmarkt aus. Erstmals seit Anfang der 90er Jahre sei die Zahl der Arbeitsplätze in der IuK-Industrie rückläufig. Für das Jahr 2002 rechnet der Bitkom mit einem Minus von gut drei Prozent. Damit fallen per saldo 28 000 Arbeitsplätze weg. Zum Vergleich: Noch in den Jahren 1999 bis 2001 sind nach Angaben des Verbandes allein bei Softwarehäusern und IT-Dienstleistern 87 000 neue Stellen geschaffen worden.

Wie ernst momentan die Lage ist, verdeutlichte der Bitkom-Präsident und Siemens-Manager auch mit seinem düsteren Ausblick für das kommende Jahr: "Wir gehen davon aus, dass es zu einem weiteren Stellenabbau kommen wird." Am Horizont sei allenfalls ein "Hauch von Erholung" in Sicht. So erwarte der Bitkom zwar insgesamt ein allmähliches Ende der Talfahrt und eine leichte Stabilisierung der Nachfrage. Unter dem Strich werde die IuK-Branche 2003 aber in puncto Wachstum lediglich eine "schwarze Null" erreichen können. Jung legte sich dabei trotz der Tatsache, dass man in diesem Jahr bereits zweimal seine Prognosen nach unten korrigieren musste, erneut auf eine konkrete Zahl fest.

Mageres Plus im kommenden Jahr

So soll Ende 2003 im Durchschnitt ein Plus von 0,4 Prozent auf ein Umsatzvolumen von dann 136,5 Milliarden Euro in den Büchern der deutschen IuK-Industrie stehen. "Ich glaube und hoffe, dass wir dies erreichen", betonte der Bitkom-Präsident, schränkte seine Aussage aber gleichzeitig mit der Bemerkung ein, dass die Abgabe solcher Prognosen im Moment "reine Kaffeesatzleserei" sei.

Erneut recht unterschiedlich dürfte sich nach den jüngsten Prognosen des Bitkom im kommenden Jahr die Entwicklung in einzelnen Marktsegmenten darstellen. Die Bandbreite reiche von minus 18 Prozent bei der Übertragungstechnik bis plus zehn Prozent bei Multifunktionsgeräten und plus 16 Prozent bei Internet-Diensten, hieß es. Im PC-Geschäft sei indes noch keine Trendwende in Sicht, allerdings würden sich hier die Umsatzrückgänge mit rund fünf Prozent gegenüber dem Markteinbruch im Jahr 2002 etwa halbieren. Während sich bei den bisherigen Zugpferden der Branche, Software und IT-Services, auch für 2003 "keine Nachfragebelebung" abzeichne, dürfte die Zahl der Internet-Nutzer bis Ende kommenden Jahres bundesweit auf voraussichtlich 40 Millionen ansteigen. Damit würde sich diese Zahl innerhalb von nur vier Jahren verdoppelt haben. "Es gibt also durchaus noch das eine oder andere positive Signal aus der Branche", machte Jung in Zweckoptimismus.

Einige Arbeitsgesetze sollten "auf den Prüfstand"

Im Mittelpunkt aller Anstrengungen müsse dennoch die nachhaltige Belebung des Arbeitsmarktes stehen, betonte der Bitkom-Präsident. Neue Arbeitsplätze entständen nur, wenn sie bezahlbar und betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten angepasst werden könnten. Einige beschäftigungshemmende Arbeitsgesetze sollten deshalb "auf den Prüfstand". Die aus Bitkom-Sicht notwendigen Änderungen beträfen insbesondere die befristeten Arbeitsverhältnisse und die Teilzeitbeschäftigung, das Betriebsverfassungsgesetz und die Arbeitszeitflexibilität.

Diese nicht ganz neuen Forderungen sind Bestandteil eines umfassenden Zehn-Punkte-Programms, das der Bitkom für die neue Legislaturperiode "vorgelegt" hat. Darin werden auf insgesamt 40 Seiten konkrete Maßnahmen und Handlungsempfehlungen aus Sicht der IuK-Wirtschaft dargelegt: von Arbeitsmarkt und Bildung über die spezielle Förderung des Mittelstandes, die Themen IT-Sicherheit, E-Government und E-Health bis hin zur Steuerpolitik und der aktuellen Entwicklung beim UMTS-Mobilfunk. Gerade von einer Modernisierung der öffentlichen Verwaltung (Stichwort: Bürgerkarte) und dem Gesundheitswesen erhofft sich die deutsche IuK-Industrie in den kommenden Jahren neue und überdies nachhaltige Wachstumsimpulse.

Jung mahnte in diesem Zusammenhang noch einmal eindringlich grundsätzliche Strukturreformen an. Gesamtwirtschaftlich betrachtet befinde sich Deutschland nicht in einer Rezession. Dennoch gingen viele tausend Arbeitsplätze verloren - auch in der IuKBranche. Der Grund: Heute müsse man in Deutschland unter den gegenwärtigen ordnungsrechtlichen Bedingungen ein Wachstum von mindestens 2,5 Prozent erwirtschaften, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das Rezept für Reformen sei, so der Bitkom-Präsident polemisch, im Grundsatz einfach: "Mehr Bildung für die Bürger, mehr Freiheit für die Unternehmen und mehr Effizienz für die öffentliche Verwaltung."

Eines der zentralen Anliegen des Verbandes ist im Moment, das machte Jung auch deutlich, der Aufbau der UMTS-Netze. Allerdings sah sich der Bitkom-Präsident hier ganz offensichtlich zu einer Art Eiertanz zwischen Kritik an der Bundesregierung einerseits und taktischer Zurückhaltung andererseits gezwungen. Schon aus "rechtlichen Gründen" werde es für den Regulierer schwierig sein, nachträglich die Lizenzbedingungen zu ändern, gab Jung zu bedenken, fügte aber gleichzeitig hinzu: "Der Branche wurden durch die UMTS-Lizenzversteigerung 50 Milliarden Euro entzogen. Diese Gelder fehlen nun im Markt. Bereits ein Zehntel dieser Summe würde genügen, um aus dem aktuellen Minus im IuK-Gesamtmarkt ein Plus von immerhin zwei Prozent zu machen."

Abb.1: Der deutsche IuK-Markt

Der Bitkom-Verband prognostiziert für das Jahr 2003 ein Wachstum von 0,4 Prozent - und spricht selbst von "reiner Kaffeesatzleserei". Quelle: Bitkom

Abb.2: Die einzelnen IuK-Segmente

Während Software- und IT-Services stagnieren und der Hardwaremarkt weiter schrumpft, sollen die TK-Dienste im Jahr 2003 erneut um rund fünf Prozent zulegen. Quelle: Bitkom