Computer-unterstützter Unterricht

Bis zu 75 Prozent schneller

25.04.1975

HEIDELBERG - "Wer fragt, was der Computer besser macht, muß auch fragen, was der Lehrer gut macht", sagt der DV-Leiter der Stiftung Rehabilitation in Heidelberg auf die Frage nach dem Nutzen des computerunterstützten Unterrichts. Das Berufsförderungswerk der Stiftung ist größter Anwender des computer-unterstützten Unterrichts (CUU) in Europa. Angefangen hat man 1971 mit 30 Terminals - heute ist die 370/155 mit 1024 K Kernspeicher "zu". Angeschlossen sind jetzt 227 Blattschreiber und 40 Bildschirmterminals - davon stehen bei Rehabilitationseinrichtungen in Essen 96, in Hamburg und Frankfurt je 32 und im österreichischen Linz 16.

Als zweite Anlage, überwiegend für Forschungs- und Demonstrationszwecke, steht eine Siemens 4004/151 mit 512 K Kernspeicher zur Verfügung. Daran sind 32 Sichtstationen Siemens 8152, 3 Blattschreiber und 3 Textronic-Bildschirmgeräte in Heidelberg angeschlossen, außerdem einzelne Terminals in Frankfurt, Esslingen und Gießen. Verbindung über Standleitungen, deren Kosten der Stiftung genausoviel Kummer machen wie den Privatunternehmen: als Ehmke noch für die Post zuständig war, versprach er in Heidelberg Sonderkonditionen für DFÜ im Bildungswesen - seitdem vom Postminister Ehmke nichts mehr zu sehen ist, ist auch davon keine Rede mehr.

An die Zentraleinheit 4004 sind zwei Prozeßrechner Siemens 404/2 angeschlossen, die als Vorechner und Konzentrator dienen. Über den Konzentrator werden die Sichtstationen, eine Platteneinheit und ein Schnelldrucker bedient. Der Schnelldrucker, der im Februar 75 offiziell übergeben wurde, ist der erste von Siemens, der sowohl den APL-Zeichensatz als auch den Normalzeichensatz hat.

Im Dialog kann geblättert werden

Der Schnelldrucker löst das Hardcopy-Problem: es wäre zu teuer, jede Sichtstation mit einer Hardcopy-Einrichtung auszurüsten. Der Benutzer der Sichtstation kann sich auf Wunsch die Copy vom Schnelldrucker anfertigen lassen. Man rechnet mit einem erheblichen Rückgang des Copy-Bedarfes, weil auf der Platteneinheit die Dialoge so gespeichert werden, daß der Benutzer der Sichtstation darin "blättern" kann. Er kann also im Lauf seiner Arbeit feststellen, was er früher gefragt oder geantwortet hat.

Für die Zukunft setzt man in Heidelberg auf den Bildschirm, nachdem das Problem der Hardcopy ebenso wie das der Reproduktion von Dialogen gelöst ist. "Er ist schneller, kann auch Grafik wiedergeben, es ist die ganze Bildschirfläche statt nur einer Zeile verfügbar und das Geräusch fällt weg", zählt H. Berger von der Forschungsabteilung in Heidelberg als Vorteile auf. "Der Bildschirm ist allerdings zunächst noch für Forschung und Experiment bestimmt - zum praktischen Einsatz empfehlen wir für die nächsten zwei Jahre noch den Blattschreiber."

Die APL-Pioniere

Die Siemens-Sichtstation komm auch der Heidelberger Sprachphilosophie entgegen: die Stiftung hat als eine der ersten die Dialogsprache APL von K. E. Iverson für DV im Bildungswesen eingeführt und seither im internationalen Sprachenstreit verfochten. 1972 erfolgte in Heidelberg mit der Installation des Siemens-Systems auch die erste Implementation von APL - mit Unterstützung von Intersystems NV, einer europäischen Tochter von I. P. Sharp Ass (Toronto). Die erste APL-lmplementation in Deutschland war schon zwei Jahre früher erfolgt, - auf der IBM 360, die das Institut damals hatte.

Die Langeweile-Schwelle

Seitdem schwört man auf diese Sprache, von der Augsburger glaubt, sie sei zur Zeit ohne Konkurrenz. Andere Sprachen fielen bei vergleichender Prüfung durch - beispielsweise Planit, wo die Antwortzeiten für die großen Teilnehmerzahlen einfach zu lang waren. "Wir streben Antwortzeiten unter einer Sekunde an", sagt Augsburger. "Auf jeden Fall muß man vermeiden, an die Schwelle der Langeweile zu kommen, die bei drei Sekunden Response-Zeit erreicht ist. Daran ist ja beispielsweise das Schweizer Banksystem gescheitert."

"Ein guter Schüler wird auch mit einem schlechten Lehrer fertig"

Das Ziel der Arbeit sieht Augsburger nicht darin, Dozenten einzusparen, sondern ihnen die Möglichkeit zu qualifizierterer Arbeit zu geben. "Für schwächere Schüler sind wir effektiver als für gute - die guten werden auch mit einem schlechten Lehrer fertig. Mit dem Instrumentarium bringen wir auch die Leute weiter, die sonst nicht vorankommen würden. Natürlich läßt sich nicht in Mark bewerten, wieviel es nützt, wenn ein Behinderter begriffen hat, wie komplex volkswirtschaftliche Vorgänge sind. Bewerten kann man aber interne Vorteile - etwa wenn die Zeit zur Erläuterung des dynamischen Grundgesetzes in der Physik von acht auf zwei Stunden reduziert wird (75 Prozent Zeitersparnis) oder wenn man einen Schüler behalten kann (und ein Sozialversicherungsträger seine Ausbildung weiter bezahlt), den man bei konventionellem Unterricht vorzeitig heimschicken müßte.

Hier kann man Bundesbank spielen

Als weitere Vorteile nennt man in Heidelberg die Simulationsmöglichkeiten. "Ein Schwerpunkt des Einsatzes soll bei Anwendungen liegen, die ohne Computer nicht realisierbar wären", sagt Augsburger und nennt als Beispiel Unternehmensplan- und Börsenspiele oder die Simulation volkswirtschaftlicher Kreislaufmodelle, etwa von Tinbergen. Bei einem Programm zur Erläuterung der Konjunktursteuerung kann der Schüler beispielsweise Bundesbank spielen und den Diskontsatz ändern oder das Floating einführen und dann errechnen lassen, wie sich die übrigen volkswirtschaftlichen Daten dadurch ändern. Diese Möglichkeiten faszinieren die Schüler so, daß sie freiwillig mehr lernen: die Terminals stehen nachmittags für freiwilliges Arbeiten bereit - früher bis 17 Uhr, jetzt bis 21 Uhr und außerdem am Samstagvormittag. Die Belegzeiten sind innerhalb eines Jahres um 25 Prozent gestiegen. "Wir mußten die Zeiten auf Druck der Rehabilitanten so erweitern", berichtet H. Berger.

Vormittags sind die Terminalräume mit Gruppen belegt, die im Anschluß an üblichen Unterricht beispielsweise bestimmte Aufgaben lösen. Nachmittags kann geübt werden - beispielsweise um individuell etwas zu wiederholen oder eine Lücke im Wissen aufzufüllen.

Eingesetzt wird der Computer hauptsächlich bei der Ausbildung in DV-Berufen, bei kaufmännischen Berufen allgemein - die Übungs- oder Schein-Firmen arbeiten mit einer echten EDV - bei Maschinenbautechnikern etwa im Zusammenhang mit dem Thema NC-Maschinen sowie bei den Fächern Elektrotechnik und Mathematik. Abgesehen von diesen Fällen, wo sich der Schüler ans Terminal setzt und selbst arbeitet, gibt es noch die Demonstration mittels Terminal: eine Fernsehkamera tastet die Blattschreiberausgabe ab -die Schüler können den Ausdruck auf einem großen Bildschirm alle auf einmal sehen. So wird zum Beispiel gezeigt, bei welcher Drehzahl eine Welle bricht, deren Daten die Schüler im Unterricht frei als Beispiel gewählt haben.