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Bill Gates launcht Visual Studio .Net

14.02.2002
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Im Rahmen des Launch-Events VSLive! hat Microsofts Chief Software Architect Bill Gates gestern die neue integrierte Entwicklungsumgebung "Visual Studio .Net" offiziell vorgestellt. Das IDE ist für zahlende Developer bereits seit einiger Zeit verfügbar (Computerwoche online berichtete), die lokalisierte deutschsprachige Version erscheint am 1. April.

Microsoft versprach, Visual Studio .Net werde die Produktivität von Anwendungsentwicklern um bis zu 50 Prozent steigern und die Robustheit der Applikation erhöhen. Gates bezeichnete Web-Services als "Schlüssel zur Produktivität, der die gesamte Wirtschaft erweitern" werde. Visual Studio .Net sei das erste Produkt, das von Grund auf für die Erstellung solcher verteilten Anwendungen konzipiert worden sei. "Das ist eines der größten Stücke Arbeit, die wir je im Bereich Forschung und Entwicklung geleistet haben", erklärte Gates. "Normalerweise dauern die Produkt-Release-Zyklen zwei Jahre - dieser hat drei Jahre gebraucht." In .Net investiere Microsoft mehr als fünf Milliarden Dollar für Research and Development, erklärte Gates, der in seiner Keynote außerdem noch eine weitere Standardisierung und mehr

Sicherheit von XML-Web-Services forderte.

Wie bei einer solchen Veranstaltung üblich präsentierte Microsoft erste Referenzkunden und Unterstützer seiner neuen Technik. Der Kosmetikriese L'Oreal will seine Entwicklungszeit dank Visual Studio .Net um die Hälfte reduziert haben und bringt jeden Monat eine neue Website in einem anderen Land ans Netz. Die Investment-Bank Merill-Lynch gibt an, sie habe bei der Integration von Legacy-Voice-Servern für ihre kostenlose amerikanische Kundendienst-Nummer dank Visual Studio ein Fünftel der Zeit eingespart.

Ferner präsentierten rund 190 Partner ihre Produkte und Add-ins für Visual Studio .Net. Zu den wichtigsten gehörten Active State ("Visual Perl", "Visual Python", "Visual XSLT 1.2"), ComponentSource mit einer XML-basierten Schnittstelle für seine "Enterprise Reuse Solution", Compuwares Analyse-Tool "DevPartner" und Fujitsu ("NetCobol"). Microsoft selbst veröffentlichte (unabhängig von Visual Studio) zwei Entwicklungs-Kits, die die Erstellung von Web-Services mit SQL Server 2000 und Biztalk Server vereinfachen sollen.

Bezüglich des Erfolgs der neuen Visual-Studio-Version gibt sich Microsoft durchaus realistisch. Tom Button, Vice President der Developer and Platform Evangelism Group, rechnet damit, dass im ersten Jahr nicht mehr als zwei Millionen Entwickler auf die .Net-Ausführung als primäre Entwicklungsplattform umsteigen. Mittelfristig werde das Tool aber die Akzeptanz künftiger Produkte wie der nächsten Version von SQL Server, Biztalk Server oder Office vorantreiben. "Diese Plattform-Techniken sind das wichtige Ding hinter all diesem", so Burton. "Bei Tools wäscht immer eine Hand die andere. Das ist ein Weg, unsere Design-Techniken in die Hände der Entwickler zu bringen und sie dadurch wiederum effektiv beim Schreiben für unsere Plattformen zu machen."

Wie nicht anders zu erwarten meldete sich die Konkurrenz gleich mit Kritik zu Wort. Sun monierte, Visual Studio .Net unterstütze zwar mehr als 20 Sprachen, kette die Entwickler aber wie gehabt an Windows. Chief Technology Evangelist Simon Phipps erklärte: "Visual Studio .Net schließt nur an Windows-APIs und -Binaries an. Das ist wie wenn man in 24 verschiedenen Sprachen Wasser bestellen kann, aber wenn man ein Bier möchte trotzdem nur Wasser bekommt. Sprachen sind heutzutage irrelevant."

Phipps kritisierte auch die von Bill Gates in seiner Präsentation zitierten Nile-Benchmarks von Doculab. In diesem Test habe eine Kombination aus ASP (Active Server Pages) .Net, Windows 2000 Server und SQL Server auf einem Acht-Wege-Server 4004 Seiten in der Sekunde erzeugt. Dies, so Gates, sei deutlich schneller als eine vergleichbare Kombination aus "generischem" J2EE-Application-Server und Datenbank auf Linux, die lediglich 1395 Seiten in der Sekunde generiere. "Bei unseren Kunden gibt es keine Leistungsprobleme", behauptete Phipps.

Bea gab zu bedenken, die XML-Funktionalität von Visual Studio .Net reiche schwerlich an die rivalisierende Java-Produkte heran (auch wenn Entwickler mit dem Microsoft-Produkt nativen XML-Code erzeugen könnten). Mit dem hauseigenen Web Logic Server ließe sich seit der im vergangenen Jahr vorgestellten Version 6.1 auch SOAP (Simple Object Access Protocol) und WSDL (Web Services Description Language) nutzen. "Der Begriff des Containers und J2EE haben das bereits gelöst", behauptet Principle Technologist Michael Smith.

David Lazar, Group Product Manager in Redmond, räumte ein, dass Microsoft in Sachen XML gegenüber J2EE Boden verloren habe. Die Unterstützung im neuen Visual Studio reiche aber weiter. "Wir haben lange Zeit an dem Produkt gearbeitet, so dass J2EE zwischenzeitig davonziehen konnte. Dafür haben wir XML jetzt richtig fest in den Kern unserer Plattform eingebacken", so der Microsoft-Mann.

Eine sehr spezifische Kritik übte die Sicherheitsberatung Cigital. Diese hat laut "Wall Street Journal" den neuen C++-Compiler von Visual Studio unter die Lupe genommen. Microsoft hatte diesen verändert, um die damit erzeugten Programme weniger anfällig gegen Buffer Overflows und daraus resultierende Angriffsmöglichkeiten zu machen. Cigitals CTO (Chief Technology Officer) Gary McGraw erklärte, Microsoft habe dabei eine Technik verwendet, die bereits bei Linux zum Einsatz gekommen sei und sich dort als keineswegs sicher erwiesen habe. Seiner Einschätzung nach könnte der Compiler nun sogar mehr angreifbaren Code erzeugen als zuvor.

"Sie wollten Fehler vermeiden und haben stattdessen eine Fehler-Sämaschine gebaut", meinte McGraw. Cigital habe Microsoft am Mittwoch (und somit am Tag des Launches) darüber informiert. Microsoft-Sprecher Jim Desler erklärte, man untersuche das Problem gerade. "Sieht aus, als sei dies eine sehr beschränkte und technische Unzulänglichkeit", bemühte sich Desler um Schadensbegrenzung. (tc)