Bill Gates geht stiften

20.06.2006
Am 19. März 1998 titelte eine deutsche Wirtschaftszeitung: "Darf ein Mensch so viel Macht haben?" Citizen Gates, wie das Magazin ihn nannte, Bill Gates also will diese Macht jetzt früher als ursprünglich geplant abgeben.

Eigentlich wollte Gates sich erst in zehn Jahren aus dem operativen Geschäft von Microsoft zurückziehen. Nun hat er bereits am 15. Juni 2006 das Amt des Chief Software Architect und damit die Rolle des technischen Vordenkers an Ray Ozzie abgetreten. Bis 2008 will der Microsoft-Gründer Ozzie noch zur Seite stehen. Gleichzeitig übernimmt Craig Mundie als Chief Research and Strategy Officer wesentliche Aufgaben für die Weiterentwicklung von Microsoft-Produkten. Als Vorstandschef amtiert seit dem Jahr 2000 Steve Ballmer, der 1980 von der Business School der US-Eliteuniversität Stanford zu Microsoft stieß. Gates wird sich ab 2008 auf das Amt des Verwaltungsratschefs (Chairman) konzentrieren und ansonsten der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung sein Hauptaugenmerk widmen.

Chronologie

1975: Bill Gates und Paul Allen schreiben die "Basic"-Programmiersprache für den "Altair"-Computer. Gates gründet nach dem Studienabbruch an der Harvard University gemeinsam mit Allen in Albuquerque die Firma Microsoft. Firmenadresse: Two Park Central Building. Umsatz im Gründungsjahr: 16 000 Dollar.

1976: Gates beklagt sich über illegale Basic-Kopien. Microsofts erste Anzeige erscheint in Form eines Comic überschrieben mit "The Legend of Micro-Kid". Bezeichnenderweise wird Microsoft darin als Zigarre rauchender Geschäftsmann mit Bowler dargestellt, der einem kleinen, dafür schnell und hart zuschlagenden Boxer (einem Computerchip) seine Dienste als Manager anbietet. Im Versprechen war Microsoft schon damals nicht schüchtern: "Microsoft ist das Unternehmen, das effizient Qualitätssoftware in jeder Form von Komplexität für jeden Mikroprozessor entwickeln und implementieren wird."

1977: Microsoft bringt eine "Fortran"-Version für Mikrocomputer und verkauft Basic an Apple.

1980: Microsoft lizenziert Unix. Steve Ballmer stößt zum Unternehmen. Der Computerhersteller IBM erteilt Microsoft zunächst den Auftrag, Versionen von Basic, Fortran, Pascal und Cobol für seinen PC zu entwickeln. Gates kauft für rund 50 000 Dollar die Rechte an dem System QDOS (Quick and Dirty Operating System) von Seattle Computer, benennt es in MS DOS (Microsoft Disc Operating System) um und entwickelt es weiter. Gates beweist bei den Verhandlungen mit den arrogant auftretenden Bossen von IBM erstmals sein überlegenes Verhandlungsgeschick - und seine intelligente Vorausschau: Er vereinbart, dass Big Blue Microsoft für den Deal nicht eine fixe Summe zahlen muss, sondern Lizenzgebühren für jeden mit DOS ausgelieferten PC. Gates erfindet die Gelddruckmaschine mit diesem Coup neu.

1981: IBM stellt seinen ersten Personal Computer mit Microsofts Betriebssystem MS-DOS 1.0 vor. Kooperation Microsoft und Apple für Macintosh-Anwendungen.

1983: Erste Ankündigung im November eines Microsoft-Betriebssystems mit grafischer Oberfläche. Name: Windows. Es folgte Ankündigung auf Ankündigung, nur keine Markteinführung. Vorstellung von "Word". Apple bringt in diesem Jahr das "Lisa"-Betriebssystem mit grafischer Oberfläche und Mausbedienung.

1985: Windows 1.03 kommt auf den Markt. Microsoft und IBM starten Kooperation für ein gemeinsames Betriebssystem: OS/2.

1986: Börsengang von Microsoft.

1987: Microsoft kauft Forethought, das für die Mac-Umgebung "Powerpoint" entwickelt hatte.

1988: Apple und Hewlett-Packard ziehen gegen Microsoft vor Gericht wegen Urheberrechtsstreitigkeiten bezüglich der Benutzeroberfläche.

1989: Erste Office-Suite eingeführt.

1990: Mit Windows 3.0 kommt eine Version, die tatsächlich von den Anwendern akzeptiert und zum kommerziellen Erfolg wird.

1994: Gates heiratet Melinda French und gründet mit ihr die gemeinnützige Melinda Gates Foundation.

1998: Ballmer wird President des Unternehmens. Das Justizministerium und 20 US-Staaten reichen Klage gegen Microsoft wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht ein. Der Hauptvorwurf: Microsoft missbrauche seine monopolartige Stellung mit dem Betriebssystem Windows.

2000: Richter Thomas Penfield Jackson verhängt das Urteil: Microsoft soll in zwei getrennte Unternehmen zerschlagen werden. Das Urteil wird später wieder aufgehoben. Gates trennt sich von einem Teil seiner Macht und ernennt Ballmer zum Chief Executive Officer (CEO) von Microsoft.

2001: Microsoft bringt sein neues Betriebssystem Windows XP auf den Markt.

2004: Die EU-Kommission verhängt ein Bußgeld von rund 500 Millionen Euro gegen Microsoft.

2005: Microsoft will für seinen Online-Dienst MSN und andere Internet-Anwendungen in den nächsten zwei Jahren mehr als zwei Milliarden Dollar investieren. Mit dieser Initiative will das Unternehmen sich der vielfältigen Attacken der Ideenschmiede Google zur Wehr setzen. Umsatz im Geschäftsjahr 2005: 39,8 Milliarden Dollar, Nettogewinn: 12,3 Milliarden Dollar.

2006: Microsoft gibt den geplanten Rückzug von Bill Gates aus dem operativen Tagesgeschäft bis Juli 2008 bekannt.

Mann für Entscheidungen

Ozzie entwickelte Lotus Notes und Ozzie war es auch, der im Juni 1995 mit dem damaligen IBM-Boss Lou Gerstner ein kaum bekannt gewordenes, aber entscheidendes Gespräch zur Übernahme von Lotus Development Corp. führte. Der nicht wenig eitle Lotus-Chef Jim Manzi hatte sich mit dem IBM-Boss in länglichen Gesprächsrunden vor allem über seine eigene finanzielle Ausstaffierung gestritten. Ozzies unprätentiöse, dabei fachlich über jeder Diskussion stehende Autorität schaffte in einem Vier-Augen-Gespräch in New York den Durchbruch.

Bill Gates kam am 28. Oktober 1955 in Seattles "Swedish Hospital" auf die Welt. Er war das zweite von drei Kindern der Eltern William Henry Jr. und Mary Gates. Älter ist seine Schwester Kristi, jünger die zweite Schwester Libby. Die Nachbarn gaben dem offiziell William H. Gates III genannten - der im übrigen in der Gatesschen Ahnengalerie tatsächlich William H. Gates IV ist - den Spitznamen "Happy Boy". Eine Bezeichnung, die später vielleicht niemandem mehr so unbedingt eingefallen wäre.

Viel mehr fiel einigen Zeitgenossen dagegen auf, dass die zusammengezählten Buchstabenwerte des Namens des einflussreichsten Menschen der ITK-Branche nach dem Ascii-Computercode 666 ergeben würde: In der christlichen Mythologie und nach der Offenbarung des Johannes steht diese Zahl als Zeichen für den Leibhaftigen.

Diese Titulierung traf schon eher die Gemütslage einer großen Zahl von Konkurrenten des Microsoft-Imperiums. Seit der Zeit, als Gates 1980 mit den IBM-Oberen den Legende gewordenen Deal für das Q-DOS-Betriebssystem (siehe Kasten "Chronologie") ausgehandelt hatte und die raketenhafte Karriere von Microsoft begann, starben die Wettbewerber "wie die Fliegen" - wie es Wendy Goldman Rohm in ihrem Buch "The Microsoft File - The secret Case against Bill Gates" beschrieb.

Sterben wie die Fliegen

Digital Research, Wordperfect, Borland waren nur einige der vielen Kontrahenten, die die Marktmacht des Prinzips Microsoft kennen lernen und erleiden würden. Eine unendliche Geschichte, die bis auf den heutigen Tag immer fortgesetzt wurde - und erst mit dem Auftritt von Google möglicherweise zu einem weniger fröhlichen Ende kommt.

Natürlich wird der schrittweise Abgang von Gates von vielen Geschichten und Mutmaßungen über die Gründe und die Folgen begleitet (siehe auch die Kolumne auf Seite 4 dieser Ausgabe). Die Marktforscher von IDC kommentieren den sukzessiven Gates-Rückzug unaufgeregt. In den Produktbereichen Betriebssysteme (auch wenn Vista sich verzögert - was bei Microsoft keine Neuigkeit ist), Datenbanken und bei den Office-Produkten habe Microsoft seine Hausaufgaben gemacht. Allerdings müsse sich Microsoft des Ansturms von "New-Media"-Unternehmen wie Google zur Wehr setzen. Das Unternehmen befinde sich aber in einer wirtschaftlich gesunden Lage und es verfüge über hervorragende Köpfe im Management und Entwicklungsteam, schreiben die IDC-Analysten.

Die Entscheidung von Gates, aus der Frontlinie zurückzutreten, gebe sowohl für die Microsoft-Mitarbeiter als auch die Kunden des Softwarehauses Sinn. Um die Herausforderungen zu meistern, denen sich Microsoft durch Google, Yahoo und andere eher traditionelle Medienunternehmen ausgesetzt sieht, brauche der Konzern unabhängiger operierende Manager wie beispielsweise Ozzie. Und das, ohne die Kompetenz eines Bill Gates zu verlieren, der als Chef des Verwaltungsrats in die Geschäfte involviert bleibt. (jm)