Bildungs-Management am Beispiel eines ostdeutschen Energieversorgers Mitarbeiter sind das groesste Problem beim Re-Engineering

18.02.1994

Organigramme und Ablaeufe lassen sich konzeptionell veraendern; auch die dafuer notwendigen Werkzeuge wie Hard- und Software koennen problemlos implementiert werden. Nur: Um eine Neuorganisation wirklich umzusetzen, muessen die Unternehmen den Faktor Mensch veraendern. Hier ist die Schwachstelle fuer alle Umstrukturierungs- und DV-Einfuehrungsvorhaben, meint Anette Brennert*.

Heute beschaeftigt sich fast jedes Unternehmen intensiv mit Reorganisationsmassnahmen. Es

- definiert und fuehrt vorgangsorientierte Ablaeufe ein, um schneller zu werden,

- schafft in geschrumpften Abteilungen ganzheitliche Arbeitsplaetze,

- verstaerkt Teamarbeit,

- baut Einheiten auf, die bis zur rechtlichen Selbstaendigkeit flexibel sind,

- erwartet Eigenverantwortung an jedem Arbeitsplatz sowie Kundenorientierung der Beschaeftigten und

- definiert die Rolle von Fuehrungskraeften neu.

Diese Veraenderungen sind ohne strategisch ausgerichtete und firmenindividuelle Faehigkeiten nicht zu realisieren. Hoert man gleichzeitig von Kuerzungen im Budget der Weiterbildungsabteilungen, so koennte man glauben, es werde weniger in die Entwicklung von Mitarbeitern investiert. Das Gegenteil ist der Fall. Es wird nun anders und im Rahmen von Projekten aus Fachabteilungen qualifiziert, haeufig sogar unter Ausschluss der Bildungsverantwortlichen. Qualifizierung ist damit zur Chefsache geworden, und auch die Vorstaende werden zu Bildungs-Managern auf dem Weg zur lernenden Organisation.

Die klassischen Taetigkeiten des Weiterbildungsleiters reichen nicht mehr aus, wenn man sich die Bedeutung von qualifizierten und motivierten Mitarbeitern klarmacht. Nur die Betriebe werden wirtschaftlich ueberleben, die ihren Beschaeftigten eine Wissensbasis fuer die geforderte Flexibilitaet liefern koennen. Hier ist ein Stratege ausgestattet mit der fachlichen Kompetenz, der internen Akzeptanz und dem notwendigen Instrumentarium.

Um dieses Berufsbild des Bildungs-Managers zu verdeutlichen, entstand das Vorgehensmodell fuer den Aufbau eines strategischen Bildungs-Managements.

Ein ehemaliges Energiekombinat in Mitteldeutschland wurde durch einen Geschaeftsbesorgungsvertrag nach dem Treuhandauftrag in die Mitteldeutsche Energieversorgung AG (Meag) umgewandelt. Die Integrata AG erhielt den Auftrag, das Projekt-Management fuer die dazu notwendige Einfuehrung und den Aufbau der Informatiklandschaft zu stellen. Meine Aufgabe lautete schlicht: die notwendigen Schulungsmassnahmen zu konzipieren und zu realisieren.

In intensiven Gespraechen mit dem Projektverantwortlichen habe ich in der sich neu formierenden Meag fuer den Aufbau eines strategischen Bildungs-Managements geworben. Die Bereitschaft dafuer ist stetig gewachsen, und die hohe Akzeptanz der dortigen Bildungstaetigkeit hat dazu gefuehrt, dass sich dieses Modell umsetzen liess.

Es war eine glueckliche Fuegung, die dazu fuehrte, dass sich im Zusammenwirken von Informatik, Organisation und Bildung ein gesamtes Unternehmen umstrukturieren liess. Man kann heute sagen: Die ostdeutsche Firma hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erreicht, der Weg war richtig, er wird gemeinsam fortgesetzt, und das Vorgehensmodell im Rahmen des Bildungs-Managements ist uebertragbar.

Orientiert an den Unternehmenszielen, formulierte der Energieversorger seine Aufgaben, so wie sie heute und in einer sich veraendernden Zukunft aussehen muessten; eine Unternehmensstruktur wurde geschaffen, Bereiche und Abteilungen definiert und ein Stellenplan erstellt. Fuer die notwendigen Aufgaben entwarfen die Ostdeutschen eine DV-Landschaft, die es ermoeglicht, nach Vorgaben wie Flexibilitaet, Regionalisierung, ganzheitliche Arbeitsplaetze und Kundennaehe zu arbeiten.

Auf der Basis einer Analyse des Qualifizierungsbedarfs (Fragebogenaktion, Interviews mit Projektleitern und Mitarbeitern aus den Fachbereichen und intensive Zusammenarbeit mit der Personalwirtschaft) entstand ein Soll-Ist-Vergleich. Die Soll- Funktionen der Mitarbeiter waren in den Stellenplaenen definiert. In einem Grobkonzept wurde ein Vorgehensmodell entwickelt, um die notwendigen Qualifizierungsmassnahmen umsetzen zu koennen.

Dieses Konzept beinhaltete auch die Benennung eines Tandempartners aus dem Unternehmen selbst. Er sollte auf Dauer die Aufgaben des externen Beraters uebernehmen und dazu auch eine eigene organisatorische Einheit fuer Aus- und Weiterbildung aufbauen.

In einem Feinkonzept entwickelten die Beteiligten konkrete Ausbildungsstrecken, sogenannte Kreise, fuer die unterschiedlichen Stelleninhaber:

- Orientiert am Gesamtprojektverlauf und den dafuer vorgegebenen Zeiten begann die Qualifizierung mit den Mitarbeitern im zentralen Rechenzentrum und den Operatoren in den Aussenstellen.

- Der zweite Kreis waren die Systemverantwortlichen fuer Hardware und die Anwenderbetreuer fuer die Softwareprodukte.

- Die dritte Gruppe umfasste die grosse Menge der Anwender, also alle Sachbearbeiter, die Softwareprodukte fuer ihre Aufgaben benoetigen.

- Viertens wurden alle Grundlagen und Methoden vermittelt, die die Mitarbeiter zur optimalen Aufgabenerfuellung benoetigen (zum Beispiel kaufmaennische und rechtliche Grundlagen sowie Organisationsmethoden fuer Ablaufuntersuchungen).

- Im fuenften Schritt wurden die Fuehrungskraefte auf ihre veraenderten Aufgaben vorbereitet.

Die besondere Situation in den neuen Bundeslaendern, die Notwendigkeit einer schnellen Umsetzung und der relativ lange Zeitraum fuer das interne Bewerbungsverfahren machten es notwendig, gewissermassen fast das Pferd von hinten aufzuzaeumen. Alle gaengigen Ausbildungs- und Qualifizierungskonzepte konnten hier nicht ausgesetzt werden.

Zur Stuetzung wurden Anwenderzirkel gebildet, Anwendungsbetreuer und Trainer in gemeinsamen Bildungsprojekten zusammengefuehrt, Projektmitarbeiter als Trainer ausgebildet und eingesetzt, Praxis- und Seminarteile im Wechsel aufgebaut, Eingangsvoraussetzungen fuer bestimmte Ausbildungsstrecken definiert, Seminarinhalte laufend an die sich veraendernde Praxis angepasst und ein staendiger Dialog zwischen allen Beteiligten gepflegt (woechentliche Meetings und regelmaessge Abstimmung mit dem Vorstand).

Die Meag befindet sich in der Realisierungsphase zwischen dem vierten und fuenften Kreis. Es kamen neue Aufgaben dazu, die die Entwicklung von neuen Ausbildungsstrecken erforderten, aber auch Veraenderungen im Stellenplan bewirkten. So werden in einem staendigen Abgleich Organisation, Informatik und Bildungsarbeit koordiniert und den veraenderten Bedingungen angepasst.

Mit ihrer flexiblen Organisation, der darauf abgestimmten Informatiklandschaft und der analog ausgerichteten Bildungsarbeit kann die Meag auf Marktveraenderungen flexibel reagieren.

Sie ist in der Lage, Kooperationen mit den sich bildenden Stadtwerken einzugehen, kann alle geschaffenen Basisfunktionen an verbleibenden Standorten regional nutzen und als Servicegesellschaft taetig werden.

Auf der Personalseite gab es in den vergangenen Jahren gravierende Veraenderungen, und die Bildungsarbeit musste darauf sofort reagieren:

- Es wurden die Mitarbeiter herausgeloest, die zu den sich bildenden, rechtlich selbstaendigen Gasgesellschaften gehoeren. Diese neuen Einheiten uebernahmen die Konzepte, und die Ausbildung der Mitarbeiter lief einvernehmlich und gemeinsam weiter. Das Schulungszentrum wurde damit zum Serviceunternehmen fuer die Gasgesellschaften.

- Die neuen Positionen wurden alle ausgeschrieben, und jeder Mitarbeiter musste sich eigens bewerben. Die damit verbundene interne Unruhe musste aufgefangen werden.

- Die Eingruppierung der Mitarbeiter erfolgte nach den Richtlinien der OETV, die Eingangsvoraussetzungen entsprachen denen in den alten Bundes- laendern. Gehaltsbestandteile wurden an Qualifizierungsstrecken gemessen. Hierfuer war der Aufbau einer kompletten Schulungsverwaltung (Mitarbeiterprofile, personenbezogene Ausbildungserfassung) erforderlich.

- Die Vorruhestandsregelung wurde von vielen Mitarbeitern in Anspruch genommen und musste personell verkraftet werden. Fachleute und qualifizierte Mitarbeiter gingen, der Nachwuchs musste schnell reifen.

- Die Vorstandszusage "Keine Entlassungen!" fuehrte zu Unter- beziehungsweise Ueberdeckung in einigen Bereichen. Hier mussten langfristige Umschulungen entwickelt und realisiert werden.

- Die gesamte innerbetriebliche Ausbildung musste dem Niveau der alten Bundeslaender angepasst werden. Fuer rund 260 Azubis veraenderte sich das Schulsystem und die Abschlusspruefungen, ja sogar das Berufsbild. Dies musste intern bewaeltigt werden, da die regionalen Berufsschulen ebenfalls im Aufbau waren und nur ungenuegend auf die Pruefungen vorbereiten konnten. Intensive Pruefungstrainings in allen Fachbereichen, hier waren auch die Hauptabteilungsleiter aus den alten Bundeslaendern sehr aktiv, wurden im Schulungszentrum durchgefuehrt. Die Schulung der neu benannten Ausbildungsbeauftragten gehoerte ebenso dazu wie die der innerbetrieblichen Meister.

Teamarbeit ueberwindet den Ost-West-Gegensatz

In dieser Situation zu arbeiten, war oft nicht leicht. Es zeigte sich sehr deutlich, wie wichtig fuer Motivation und Akzeptanz der Aufbau der Projektteams war. Von Anfang an wurden alle Projektleiterfunktionen doppelt, also im Tandem gebildet: Immer ein Fachmann-West und ein zukuenftiger Fachmann-Ost. Die Teams setzen sich aus gemischten Gruppen von Meag-Mitarbeitern, VEW- Mitarbeitern (die VEW sind einer der Partner aus dem Geschaeftsbesorgungsvertrag, also die Muttergesellschaft neben den Isar-Amper-Werken und den Badenwerken) und Projektmitarbeitern zusammen. Gemeinsame Arbeit half sehr schnell, Grenzen im Kopf zu ueberwinden. Dieser Zusammenhalt wirkt bei allen Veraenderungen.

Die Bildungsabteilung erlangt hohes Ansehen

Bei allen Projektsitzungen muessen die Stimmungsschwankungen, die im gesamten Unternehmen auftraten, aufgefangen werden. Das erfordert bei den einzelnen Trainern, die von vielen Bildungsanbietern kommen (CDI, Integrata, ifs, SAP, Oracle, DEC, Siemens, Bildungs-Agentur etc.), aber auch seitens der internen Partner ein hohes Mass an Einfuehlungsvermoegen und Flexibilitaet, aber auch die Bereitschaft zur permanenten Ueberarbeitung von Seminarinhalten.

Die Akzeptanz im ganzen Haus, bei allen Fach- und Fuehrungskraeften bis hin zum Vorstand, hat dazu gefuehrt, dass der Bildungsbereich bei allen Entscheidungen eingebunden wird. Der enge und staendige Kontakt fuehrt zu kurzen Entscheidungswegen, und Umsetzungen liessen sich bisher sehr schnell realisieren.

*Anette Brennert ist Geschaeftsfuehrerin der Bildungsagentur in Muenchen und Hamm.