Post betont akzeptablen Preis als unumgängliche Voraussetzung:

Bildfernsprechen kann 1990 Realität werden

17.05.1985

Die Deutsche Bundespost kündigt für 1990 die Einführung des Breitband ISDN und damit das Bildfernsprechen an. Voraussetzungen dafür sind Lichtwellenleiter (Glasfaserkabel) bis hin zum Teilnehmer sowie preisgünstige Übertragungsund Vermittlungseinrichtungen für hohe Datenraten.

Immerhin benötigt ein Bildfernsprechkanal ungefähr die 2000fache Kapazität eines Fernsprechkanals und ein ähnliches Kostenverhältnis würde vom Teilnehmer nicht akzeptiert werden. Wie so ein Breitband-ISDN-Teilnehmeranschluß aussehen könnte, zeigt das Bild. Aus ihm wird deutlich, daß neben neuen technischen Schaltungen auch neue Begriffe mit dem Breitband-ISDN verbunden sind. Neben dem inzwischen wohl geläufigen 64-KBit/s-Kanal des Schmalband-ISDN wird man sich nun auch an den H4-Kanal (139,264 MBit/s) und den H12-Kanal (1920 KBit/s) gewöhnen müssen.

Während schon die ersten integrierten Schaltkreise für dieses Fernmeldenetz vorgestellt werden, sind sich die Experten jedoch noch nicht einmal über die zu verwendende Bitrate für das Bildsignal (140, 70 oder 34 MBit/s) einig. Die Standardisierungsarbeiten für das Bildfernsprechen beginnen erst jetzt und die Deutsche Bundespost kann oder will noch nicht sagen, wie das Breitband-ISDN aussehen wird. So jedenfalls au einer Tagung der Nachrichtentechnischen Gesellschaft (NTG) mit dem Thema "Wege zum integrierten Kommunikationsnetz", die kürzlich in Berlin stattfand. Vor zirka 500 Fachleuten der Telekommunikationstechnik hielten sich die Vertreter der Post beim Breitband-ISDN doch sehr zurück und betonten, daß das Bildfernsprechen nur Realität werden kann, wenn es zu einem akzeptablen Preis angeboten wird. Demgegenüber stellten die Herstellerfirmen schon sehr konkrete Konzepte vor.

Fest steht bisher, daß die in sieben Städten befindlichen Bigfon-Inseln über "Vorläufer"-Breitbandvermittlungen miteinander verbunden werden. Diese Vermittlungen verknüpfen auch die Videokonferenzräume, die zur Zeit von der Post eingerichtet werden, und sollen ab 1986 in ausgewählten Anschlußbereichen neue Teilnehmer für Bildfernsprechen oder schnelle Datenübertragung untereinander verbinden. Dieses Glasfaser-Overlaynetz wird aber wegen fehlender Standards Modellcharakter haben. Ob dann 1989 tatsächlich mit der Einführung von Serien-Breitbandvermittlungen begonnen werden kann, erscheint doch angesichts der noch durchzuführenden Standardisierungsarbeiten und Halbleiterschaltungsentwicklungen sehr zweifelhaft .

Während das Breitband-ISDN noch Stoff für viele Diskussionen hergeben wird, ist das Schmalband-ISDN unter Fachleuten kein Thema mehr. Nachdem vom CCITT im letzten Herbst entsprechende Empfehlungen verabschiedet wurden, konnte man nun auf dieser Tagung erstmals konkrete Realisierungen kennenlernen. Für den Teilnehmeranschluß sind spezielle kundenspezifische Schaltkreise erforderlich und gerade unter den Herstellerfirmen, die keine eigene Halbleiterentwicklung betreiben, war die Sorge zu spüren, ob sie auch rechtzeitig und in ausreichender Anzahl mit diesen Chips versorgt werden.

Unter dem Gesichtspunkt, daß die Post die Erweiterung des Datex-P-Netzes plant und zur Zeit zirka 35 entsprechende Angebote prüft, war die Mitteilung interessant, daß die beiden digitalen Fernsprechvermittlungen "System 12" und "EWSD" in naher Zukunft auch paketorientierte Daten vermitteln können. Man darf gespannt sein, ob die Post der Empfehlung der beiden Hersteller und ihrer eigenen Philosophie der Integration folgt und Datex-P mit in das Schmalband-ISDN übernimmt.

Auf der Tagung wurde auch Gewißheit, was ein sorgfältiges Studium der Produktbeschreibung der "1. ISDN-Nebenstellenanlage" vermuten ließ: Die internen Schnittstellen entsprechen bisher nicht voll den CCITT-Empfehlungen und es wurde auch deutlich, daß der Anwender nicht damit rechnen kann, freizügig Endgeräte an seine spätere ISDN-Kommunikationsanlage anschließen zu können. Innerhalb einer Anlage ist jeder Hersteller frei in der Wahl seiner Schnittstellen.

Nach der auf der Tagung gezeigten Zuversicht der Ingenieure bleibt nun abzuwarten, ob damit auch die Wünsche der Anwender getroffen wurden. Wer sich über technische Grundlagen des Schmalband-ISDN und Konzepte für das Breitband-ISDN informieren möchte, dem sei der Tagungsband dieser Veranstaltung wärmstens empfohlen.

* Rainer Hartlep ist Geschäftsführer der Telerat Beraungsgesellschaft für Telekommunikationssysteme mbH, Berlin