Neue Internet-Dienste/Streaming - die nächste Internet-Revolution?

Bilder müssen das Laufen erst noch lernen

03.08.2001
Ruckel, Zuckel, Stopp. Videos über einen PC mit normaler ISDN-Geschwindigkeit zu empfangen ist kein Vergnügen. Den optimalen Zugang hat ein gewöhnlicher Nutzer bisher nicht. Der aber will gestochen scharfe Bilder. Die Industrie verspricht sich von kommenden Bandbreiten den ganz großen Umsatz. Mit der Technik des Streaming sollen Waren dann in Hollywood-Qualität dargestellt werden. Doch wie so oft im Internet klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. Von Gerda von Radetzky*

Als Mitte 1999 in der Pause einer Super-Bowl-Online-Übertragung plötzlich das Bild eines spärlich bekleideten Models erschien, klickten 1,5 Millionen Amerikaner auf die Schöne. Ein kurzer Film tauchte auf - ohne die Möglichkeit weiterzuklicken, ohne weitere Links oder Informationen. Mit dem Ansturm hatte niemand gerechnet, das Netzwerk des Dessous-Anbieters Victoria´s Secret brach zusammen. Aber der Beweis war erbracht: An der richtigen Stelle zur richtigen Zeit der richtige Inhalt in der richtigen Form - und der User handelt.

Filme online zu sehen und Musik zu hören ist nichts Neues. Doch das einst zeitraubende Herunterladen, bevor sie genossen werden konnten, entfällt mit der auch von Victoria´s Secret eingesetzten Technik, dem Streaming. Live-Übertragungen werden möglich, in Beinahe-Echtzeit. Die Datei wird während des Downloads abgespielt. Verbesserte Kompressionsverfahren sorgen dafür, dass im Vergleich zu früher das Volumen der zu übertragenden Daten erheblich abgenommen hat. Der Internet-Service-Provider (ISP) Akamai (www.akamai.com), die Site-Betreibern Zwischen-Server bereitstellt, damit die Filme möglichst nah beim User lagern, hat obendrein eine Technik entwickelt, die einen reibungslosen Datenfluss und den schnellen Download gewährleisten soll.

Tour de France in Spiegel Online

Um einen digitalisierten Film anschauen zu können, muss eine Nutzersoftware die Signale entschlüsseln. Der Inhalteproduzent legt fest, mit welchem Verfahren dies geschieht. Hier buhlen im Wesentlichen Microsoft mit Mediaplayer, Real Networks mit Realplayer und Apple mit Quicktime um die Gunst des Kunden. Die Diskussionen des 18. Typografie Forums in Weimar Mitte Juni konnten nur per Quicktime verfolgt werden, Spiegel Online ließ die Tour de France mit Realplayer betrachten. Internet-Forscher Net Value fand heraus, dass in Deutschland Real die Nase vorn hat. Doch alle Lösungen haben einen gravierenden Nachteil: Mit keinem System kann ein User über die normale Telefonverbindung auch nur annähernd TV-Qualität empfangen.

Player gegen Player

Die Schlacht der Giganten um die User-Software ist entbrannt. Zahlenmäßig liegt Microsoft vorn, weil dessen Player mit den Office-Paketen ins Haus kommt. Obendrein arbeitet Microsoft mit Intel an einer Lösung für den kommenden drahtlosen Mobilfunk 3G. Im Entertainment für den Hausbedarf wurden bisher die Schlachten jedoch nicht zwischen den Technikern entschieden, sondern die Siege diktierten die Inhalteanbieter aus der Unterhaltungsindustrie: Radio, TV und CDs kann jeder weltweit mit jedem dafür konzipierten Gerät empfangen, egal, wer die Inhalte produziert hat - und zwar nicht deshalb, weil Hersteller wie Sony oder Grundig es so wollten, sondern weil die Unterhaltungsindustrie die Hersteller zu einem für alle verbindlichen Standard zwang. So weit ist es beim Streaming aber noch nicht, auch wenn im vergangenen Dezember die Redmonder mit Apple Computer, Cisco Systems, IBM, Kasenna, Philips und Sun Microsystems die Internet Streaming Media Alliance (www.isma.org) gründeten, um einen offenen Standard für Streaming Multimedia (Rich Media) über IP (Internet Protocol) zu entwickeln. Ob sich Real Networks (www.real.com) dem anschließt ist fraglich, obgleich der Softwarehersteller aus Seattle mit einigen der ISMA-Mitglieder zusammenarbeitet. Gemeinsam mit Cisco wird ein System entwickelt, das es Unternehmen ermöglicht, eigene Inhalte in Streaming umzuwandeln. Cisco liefert zusammen mit Inktomi bereits Netzwerke für Unternehmen, um qualitativ hochwertige Videos innerhalb des Intranet abrufen zu lassen. Apurva Dave, Marketing-Development-Manager bei Inktomi, führt dies darauf zurück, dass Unternehmen den Zweck des "Webcasting" - so der neudeutsche Begriff für die Übertragung von Web-Videos - nicht im direkten Geldverdienen sähen, sondern die Filme einsetzten, um Kommunikations-, Vertriebs- und Weiterbildungskosten zu reduzieren.

An Firmenkunden wendet sich auch Inetv (www.inetv.de). Es stellt Unternehmen ein Paket ab 12000 Mark zur Verfügung, mit dem die Produktion eines Videofilms samt Integration in das Intranet erleichtert werden soll. Mit dem "Handelsblatt" gingen die Münchner das Joint Venture Betveen (www.betveen.com) ein. Der Dienst überträgt vorwiegend Business-Events. Im Juni konnte man die Hauptversammlungen von RWE und Metro verfolgen. Zur Wahl standen die Player von Microsoft und Real Networks. Konkurrent "FAZ" hat sich mit Altus, dem Streaming-Dienstleister für die Bundesliga, zusammengetan und sorgt für Online-Fußball am Wochenende.

Budgets wie für TV-Werbespots

Gestreamte Dateien lassen sich auch, im Gegensatz zum TV, speichern und damit beliebig oft abrufen, wann immer es der Nutzer möchte. Daher versprechen sich vor allem Verleiher digitalisierbarer Inhalte das große Geschäft. Blockbuster, eine US-amerikanische Video-Verleih-Kette, bietet Video-on-Demand (VoD) in drei Bundesstaaten an. Dem stehen Prognosen der Yankee Group entgegen: Danach werden dieses Geschäft die Kabelnetzbetreiber in die Hand nehmen, und zwar über Settop-Boxen. Die Marktforscher prognostizieren nach 65 Millionen US-Dollar über diese Schiene in diesem Jahr einen Anstieg des Umsatzes bis Ende 2005 auf zwei Milliarden.

Und ob Music-on-Demand funktionieren wird, ist auch fraglich. Wer will sich schon Madonna leihen, um sie dann nach ein paar Stunden wieder abliefern zu müssen? Seit es tragbare CD-Spieler gibt, ist Musik der Inbegriff des mobilen Dienstes. Die Mobilfunkbetreiber hoffen auf den großen Stream-Boom, wenn mehr Bandbreite schnellere Übertragung und größere Displays bessere Bilder bringen als heute. Marktforscher Webnoize schätzt, dass 2006 mit mobilem Streaming weltweit drei Milliarden Dollar umgesetzt werden, vom reinen Musikdienst über Musikvideos bis zu Inhalten aller Art.

Auch die Spielehändler stehen in den Startlöchern: Bei Electronics Boutique (www.eb1.com) und Microplay (www.microplay.com) kann man seit Ende Juni für 4,95 Dollar 72 Stunden lang ein Spiel haben. Wer es länger behalten möchte, zahlt einfach ein weiteres Mal.

Interessant wird die Technik auch für Firmen, die nicht nur stehende Bilder bringen wollen, sondern einen Film samt Text, Shop und Co. Visono (www.visono.de), ein Berliner Unternehmen, produziert selbst nicht, stellt aber ein Paket nach Wunsch des Kunden zusammen und liefert es in den Formaten aus, die er möchte. Der jüngste Auftrag: die Online-Vermarktung der Berliner Loveparade. Max Graf Kerssenbrock, einer der Gründer, sieht das größte Problem für unabhängige Firmen in den Medienunternehmen, die im Internet nicht gegen Geld, sondern gegen Ware Inhalte tauschen. Er ist aber guten Mutes, denn Visono "schlägt aus allen Wertstufen Geld" und lizenziert bereits seine selbstentwickelte Technik.

Noch träumt die Internet-Filmindustrie von Budgets wie sie in TV-Werbespots gesteckt werden. Ein Silberstreif zeichnet sich am Horizont ab: Für neun Millionen US-Dollar ließ der bayerische Autohersteller BMW Filme produzieren.

Vor allem Publikumsportale

Bekannte Regisseure drehten fünf Episoden in einer Länge von je fünf bis sechs Minuten mit all denen, die auf dem US-Kinomarkt Rang und Namen haben. Seit Anfang Juli läuft "The Hire", so der Titel der Serie (www.bmwfilms.com/site_layout/films.asp?FilmID=6). Den Star im vierten Film mit dem Titel "Star" spielt Madonna, Frau des Regisseurs Guy Ritchie, der das Video drehte. Der Nutzer kann wählen, mit welchem der drei Player er sich die Filme anschauen möchte, wobei BMW Apples Quicktime protegiert.

Die Bayern entschieden sich für die Filmserie, nachdem sie festgestellt hatten, dass 85 Prozent der BMW-Interessenten erst auf eine BMW-Site gehen, bevor sie sich zum Kauf entschließen. Schon Anfang des Jahres hatte Ford drei kurze Filme über die Site von Atom Shockwave (www.focusinfilm.com) zeigen lassen.

Auf die laufenden Bilder setzen vor allem Publikumsportale, weil die Einnahmen aus der Bannerwerbung drastisch zurückgingen. Die US-Site des Suchdienstes Yahoo startete schon im April mit Videoinhalten (http://events.yahoo.com). Im Spätsommer will Travelocity, eines der größten US-Reiseportale, mit der Technik von Yahoo seine Angebote per Videos schmackhaft machen. Auch die Deutsche Bahn setzt auf die kleinen Filme. Werbebanner mit Videostreaming erscheinen in diesem Sommer bei Massenportalen wie Yahoo, Fireball, Web.de, T-Online, GMX, Spiegel, Focus und Stern. Streaming Media wird die Werbung ankurbeln. Das meinen zumindest die Forscher der Yankee Group. Sie schätzen, dass mit gestreamter Online-Werbung im Jahre 2005 rund 300 Millionen US-Dollar umgesetzt werden, wobei Pricewaterhouse-Coopers das gesamte Online-Werbevolumen dann auf 90 Milliarden Dollar beziffert. Doch ist bekanntlich so manche Prognose der Online-Trendforscher nicht in Erfüllung gegangen.

Gedämpfte Musik

Den wahren Boom erlebte Streaming bei der Musiktauschbörse Napster, bevor sie an die Bertelsmann E-Commerce Group ging. Nach etlichen Urheberrechtsstreitereien mit etablierten Plattenfirmen sackte laut Marktforscher Webnoize die Anzahl der per MP3-Player heruntergeladenen Files von 2,8 Milliarden im Februar auf 360 Millionen im Mai ab. MP3 hatte sich zum Quasi-Standard entwickelt. Die Gütersloher übernahmen jüngst Myplay.com und integrierten es in die per 1. Juli gegründete Tochter Bemusic, zu der Online-Händler CD Now und die Plattenfirma BMG gehören. Myplay nutzt die "Locker"-Technik: 6,5 Millionen User legen ihre CDs wie in einem Schrank ab, um sie ortsunabhängig abrufen zu können. Damit konkurriert Bertelsmann mit MP3.com, das vor kurzem an den Mischkonzern Vivendi Universal ging. Im Unterschied zu MP3 verfügt Myplay über eine Sicherheitstechnik zur Verwaltung von Urheberrechten.

Schon schwingt auch Real Networks den Taktstock: Im April wurde mit den Musikgiganten AOL Time Warner, Bertelsmann BMG und EMI vereinbart, eine Plattform für einen Musik-Abodienst zu entwickeln. Noch in diesem Sommer wird - so ist es jedenfalls geplant - "Musicnet" an den Start gehen; das Modell soll lizenziert werden an Firmen, die Musik unter ihrer eigenen Marke vertreiben wollen, abrufbar über jedes Endgerät. Laut Bryan Landers sieht das eines Tages so aus: Die Musik wird drahtlos über ein Handy der neuen Generation abgerufen, im Auto dient das Mobile als Verkehrskontrolleur und wird mit Lautsprechern verbunden, daheim wird es an den Fernseher gesteckt. Der User verpasst keinen Takt mehr - nur wann das sein wird, verrät der Analyst bei Motorola nicht.

Bertelsmann schätzt, dass der klassische Musikmarkt von 14 Milliarden US-Dollar 1999 auf 16 Milliarden bis 2005 wächst, das sind nur zwei Prozent jährlich. Vom Vertrieb über das Internet jedoch erhofft sich der Medienriese eine Steigerung um insgesamt 33 Prozent. Doch längst öffneten neue kostenlose Musiktauschbörsen. Mit mehr Bandbreite dürfte schnell einer der Napster-Nachfolger clever genug sein, um auch gesicherte Musik zu entschlüsseln, auf dass sie wie ehedem von Rechner zu Rechner wandert, ohne zu wissen, was "Gema" heißt.

Ob der Nutzer bereit ist, für gestreamte Videos zu zahlen, wird sich zeigen. Anfang Juli gab CBS bekannt, dass "Big Brother 2" nur noch für monatlich 9,95 Dollar oder ein Drei-monatsabo zu 19,95 Dollar zu haben sei. Bereitgestellt wird die 24-Stunden-Online-Show über Technik von Real Networks. Die hofft auf Zunahme der 200000 Kunden, die bisher verschiedene Streaming-Dienste abonniert haben. Kauft sich der Kunde gar ein multimediafähiges Endgerät von Ericsson, Motorola, Nokia oder Psion, in welches das Betriebssystem von Symbian integriert ist, kann er die Videos darauf laden. Mit den heutigen Bandbreiten ist das aber sicher kein Vergnügen.

*Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.

Links

www.akamai.com

www.isma.org

www.real.com

www.inetv.de

www.betveen.com

www.eb1.com

www.microplay.com

www.visono.de

www.bmwfilms.com/site_layout/films.asp?FilmID=6

www.focusinfilm.com

http://events.yahoo.com