Just-in-Time Skills

Big-Data-Ingenieure vor neuen Herausforderungen

11.04.2016
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Benjamin Aunkofer ist Gründer von DATANOMIQ, einem Dienstleister für Data Science und Business Analytics, sowie Mitbegründer des Vereins für datengestützte Produktion und Logistik, Connected Industry e.V. Er ist Software-Entwickler (IHK) und Wirtschaftsingenieur (M. Sc.), steuert als Chief Data Scientist aktiv Data Science Teams und gilt als Spezialist für Big Data Analytics und Industrie 4.0.
Die IT-Welt überschlägt sich gerade vor neuen Trends. Dazu zählt zum Beispiel Big Data Analytics - die neue Hoffnung der Weltwirtschaft auf mehr Umsatz und bessere Kostenoptimierung.

Die Themen, die sich hinter Big Data verstecken, sind nicht nur sehr interdisziplinär, sondern auch technologisch noch recht jung und aus rein technischer Sicht einem so starken Wandel unterworfen, dass das technische Wissen hierzu alle zwei Jahre verjährt. Während beispielsweise vor einigen Jahren noch Apache Hadoop mit dem MapReduce-Algorithmus als bestes Werkzeug für Big Data Analytics galt, reden heute alle nur noch von Apache Spark, dem überlegenen Platzhirsch.

Apache Spark setzt zwar auch auf dem Hadoop-Framework auf, substituiert das "eigentliche" Hadoop jedoch zum großen Teil. Zur Herausforderung, seine Kenntnisse stets aktuell zu halten, kommt noch eine weitere: Hinter Tech-Buzzwords wie Big Data Analytics verbergen sich nämlich nicht nur einige wenige, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, Tools und Programmiersprachen, die kaum ein menschliches Wesen in einem Leben erlernen kann.

Data Scientists: Spezial-Zertifizierung war gestern

Das Berufsbild des Data Scientist gibt es eigentlich schon seit längerer Zeit - wenn auch bisher meist unter der Bezeichnung Data Analyst. Analytisches Denken und mathematisches Talent spielten hier schon immer eine bedeutende Rolle. Was den Data Analyst jedoch vom heutigen Data Scientist - momentan wohl der "world´s sexiest job" - unterscheidet, ist der mangelnde Einsatz von und der Spielraum für Kreativität.

Datenanalysten arbeiteten früher beispielsweise bei Banken und Versicherungen und genossen im Regelfall eine akademische Ausbildung zum Informatiker, Mathematiker oder Physiker. In der Praxis arbeiteten sie schließlich vor allem mit branchenüblicher Statistik-Software von großen Anbietern wie SAS oder IBM. Im Laufe ihrer Karriere konnten sie schließlich die für diese Jobs wichtigen, speziellen Zertifizierungen absolvieren und so ihren Experten-Status in Unternehmen untermauern.

Heute ist jedoch die Vielfalt an Tools und Programmiersprachen so groß, dass man sich die Frage stellen muss, ob bestimmte Tools in einigen Jahren überhaupt noch eine Rolle spielen werden. Deshalb werden für den heutigen Data Scientist Fähigkeiten in den Bereichen Data Mining und Machine Learning (für die es keine Zertifizierung braucht) immer wichtiger. Diese Skills werden im Regelfall bereits nach wenigen Tagen im Job deutlich sichtbar. Einige Unternehmen - beispielsweise Zalando - haben in der Data-Science-Szene bereits mit Stellenanzeigen für Aufsehen gesorgt, die knifflige Aufgaben für Data Scientists enthielten. Wer die Aufgabe lösen konnte, erarbeitete sich so die Eintrittskarte zum Vorstellungsgespräch.

Der Wandel vollzieht sich jedoch auch in der Qualifizierungsbranche, denn globale Anbieter wie beispielsweise Coursera ermöglichen eine kostengünstige Zertifizierung. Dabei bleiben sie - was bei Fortbildungsangeboten von speziellen Lösungsanbietern nicht immer der Fall ist - herstellerunabhängig und legen den Fokus auf die eigentliche Methodik, statt auf die Tools.

IT-Experten: Die Anforderungen steigen

Welcher IT-Spezialist kennt das nicht: Eine Stellenbeschreibung verspricht endlich den lange gesuchten Traumjob, die Ideen für ein kreatives Anschreiben sprudeln bereits - da fällt der Blick auf die erforderlichen Skills. Fehlt eine - als obligatorisch ausgewiesene - Programmiersprache im eigenen Portfolio, legt sich der Drang zur Instant-Bewerbung postwendend wieder. Und was nun? Die Stelle sausen lassen oder sich trotzdem bewerben?

Zwar ist der Bedarf an IT-Spezialisten - egal ob es dabei um Software-Entwickler, Netzwerk-Administratoren oder Daten-Ingenieure geht - beeindruckend, die Anforderungen sind jedoch meist ausgesprochen hoch, der notwendige Skill-Katalog umfangreich. Von einem Kandidaten für eine Stelle als Data Scientist werden beispielsweise ausgezeichnete Statistik-Kenntnisse, der geschulte Umgang mit ausgewählter Analyse-Software, Erfahrung mit zwei bis drei relevanten Programmiersprachen sowie Kenntnisse im Umgang mit Big-Data-Tools (Apache Spark, NoSQL-Datenbanken, Cloud-Lösungen) genauso erwartet, wie Erfahrung mit spezifischen Methoden des Projektmanagements und idealerweise auch Kenntnisse über spezielle Branchen- oder Fachbereiche.

Just-in-Time Skills: Die heimliche IT-Normalität

Auf die gestiegenen Anforderungen, das verjährende Tool-Wissen und die immer spezieller werdenden Lösungen reagieren IT-Experten bislang mit spontan erworbenen Kenntnissen - sogenannten Just-in-Time Skills. Dieses Prinzip beschreibt nichts anderes, als den kurzfristigen, bedarfssynchronen Aufbau von Wissen und Fähigkeiten. Bedarfssynchron meint dabei: unmittelbar vor Bewerbung oder Antritt eines neuen Jobs. Der leichte und vollwertige Zugang zu kostenlosen Informationen im Web ermöglichen IT-Fachkräften das schnelle Erlernen bestimmter Programmiersprachen, der Bedienung von Tools und sonstigem Theorie- und Praxiswissen, so dass heute mehr denn je gilt: "Man muss nicht alles wissen, sondern nur, wo es steht".

Natürlich funktionieren Just-in-Time Skills nur dann, wenn sie erstens im generellen Rahmen der Fähigkeiten des Kandidatens liegen und zweitens gegenüber den routinierten Kenntnissen in der Minderheit sind. Um dem Anforderungsprofil durch das Füllen von Kenntnislücken ein Stück näher zu kommen, ist diese Vorgehensweise quasi etabliert - und ihre Anwendung wird vermutlich noch weiter zunehmen.

Just-in-Time Skills sind jedoch kein Phänomen, das es nur in der IT gibt. Zwar sind in der IT-Branche, die von der Nerd- und Hacker-Kultur geprägt ist, Begriffe wie GIYF ("Google is your friend") und RTFM ("Read the f*cking manual") besonders stark verbreitet - wer jedoch beispielsweise einmal in der Unternehmensberatung tätig war, wird sicherlich bestätigen können, dass in Sachen Spezialfähigkeiten oftmals "Learning just before the Job" betrieben wird. Die Idee der bedarfssynchronen Belieferung hat ihren Ursprung außerhalb der IT, eignet sich für IT-Fachkräfte aber besonders gut und ist bei vielen Unternehmen auch explizit erwünscht. (fm)