Flextronics - die verlängerte Werkbank der Handy-Giganten

Big Business im Hintergrund

08.06.2001
MÜNCHEN - In der Handy-Herstellung zeichnet sich ein indirekter Konzentrationsprozess ab: Immer mehr Anbieter lagern die Produktion ihrer Mobiles ganz oder teilweise an Auftragsfertiger aus, da die Eigenproduktion nicht zuletzt wegen des stagnierenden Absatzes zu teuer wird. Von diesem Outsourcing-Trend profitiert derzeit vor allem ein Unternehmen: Flextronics. Von Inge Steuzger*

Flextronics rangiert im Ranking der Auftragshersteller für Elektronikprodukte (Electronic Manufacturing Services EMS) weltweit auf Platz zwei. Diese Position gedenkt Chairman und CEO Michael Marks zu verteidigen - und er sieht trotz des derzeit zu beobachtenden Knicks der Wachstumskurve im Mobilfunksektor neue Potenziale. Denn der Katzenjammer, der aufgrund der Flaute beim Absatz der mobilen Telefone ausgebrochen ist, zwingt immer mehr einschlägige Produzenten, sich von der Handy-Herstellung zu verabschieden. Ein Trend zeichnet sich ab: Die Fertigung wandert von den Markenherstellern zu den Massenproduzenten wie Solectron, Celestica, Jabil Circuit, SCI Systems oder eben Flextronics. CEO Marks will davon im besonderen Maße profitieren und prognostiziert für das vor kurzem begonnene Geschäftsjahr 2002 eine "stabile Entwicklung".

Allerdings ist die Marktsättigung, die die renommierten Handy-Hersteller ausnahmslos spüren, auch an Flextronics nicht spurlos vorübergegangen: Der US-"Billigproduzent" kündigte Ende April die Entlassung fast eines Zehntels seiner Belegschaft an, das betrifft rund 7000 der insgesamt knapp 65000 Mitarbeiter.

Rekordumsatz im Geschäftsjahr 2001Dennoch konnte die Company zuletzt mit stattlichen Zahlen aufwarten: Der Nettoumsatz für das vierte Quartal des Geschäftsjahres 2001 (Ende: 31. März) belief sich auf 3,1 Milliarden Dollar, ein Plus von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Der Betriebsgewinn vor Abschreibung und Einmalkosten betrug 137 Millionen Dollar, was einem Anstieg von 43 Prozent entspricht. Im gesamten abgelaufenen Fiskaljahr 2001 erreichte der Nettoumsatz einen Rekordwert von 12,1 Milliarden Dollar, was einem Wachstum von 74 Prozent entspricht. Unter dem Strich blieb dabei ein Nettoertrag vor Abschreibungen und Sonderaufwendungen von 416 Millionen Dollar übrig - ein Plus gegenüber dem Vorjahr von 97 Prozent.

Fest steht in jedem Fall eines: Flextronics hat sich zur verlängerten Werkbank nahezu aller renommierten Handy-Hersteller gemausert. Die jüngste Umfrage des auf Outsourcing-Trends spezialisierten US-Marktforschungsunternehmens Bear Sterns bestätigt diesen Trend: 85 Prozent der befragten Handy-Markenhersteller planen demnach, in den nächsten zwölf Monaten zunehmend die Produktion an EMS-Unternehmen auszulagern. Die 104 an der Umfrage beteiligten Firmen repräsentieren 71 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Hardware. Sie wollen künftig etwa 73 Prozent ihrer Fabrikation an Auftragshersteller übergeben, was einer Steigerung des Outsourcings um das Fünffache gleichkommt.

Schon im vergangenen Jahr hat der US-Konzern Motorola an Flextronics Fertigungsaufträge im Gesamtwert von 30 Milliarden Dollar vergeben. Einige der führenden europäischen Handy-Markenhersteller haben in diesem Jahr denselben Weg beschritten. Ende Januar beschloss der schwedische Handy-Spezialist und Telco-Ausrüster Ericsson, die komplette Herstellung der Mobiltelefone an Flextronics zu übergeben. Um Ericsson steht es derzeit wirtschaftlich schlecht, woran gerade der Handy-Bereich wesentlich beteiligt ist: Im ersten Quartal 2001 fuhr allein diese Sparte einen Verlust von 5,7 Milliarden Kronen ein. Mittlerweile verhandeln die Schweden mit dem japanischen Elektronikriesen Sony über eine Zusammenlegung beider Handy-Sparten.

Doch zurück zu Flextronics: Der nächste Hersteller, der die Amerikaner mit einem großen Outsourcing-Auftrag beglückte, war der französische Alcatel-Konzern, in Europas Hitliste der Handy-Produzenten immerhin auf Platz fünf. Die Partnerschaft mit dem EMS-Riesen aus Singapur betrifft die Fertigungsanlage für GSM-Endgeräte im westfranzösischen Laval, die Alcatel inklusive der dort beschäftigten 830 Mitarbeiter an Flextronics übergibt. "Der Markt für GSM-Handsets reift heran, und Alcatel muss seine Prozesse anpassen, um konkurrenzfähig zu bleiben und wieder an Profitfähigkeit zu gewinnen", rechtfertigte Olivier Houssin, Präsident der Alcatel E-Business Group, den Deal.

Diesem folgen nach Aussage von Alcatel-Chairman und CEO Serge Tchuruk trotz des Abbaus bei Flextronics selbst keine Stellenkürzungen. Das zweite Werk im ostfranzösischen Illkirch wird für die Optiksparte der Alcatel-Gruppe zukünftig integrierte Zulieferteile produzieren. Schließlich leidet der französische Mischkonzern, der gerade durch die gescheiterte Übernahme von Lucent Technologies in die Schlagzeilen geriet, ebenfalls unter einem stagnierendem Handy-Absatz, der im ersten Quartal dieses Jahres der entsprechenden Sparte ein Minus von 159 Millionen Euro einbrachte.

Auch Siemens ist AuftraggeberAber auch Siemens kooperiert schon seit längerer Zeit mit Flextronics. Schon Ende 1999 verkaufte das Joint Venture Fujitsu-Siemens seine Server-Produktion in Paderborn an die Company. Jetzt zieht Siemens wie seine Konkurrenten Konsequenzen aus dem kränkelnden Handy-Absatzgeschäft. Innerhalb seiner Sparte Information & Communication Mobile (ICM) musste der im Mobiltelefonmarkt weltweit auf Platz vier rangierende deutsche Elektronikriese im zweiten Quartal des laufenden Jahres einen Verlust von 143 Millionen Euro verbuchen. Siemens wird als Konsequenz 2600 Arbeitsplätze in seinen Handy-Produktionsstätten in Kamp-Lintfort, Bocholt und Leipzig streichen. Außerdem wird die Herstellung der Mobiles für Europa in Kamp-Lintfort, für Asien in Schanghai gebündelt. In der Handy-Produktion wollen die Münchner durch diese Rationalisierungen kurzfristig 600 Millionen Euro einsparen. Flextronics hat sich bereits einen Teil der Siemens-Handy-Herstellung gesichert: Immerhin rund 30 Prozent dieser Mobiltelefone produziert der US-Auftragshersteller bisher schon. Insgesamt ist Flextronics heute nach Schätzung von Branchenkennern mit der Produktion von mehr als 90 Millionen Geräten nach Nokia der zweitgrößte Handy-Hersteller der Welt.

*Inge Steuzger ist freie Journalistin in München.

FlextronicsDer amerikanische Massenhersteller von Elektronikprodukten Flextronics ist weltweit zweitgrößter Anbieter von Electronic Manufacturing Services (EMS) für Original Equipment Manufacturer (OEMs). Die bescheidenen Anfänge des Unternehmens reichen ins Jahr 1969 zurück. Firmengründer Joe McKenzie begann damals in Kalifornien zusammen mit seiner Frau mit einfachen Auftragsarbeiten für Computerhersteller - unter anderem der Bestückung von Platten beziehungsweise Platinen. Einem rasanten Aufschwung in den 80er Jahren folgte eine tiefe Krise zu Beginn der 90er, als es auch der einschlägigen PC-Industrie schlecht ging. CEO Michael Marks krempelte die Company erfolgreich um, richtete sie unter anderem auf neue Märkte wie Mobilfunk aus. Marks, der seit 1993 auch als Chairman of the Board fungiert, verlegte den Firmensitz aus Steuergründen nach Singapur; die operative Basis ist aber in San Jose, Kalifornien, verblieben. Das Unternehmen betreibt heute Design-, Entwicklungs- und Fertigungsstätten in 27 Ländern.