Gastkommentar

Big-Brother-Jury schlecht in Form

10.11.2000
Eitel Dignatz, Unternehmensberater und Inhaber des Münchner Unternehmens Dignatz Consulting

Eine gewisse Fehlsichtigkeit hat mitlerweile auch Big Brother ereilt, denn panoptische Fähigkeiten kann man zumindest denjenigen Jury-Mitgliedern kaum nachsagen, die den diesjährigen "Szene"-Preis des Big-Brother-Award an die Apache Group verliehen haben. Richtig Schelte bekamen die Open-Source-Programmierer nämlich, weil in der mitgelieferten Konfigurationsdatei des Web-Servers doch tatsächlich die IP-Adressen der Surfer protokolliert werden.

Derlei Kritik mutet im Zeitalter der Denial-of-Service-Angriffe etwas naiv an. Die Diktion der Juroren verrät mehr Kompetenz in der Schädlingsbekämpfung nach Art des ökologischen Landbaus als im IT-Bereich: Von "global verteilten Datenschleimspuren" ist die Rede, die der Anwender beim Surfen hinterlasse.

Im Komitee hatte sich anscheinend noch nicht herumgesprochen, dass IP-Adressen kaum geeignet sind, das Gros der Surfer zu identifizieren, denn die große Mehrheit benutzt Dialup-Zugänge wie AOL oder T-Online, bei denen sich hinter einer IP zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Surfer verbergen.

Wirklich effiziente Methoden der Surfer-Überwachung etwa per Doubleclick-Werbering kannte die Jury nicht. Dieses Verfahren bietet mittels Browser-Cookies geradezu erschreckende Beobachtungsmöglichkeiten, und zwar Server-übergreifend.

Allemal beachtlich ist jedoch das Potenzial: Die Liste der Preisträger könnte schon im nächsten Jahr deutlich länger ausfallen und zum "Who is who" der deutschen Wirtschaft werden. Hochgradig preisverdächtig ist schließlich jedes Unternehmen, dessen Besucher sich am Empfang ins Gästebuch eintragen müssen.