Big Blue setzt intern auf SAP-Software R/3-Deal sorgt fuer Irritationen bei IBM-Software-Anwendern

25.11.1994

MUENCHEN (ua) - Unter keinem guten Stern stand vor wenigen Tagen die IBM-Ankuendigung der "integrierten Mittelstandsloesung MAS90- Open". Der praktisch zum gleichen Zeitpunkt veroeffentlichte Kauf einer weltweiten SAP-R/3-Lizenz sorgte fuer Unruhe in der Anwendergemeinde. Big Blue plant offenbar ein unternehmensweites Re-Engineering, bei dem man sich nicht auf die eigene Standardsoftware verlassen will.

"Was mich wirklich aergert, ist die Verunsicherung, die der Deal im Markt hervorrufen muss", kommentiert Heinz-Paul Bonn, Geschaeftsfuehrer des frischgebakkenen MAS90-Open-Partners GUS GmbH, Koeln. "Jeder wird doch sagen, warum sollte ich IBM-Software kaufen, wenn das Unternehmen selbst nicht an seine Produkte glaubt?"

Helmut Bremecker, Senior-Berater bei Diebold, bewertet die Situation aehnlich: "Normalerweise muesste man erwarten, dass die IBM auf Gedeih und Verderb ihre eigene Software einsetzen will." Big Blue werde jedoch gute Gruende fuer die R/3-Entscheidung haben.

Die klassischen Host-basierten Anwendungen der IBM eigneten sich nicht fuer flachere Strukturen und fuer eine engere Orientierung am Kunden.

Bonn glaubt, die Gruende fuer IBMs SAP-Entscheidung zu kennen: "Die IBM braucht heute Produkte, doch MAS90-Open ist nicht verfuegbar". De facto konnte Stephan Rossius, stellvertretender Geschaeftsfuehrer der IBM Anwendungssysteme GmbH, "erste Funktionalitaeten" des offenen, objektorientierten, Client-Server-basierten MAS90 erst fuer Ende 1996 ankuendigen.

Noch auf der Orgatec hatten die Softwarepartner von Big Blue MAS90 als offene Alternative zur "proprietaeren" SAP-Software R/3 positioniert. Bis jetzt ist das Partnerschaftskonzept jedoch nicht mehr als eine proprietaere AS/400-Loesung, deren Programmier- Schnittstellen allerdings fuer das Ergaenzen von Branchenloesungen offenliegen.

Nach Meinung des IBM-Partners Bonn signalisiert der Erwerb von R/3 viel eher, dass der Kauf der Compagnie Generale d'Informatique (CGI), Grenoble, und deren Host-basierter Standardsoftware "I- Linie" ein "Schuss in den Ofen ist". Diese Produktlinie ist laut Gartner-Analyst Helmut Guembel "bisher nur der Versuch, bis 1996 ein loses Buendel von Softwaremodulen, die nichts gemeinsam haben ausser ihrem betriebswirtschaftlichen Inhalt, unter einen Hut zu bringen". Allerdings deckten sich Anwendungsfunktionen mit denen von R/3. Guembel folgert: "IBM-Kunden sind schlecht beraten, wenn sie Aussagen zum Thema Anwendungssoftware als strategisch werten, denn das Unternehmen ist nicht in der Lage, die strategischen mit den praktischen Vorhaben in Einklang zu bringen."