Erste kommerzielle Anwendungen im Test

Big Blue holt nun zum großen Multimedia-Rundumschlag aus

27.11.1992

MÜNCHEN (CW) - Die IBM scheint fest entschlossen, mit großem Aufwand in den gerade erst entstehenden Multimedia-Markt einzusteigen. In rascher Folge stellt der unter Druck geratene Branchenprimus Hard- und Softwareprodukte vor, bringt ein Weißbuch mit den Anforderungen für unternehmensweite Multimedia-Strategien heraus, geht Kooperationen ein und testet kommerzielle Großanwendungen beim Kunden.

"Es geht darum, die wichtigste Ressource jedes Unternehmens, die Information, möglichst optimal einsetzen zu können", unterstreicht Michael Braun, Assistant General Manager des IBM-Multimedia-Geschäftsbereiches, die künftige Bedeutung dieses Marktes.

Ein Problem sei allerdings, die gerade erst entstehenden Standards zu unterstützen. Daher suche sein Unternehmen einen evolutionären Weg in die Multimedia-Zukunft. So sollen gebräuchliche DV-Plattformen wie die PS/2-Rechner, AS/400-Minis und ES/9000-Mainframes eingesetzt werden können.

Im Netzwerkbereich sind behutsame Erweiterungen bisheriger Verfahren geplant, um beispielsweise sicherzustellen, daß bei Übertragung Ton und Bild synchron beim Anwender ankommen.

Big Blue versucht mit seinen jetzigen Aktivitäten offenbar, auf ähnliche Bemühungen bei Apple, Sun Microsystems oder der Microsoft-Intel-Allianz zu reagieren. Hardware und Betriebssystem von Apple sind schon seit einiger Zeit für den Multimedia-Einsatz eingerichtet.

Weißbuch soll eine Orientierungshilfe sein

Mit dem Solaris-Unix und Partner Gain Technology hat nun auch Sun nachgezogen, während Microsoft und Intel ihre Strategie "Video for Windows" (VFW) gerade eben vorgestellt haben (siehe CW Nr. 46 vom 13. November 1992, Seite 25: "Intel und Microsoft arbeiten im Bereich digitales Video zusammen"). Weitere Informationen zu Multimedia-Konzepten finden sich im Schwerpunkt dieser Ausgabe auf den Seiten 37 bis 57.

Hilfestellung bei der Einführung von Multimedia-Techniken leistet der IBM ein selbsterstelltes Weißbuch über die Anforderungen für eine beim Anwender unternehmensweit verwendbare Multimedia-Strategie. Auf der Grundlage von "Multimedia Distributed Computing: IBMs Directions for Multimedia Distributed Systems" hat das Unternehmen bereits erste Hard- und Softwareprodukte angekündigt.

Ziel der Untersuchung war, so die IBM, herauszufinden, auf welche Weise sich natürliche Formen der Kommunikation wie gesprochene Sprache oder Handskizzen in heterogenen DV-Umgebungen auf Basis der OSF-Techniken Distributed Computing Environment (DCE) und Distributed Management Environment (DME) einsetzen lassen.

Aufgrund der im Weißbuch beschriebenen Anforderungsprofile will die IBM eine breite Palette von Produkten für diesen Zukunftsmarkt entwickeln. Zur Multimedia-Planung des Branchenriesen gehören neben dedizierten Multimedia-Rechnern auch Betriebssystem-Dienste, Anwendungen, Daten- und Netzwerk-Features, Systemverwaltungs-Produkte und Multimedia-Server.

Bereits vor einiger Zeit hatte Big Blue fünf sogenannte Ultimedia-Workstations vorgestellt. Jetzt schiebt das Unternehmen eine Reihe von Tools nach. Sie sollen Entwickler animieren. Multimedia-Software für die Betriebssysteme OS/2, Windows und MS-DOS zu schreiben. Der Ultimedia-Werkzeugkasten ist mit Tools gefüllt, die es ermöglichen, die verschiedenen Kommunikations-Techniken, Anwendungen und Hardwaresysteme auf eine, so die vage Auskunft des Herstellers, einheitliche Weise zu verbinden. Unterstützung erhält IBM dabei von zum Teil noch unbekannten Partnerfirmen wie Macro-Media, Aimtech, Assymetrics, Mammoth Micro, Fractal, Humanoid, Vision Imaging und Allan Communications.

Noch im Oktober präsentierte IBM auf der Wiesbadener Konferenz der German Unix User Group (GUUG) ein unternehmensweites Mail- und Konferenzsystem - allerdings unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Marktreife noch in weiter Ferne stehe. Die jetzt angekündigten Produkte "Storyboard Live 2.0" und "M-Control/2, Version 2.01", bestätigen, daß es noch einige Zeit dauern wird, bis von der IBM konkrete Anwendungen auf den Markt kommen werden. Die beiden IBM-Produkte bilden erst die Grundlage für die Entwicklung von Multimedia-Software.

im Falle von Storyboard hat die IBM ihr DOS-basiertes Multimedia-Werkzeug aus dem Ultimedia-Toolset ausgebaut. Dabei handelt es sich nicht nur um Erweiterungen bei den Funktionen Playback-, Bewegtbild-, Ton-, Text- und Bildverarbeitung, sondern vor allem um die Einbindung anderer IBM-Techniken. Damit ist vor allem M-Control/2 gemeint, mit dessen Hilfe sich Multimedia-Anwendungen entwickeln und ausführen lassen.

Die jetzige IBM-Initiative hat inzwischen auch den Bereich der Betriebssysteme erfaßt. Um die Ultimedia-Tools unter den hauseigenen Betriebssystemen OS/2 und AIX lauffähig zu machen, hat IBM die Benutzeroberfläche Presentation Manager zur grafischen Programmier-Schnittstelle "Multimedia Presentation Manager/2" erweitert. Dieses Produkt wurde, so der Hersteller, eben erst in der Beta-Version an Entwickler ausgeliefert.

Abgerundet wird die Multimedia-Offensive von Big Blue durch eine große Testanwendung. Zusammen mit den Netzwerkern von der Numedia Corp. und dem US-Fernsehsender NBC will das Unternehmen einen Informationsdienst für Geschäftsleute aufziehen. Dank der Multimedia-Eigenschaften sollen die auf dem Arbeitsplatzrechner erscheinenden "NBC Desktop News" den üblichen Nachrichtensendungen im Fernsehen zum Verwechseln ähnlich sehen. Als Zielgruppe denken die Partner an Mitarbeiter in großen Unternehmen, die gezielt auf aktuelle Informationen zugreifen wollen. Die Nutzer könnten mit Hilfe der für ihre Zwecke ausgewählten und aufbereiteten Desktop News das zeitraubende Filtern wichtiger Informationen aus der Informationsflut der üblichen Medien vermeiden.

Einen weiteren Versuch, Multimedia-Techniken einzusetzen, unternimmt die IBM mit Andersen Consulting und Ameritech. Die Unternehmen wollen interaktive Video-Dienste über das öffentliche Telefonnetz anbieten. Konkret plant Andersen Consulting, eine Einkaufshilfe für Kleidung und Speisen einzurichten. So stellt der "Menü-Planer" auf Grundlage der Speisenfolge einen Einkaufszettel zusammen.

Des weiteren soll in diesem Rahmen ein Informationsdienst für Manager eingerichtet, und die Möglichkeit geschaffen werden, digitale Lernvideos via Telefonnetz weiterzugeben und zu verändern.