BI - angesagt und unverstanden

11.02.2008
Analysten fordern von Anwendern klare Strategien für Business Intelligence, Hersteller wirbeln den Markt durcheinander: 2008 wird ein turbulentes Jahr.

Das Interesse an Software und Services für Business Intelligence (BI) ist ungebrochen. Der Gesamtmarkt wächst, wenn auch langsamer, und Anwender brauchen dringend betriebswirtschaftliche Informationen, die ihnen die Tools für Datenanalyse und Reporting liefern sollen. Laut Gartner geben seit drei Jahren IT-Manager weltweit BI die höchste Priorität unter den eingesetzten Techniken. Und auch die Auguren profitieren von dieser Entwicklung: mit offiziell über 1000 Teilnehmern aus 39 Ländern konnte der diesjährige "BI Summit" von Gartner in Amsterdam einen Besucherrekord verbuchen. Von eitel Sonnenschein kann aber keine Rede sein. Vielmehr gingen die Analysten mit den Anwendern ins Gericht. "Bei den meisten Unternehmen dienen BI-Lösungen nur dem Kennzahlen-Reporting, aber nicht als Grundlage für strategische Entscheidungen", beklagte Andreas Bitterer, Research Vice President bei Gartner.

Diffuse Vorstellungen

BI sei auch nach vielen Jahren immer noch zu sehr "Bottom-up"-getrieben, was dazu führe, dass die Fragen und Messgrößen oft nicht die sind, die Vorstände und Management interessierten: "Viele BI-Projekte sind ungesteuert oder nicht an den Unternehmensinteressen ausgerichtet." Es fehlen Budgets und der Segen aus dem Vorstand. Dies zeigte vor kurzem auch eine Umfrage unter Unternehmensvertretern zu den Zielen ihrer BI-Initiativen. Danach konnten 71 Prozent der Befragten ihre Motive nur allgemein mit dem Wunsch nach "schnelleren Entscheidungen" umschreiben. Ebenso diffus antworteten 45 Prozent (Mehrfachnennungen waren möglich), dass man aktuelle Daten benötige. Erst an dritter Stelle kam die Aussage, man wolle durch BI die wirtschaftlichen Unternehmensziele und das laufende Geschäfte aufeinander abstimmen. Doch gerade dies sollte die hohe Kunst von BI sein, so die Marktforscher. Vor allem sei es keine Strategie, BI nur als Mittel zum Sparen zu sehen.

Die meisten BI-Initiativen bei Anwendern sind laut Gartner rein taktischer Natur oder haben "fokussierte Lösungen" zum Ziel. Sie sind abteilungsbezogen, entstehen aus einer Reihe von Einzelprojekten und werden von ausgewählten Nutzern bedient. Nur in den fortgeschrittensten Initiativen finden sich Stabsstellen zur Projektsteuerung und Formulierung von Unternehmensstandards. Solche Teams empfiehlt Gartner seit einigen Jahren als Business Intelligence Competence Center (BICC). Aber zumindest wächst das Interesse an einer systematischeren Vorgehensweise. So hätten in Deutschland Autohersteller und Großbanken mittlerweile BICCs oder ähnliche Steuerungsstellen geschaffen. Ansonsten seien jedoch klare BI-Strategien und ein systematisches Vorgehen in Unternehmen nur selten zu finden. Dadurch gehe ein Großteil des Potenzials entsprechender Produkte für die Unternehmenssteuerung und zur Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen verloren, so der Tenor auf der Veranstaltung.

Ahnungslose Nutzer

Die Produkte hätten sich derart weiterentwickelt, dass sie eigentlich keinen Grund für das Scheitern von BI-Projekten liefern sollten. Dies gelte insbesondere für Corporate-Performance-Management. Nachdem BI-Hersteller früher für ihre proprietären und oft nicht ausreichend integrierten Tools kritisiert wurden, gebe es mittlerweile ein ganz anderes Problem: Sie sind funktional zu mächtig geworden und überfordern viele Anwender. Zugleich fehle es an Schulungen. "Für 80 Prozent der Benutzer sind BI-Tools zu schwierig, sie wissen gar nicht, was sie mit solchen Produkten alles herausfinden könnten", sagte Gartner-Analyst Bitterer. Hinzu komme, dass die Konsolidierung im Markt das Formulieren von BI-Strategien und die Produktauswahl erschwere. So hatte Gartner kürzlich prognostiziert, dass die vier entstandenen "Mega Vendors" SAP, IBM, Oracle und Microsoft, bis zum Jahr 2012 rund 70 Prozent des BI-Umsatzes für sich verbuchen könnten. Sie hatten im letzten Jahr durch die Übernahmen der führenden BI-Hersteller Hyperion (Oracle), Business Objects (SAP) und Cognos (IBM) sowie durch weitere Zukäufe und Eigenentwicklungen (Microsoft) ihre Marktposition schlagartig ausgedehnt.

BI-Stack statt BI-Plattform

Damit ändere sich auch die Produktstrategie. Ging es im BI-Lager bisher vorrangig um den Kampf um die beste BI-Plattform, also die Infrastruktur für den Aufbau und Betrieb von Reporting- und Analyseanwendungen, rücke nun der "BI-Stack" in den Mittelpunkt. Dieser umfasse sämtliche Komponenten, von der Datenbewirtschaftung, über die Analyse und analytischen Anwendungen bis hin zum Frontend. Zugleich wird der BI-Stack für weitere Infrastrukturkomponenten wie Datenbank, ERP-Software und Integrations-Server seines jeweiligen Besitzers optimiert. Die großen Hersteller werden versuchen, Kunden im Sinne eines One-Stop-Shoppings enger an sich zu binden, resümieren die Analysten. Allerdings könne bisher keiner alles bieten: "Keiner kann den Wettbewerb ausschließen", so Bitterer.

Vorsicht vor Lockvogelangeboten

Anwender müssen künftig abwägen, wie eng ihre Beziehung zu den vier Giganten sein soll. Finanziell rechne es sich derzeit, alles von einem Anbieter zu beziehen, da dieser hierbei satte Rabatte von bis zu 50 Prozent einräume, hieß es in Amsterdam. Doch nur auf den Preis zu schauen und "seine Seele zu verkaufen", kann andererseits riskant sein. So bestehe die Gefahr, mehr Lizenzen und Produkte zu erwerben als benötigt und dadurch "Shelfware" anzuhäufen (ein altes Problem im BI-Markt). Dies würde sich in den Folgejahren durch hohe Wartungspauschalen rächen, warnte Donald Feinberg, Vice President von Gartner. Ferner entstehe eine Verbindung zu Produktwelt und -zyklen der Anbieter, der man kaum noch entkommen könne. Nach den großen Übernahmen des letzten Jahres sei außerdem damit zu rechnen, dass vor allem SAP und Oracle zunächst mehr mit der Integration ihrer Produkte beschäftigt sein werden, als sich um Innovationen zu kümmern. Unabhängig davon dürfen Anwender eines nicht vergessen: Produkte allein sichern nicht den Erfolg mit BI. Eine klare BI-Strategie und Governance, die laufende Wartung von Systemen und Datenmodellen, die Verbesserung und Sicherung der Datenqualität, Schulungen und eine benutzerfreundliche Arbeitsumgebung sind vielmehr die Schlüssel dazu.

Trotz der Konsolidierung bietet der Markt weiterhin Chancen für die verbliebenen BI-Spezialisten und Neueinsteiger, um sich von den Großen zu differenzieren. So versuchen mittlerweile viele Hersteller, durch Mechanismen wie Web-Services und Service-orientierte Architekturen ihre Produkte einfacher und gezielter in die IT-Landschaft der Kunden einzubinden.

Mit Innovationen punkten

Spannende Themen seien auch Dashboards, Predictive Modelling, BI kombiniert mit Unternehmenssuche, interaktive Visualisierungstechniken, die Arbeitsspeicher-basierende Datenanalyse und BI-Appliances. Absatzchancen bieten auch die Vermietung von BI-Software (Software as a Service), spezielle Mittelstandsangebote, das OEM-Geschäft (Original Equipment Manufacturers) mit kleineren Herstellern von Unternehmenssoftware sowie von Value added Resellern entwickelte Branchenlösungen. Gartner empfielt diesbezüglich, auch einmal Firmen wie den deutschen Anbieter Panoratio sowie Fractal Edge, Pivotlink, Endeca, Oco, 1010Data, LucidEra, Greenplum, Illuminate und Advizor Solutions zu evaluieren.

Schließlich könnten durch Allianzen und Übernahmen unter den verbliebenen BI-Spezialisten neue Schwergewichte entstehen. Ein Planspiel wäre für Analyst Bitterer etwa ein BI-Stack aus Teradata, Informatica und SAS Institute oder Hewlett-Packard, Informatica und Qlicktech. Eine gemeinsame Open-Source-Alternative könnten Sun Microsystems, MySQL und Jaspersoft offerieren. Zudem könnte der BI-Markt Hersteller wie EMC, die Software AG, Adobe oder Cisco anlocken. "Oder stellen Sie sich vor, Google würde kostenlose Web-BI-Tools verbreiten."

Fragen an die Mega Vendors

Laut Gartner gibt es eine Reihe von Punkten, die die großen Hersteller nach den Übernahmen im letzten Jahr bezüglich ihrer BI-Strategie erläutern müssen:

SAP

Wie sieht die Frontend-Strategie aus? (Was wird aus Bex?);

Welche Produkte bevorzugt SAP für CPM? (aktuell gibt es vier Produkte);

Wie soll die gemeinsame BI-Architektur einmal aussehen?

Genügt die Technik von Business Objects für die Datenintegration?

Oracle:

Wie sollen die verschiedenen analytischen Anwendungen gebündelt werden (Datenmodell etc.)?

Wie steht es um die Interoperabilität zwischen den eigenen und den zugekauften Produkten von Hyperion und Siebel?;

Wie geht es mit den vielen Produkten für Analyse und Reporting weiter? (Hat allein die "Oracle Business Intelligence Enterprise Edition" eine Zukunft?)

IBM:

Ist der Hersteller in der Lage, seine BI-Strategie und die vielen Produkte innerhalb seiner großen Organisation angemessen zu erläutern und nachfolgend bei Kunden angemessen und schnell zu vermarkten? (Execution?)

Wie sieht die künftige Analyseumgebung aus (Cognos und/oder Applix?), und wann kommen weitere analytische Anwendungen?